Von adminZoZuBo ‒ 12. Juni 2015
An einem wunderschön lauen Frühsommerabend zogen im Gemeindesaal auf Einladung der Elternräte Oescher und Rüterwis düstere Wolken auf: Christian Bochsler liess die Gefahren in der Welt des Internets aufblitzen und zeigte, wie Eltern und Kinder für das virtuelle Gewitter gerüstet sind.
Einige der Eltern zeigten sich nach dem Vortrag etwas irritiert. Im Hinblick darauf, dass der Referent Christian Bochsler seinen Vortrag am nächsten Tag ebenfalls vor den Schülern der Mittelstufe im Dorf und eine Woche später im Berg halten wird, äusserten sie Zweifel, ob den Kindern das eben Gezeigte wirklich zugemutet werden könne. «Das war schon harte Kost», meinte eine Mutter in der anschliessenden Diskussionsrunde und fragte, ob die Schüler nicht mit Themen konfrontiert würden, die sie gar nicht beträfen und so vielleicht in Versuchung kämen, etwas auszuprobieren, von dem sie bis anhin gar nichts gewusst hatten.
Die Sorge der Mutter war nachvollziehbar, zeigten die vorangegangenen 90 Minuten doch eindrücklich, welche Gefahren im Internet lauern. Gefahren, mit welchen Kinder und Jugendliche heutzutage täglich konfrontiert sind. Gefahren aber, mit welchen sie umgehen können müssen, benützen sie die digitalen Medien doch immer früher, häufiger und selbstverständlicher. Wie schwierig es ist, solche Gefahren zu erkennen, wird gleich zu Beginn des Referates mit einem Film gezeigt. Ein gut gelaunter Junge hüpft fröhlich tänzelnd auf einen Holzpfahl zu, wo er sogleich mit einer grossen Axt Holz hacken wird. Mit jedem Ausholen zum Schlag platziert er seine Hände näher an der Axt, je länger die Szene dauert, desto weniger kann hingeschaut werden, so offensichtlich ist die Gefahr einer Verletzung. Ganz anders bei der nächsten Filmsequenz, die ein Junge vor einem PC zeigt. Was im Vergleich mit der Axt harmlos aussieht, täuscht gewaltig, wie die ängstlichen Augen des Jungen bald verraten. Was ihm jedoch solche Angst einflösst, bleibt dem Zuschauer verborgen. Genau hier liege eines der Probleme begraben, meint Christian Bochsler und wendet sich an die über 150 anwesenden Mütter und Väter: «Viele Eltern wissen schlicht nicht, ob und wie sich ihre Kinder im Netz bewegen.» Das Internet sei für Erwachsene häufig ein Dschungel, in dem sie sich kaum zurechtfinden würden. Dagegen gäbe es nur eine Abhilfe: «Bleiben Sie beharrlich!», eine Aufforderung, die der Referent an diesem Abend noch mehrmals wiederholen sollte.
Der zweifache Vater Christian Bochsler ist Primarlehrer, ausgebildeter Coach und Mediator. Immer häufiger hätten Eskalationen im Schulleben ihren Ursprung im Missbrauch der Neuen Medien, erzählt er aus seinem Wissen, welches er durch Gewaltinterventionen erlangt hat. Als Beispiel nennt er die Zehn-Uhr Pause am Montagmorgen, bei der früher selten etwas vorgefallen sei. Die Kinder seien dann noch am Schlafen gewesen, meint er augenzwinkernd. Heute sei die Situation eine andere, nicht selten habe er es erlebt, dass dann bereits Schlägereien ausbrechen. Den Grund hat er schnell herausgefunden: Messenger. Übers Wochenende würden die Mittelstufenschüler regelmässig über Messenger-Programme wie «WhatsApp» kommunizieren, wo schnell Aggressionen aufgebaut werden. «Auf dem Pausenplatz stehen sich die virtuellen Gegner dann real gegenüber, die üblen Beschimpfungen arten in Schlägereien aus.» Um eine Vorstellung zu erhalten, wie zweifelhaft solche Texte daherkommen, liest Christian Bochsler einige von ihnen vor. Ob den vielen Beleidigungen und Fluchworten bleibt einem bald das Lachen im Hals stecken, und wer glaubt, es handle sich dabei um fiktive Beispiele, der irrt. «Viele Kinder möchten gar nicht so weit gehen», erläutert der Experte, «aber auf eine Beleidigung wird häufig mit einer noch härteren Beleidigung reagiert.» Auf dem Smartphone sei eine solche viel einfacher und schneller geschrieben als von Angesicht zu Angesicht ausgesprochen. Werden die Texte dann laut vorgelesen, wie es der Primarlehrer Christian Bochsler bereits öfters mit Klassen gemacht hat, schämen sich die Schüler richtig dafür.
Auch auf Communities wie Facebook und Chats geht der Referent ein und zeigt deren Gefahren auf. Für einen Selbstversuch in einem Chat für Kinder bis 15 Jahren gab er sich als 15-Jährige aus. Keine drei Minuten habe es gedauert, bis er Nachrichten erhalten habe wie «Wämer Telefonsex mache?», «Bisch au spitz?» oder «Wetsch pervers chättä, schick mer doch es Bild vo dir.». Das Problem bei Chats sei, dass aus Datenschutzgründen private Chat-Konversationen von den Operatoren nicht überprüft werden dürfen. Aus diesem Grund rät Christian Bochsler, dass die Kinder nur Chaträume besuchen dürfen, die ausschliesslich öffentliche Bereiche haben und so von den Operatoren überwacht werden, als Beispiel nennt er jene von «Zambo» und «Spick».
Ebenfalls zur Sprache kommt das Thema Sexting, wie das Verschicken von Nacktfotos genannt wird. «Dass Jugendliche Sexting und dessen Folgen kennen, ist mir sehr wichtig», meint Christian Bochsler während er von einem Opfer erzählt, das gerade mal 10 Jahre alt war. «Die Prävention ist einerseits wichtig, damit Nacktbilder und Filmclips nicht verschickt werden und anderseits, um den Opfern die Scham zu nehmen. Sie sollen wissen, dass sie nicht die Ersten sind, denen so etwas passiert.»
Es sind viele Gefahren, die Christian Bochsler an diesem Donnerstagabend im Gemeindesaal aufzeigt. Neben Tipps für die Eltern (siehe Text unten) nennt er auch immer wieder die Telefonnummer 147 von Pro Juventute. «Hier kann das Opfer anonym seine Geschichte erzählen und somit Anlauf holen, um später mit einer Person zu sprechen, die bei der Aufarbeitung aktiv mithelfen kann.» Bei seinen Vorträgen im Klassenzimmer verlangt Christian Bochsler, dass auch die Lehrpersonen anwesend sind. Genauso wie die Eltern müssen und sollen auch sie wissen, was läuft. Nur wer hinschaut, weiss, was Sache ist. Und nur wer weiss, was Sache ist, kann auch entsprechend reagieren und Hilfe anbieten. (mmw)
Christian Bochsler rät, dass Kinder so lange wie möglich ein gemeinsames Familienhandy benutzen sollten. Computer und Handys sollten im öffentlichen Raum der Wohnung stehen resp. nur in diesem benutzt werden dürfen. Eltern sollen ihre Kinder beobachten beim Surfen im Netz und wissen, mit wem sie sich unterhalten, wie oft sie im Netz sind und welche Seiten sie besuchen. Auch ist darauf zu achten, in welcher Stimmung sich die Kinder nach dem Surfen befinden. Klare Regeln sollten aufgestellt und auf deren Einhaltung bestanden werden.
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