Von adminZoZuBo ‒ 23. Januar 2015
Geladene Gäste liessen sich letzte Woche von der langjährigen Chinakorrespondentin des Schweizer Fernsehens Barbara Lüthi auf eine Reise ins «Reich der Mitte» entführen.
Autos flitzen über die Strassen, Menschen sind auf Fahrrädern unterwegs. Rote Flaggen mit einem grossen gelben Stern in der linken oberen Ecke, umrahmt von vier kleineren Sternen, sind zu sehen. Grosstädte tauchen auf, Bauarbeiter schuften am Aufbau der Millionenstädte. In ländlichen Gegenden pflügen Bauern die Felder. Barbara Lüthi beginnt ihr Referat über das «Reich der Mitte» mit Bildern aus ihrer Wahlheimat. Es ist das China des wirtschaftlichen Aufschwungs, das China, das immer selbstbewusster wird, dessen Mittelschicht wächst. Es ist aber auch das China der Umweltverschmutzung, der Landenteignungen und der wachsenden sozialen Unruhen. Barbara Lüthi ist es wichtig, die vielen Facetten des Landes aufzuzeigen. Vor 260 Gästen erzählt sie im Flux Laboratory in Zürich Anekdoten, zeigt Ausschnitte aus Reportagen und gibt Prognosen ab.
«Barbara Lüthi ist eine der profiliertesten Reporterinnen der Schweiz», stellt der Zolliker Unternehmer Thomas Zwahlen, der den Anlass statt eines Weihnachtsgeschenkes für die Kunden seiner Firma organisiert, die Starrednerin vor. Die bekannte Schweizer Fernsehjournalistin berichtete von 2006 bis 2014, unter anderem für das Schweizer Fernsehen, aus China. Sie wurde mit mehreren journalistischen Preisen ausgezeichnet. Seit kurzem wohnt sie mit ihrer Familie in Hongkong und wird ihre Reportagen auf Südostasien fokussieren.
«2006 zog ich nach Peking», erinnert sich Barbara Lüthi. «Für mich ist es ein Privileg, an vorderster Front zu erleben, wie sich China in Riesenschritten zur Weltspitze aufmacht.» Doch das rasante Wirtschaftswachstum kreiere immense Herausforderungen; es führe zu klaren Gewinnern und Verlieren des Wirtschaftsbooms. Das Wohlstandsgefälle sei gross. Die Hälfte der Bevölkerung bestehe aus Bauern. Die Unzufriedenheit wächst; immer mehr soziale Unruhen brechen aus. «Durch das Internet wissen die Menschen jetzt viel mehr. Sie wissen, was an den entwickelten Küsten abgeht», sagt sie. Die Wut richte sich vor allem gegen korrupte Parteileute. «Die Menschen revoltieren gegen Machtmissbrauch, Landenteignungen, Korruption», erklärt sie, fügt aber gleich hinzu: «Ich denke, dass es keine landesweite Revolution geben wird, solange die Wirtschaft weiterwächst und es eine Perspektive auf ein besseres Leben gibt.» Denn es bestehe ein ungeschriebener Deal zwischen Staat und Volk, erzählt Barbara Lüthi: «Wachstum gegen Gehorsam». Gleichzeitig zeige sich die Regierung nervös. Sie gebe inzwischen mehr Geld für die innere Sicherheit aus als für die Verteidigung des Landes.
Während die chinesische Regierung um Staatspräsident Xi Jinping die wirtschaftliche Öffnung fördere, schrecke sie vor einer geistigen Öffnung zurück. Das Potential Chinas liege dadurch brach, bedauert Barbara Lüthi. Anstatt eigene Ideen zu kreieren, kopiere es westliche Produkte. Das Schulsystem trimme Schüler zu wohlerzogenen Bürgern und erlaube keine eigene Meinung. Solange dies so sei, glaubt sie nicht, dass China die USA in den nächsten dreissig Jahren als Supermacht – abgesehen von der Wirtschaft – überholen wird. Auch gegen eine politische Öffnung wehre sich die Regierung. Sie spreche zwar von Transparenz und dem Kampf gegen die Korruption. Doch Barbara Lüthi zeigt sich skeptisch, ob der Staat seinen eigenen Einfluss tatsächlich einschränken will. Dies zeigt sich auch in der Arbeit der Journalisten. Bei kritischen Berichten von ausländischen TV-Sendern wird der Bildschirm schwarz. Jedem ausländischen Journalisten wird ein Betreuer aus dem Aussenministerium zur Seite gestellt. «Meine Betreuerin weiss immer genau, was ich gedreht und mit wem ich gesprochen habe», lächelt Barbara Lüthi, die sich längst an die Arbeitsweise gewöhnt hat. Sie geht oft an die Grenze dessen, was im kommunistischen China toleriert wird. Sie sei erst zweimal handgreiflich vom Filmen abgehalten worden. «Es ist ein Risiko. Mit dem muss man umgehen», erzählt die Reporterin über ihren Beruf. Verantwortung empfindet sie vor allem für ihre chinesischen Mitarbeiter, die anders als Ausländer keinen Schutz geniessen.
Einer der grössten Herausforderungen, auch auf globaler Ebene, sei die Umweltverschmutzung. «In Peking steigen die Smogwerte vor allem im Winter, wenn mit Kohle geheizt wird, ins Unermessliche», erzählt sie und zeigt ein Video, in dem die Umrisse der Gebäude der Hauptstadt unter der Smogwolke kaum zu sehen sind. Das Problem werde von der Regierung anerkannt. «China will, sucht und braucht neue, grüne Technologien. Es sucht das Know-how», sagt Lüthi und weist darauf hin, dass dies eine Möglichkeit für die Schweiz sei. Doch der China-Einstieg sei für Schweizer Unternehmen nicht einfach. Die kulturellen Unterschiede führten zu Missverständnissen. Man müsse sich voll aufs Land einlassen, sich mit der Kultur auseinandersetzen, Beziehungen und Vertrauen aufbauen, so Lüthi. So wie sie es getan hat. Und so China zu ihrer Heimat gemacht hat. (sb)
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