Von adminZoZuBo ‒ 10. Juli 2015
Seit 33 Jahren ist Christian Issler Zolliker Kinderarzt. Viele gesellschaftliche Änderungen haben er und seine Kundschaft, Kinder, Eltern, Familien, in dieser Zeit erfahren. Nun schliesst er seine Praxis.
«Als ich die Praxis übernahm, hatten vor mir zwei andere Ärzte abgesagt: In Zollikon, so befürchteten sie, gäbe es zwar drei Tierärzte, aber keine Kinder», erzählt Christian Issler und lacht, «mein Glück, dass sie nicht recht hatten!» Die Kundschaft stellte sich schnell ein. Findet man heute im Bezirk Meilen 28 Kinderärzte, waren es dazumal gerade deren vier. Die kleinen Patienten und ihre Eltern kamen deshalb auch über die Gemeindegrenzen hinweg – von Zumikon bis hinunter nach Esslingen – zu ihm in die Zolliker Praxis. Als Schularzt, der die Reihenuntersuchungen durchführte, kannte er in Zollikon zudem bald jedes Kind. Seine humorvolle, direkte Art kam bei den meisten gut an. Bei ihm wusste man stets, woran man war. Und er selbst wies einzig Familien ab, die ihre Kinder nicht impfen wollten. «Als Befürworter aller Impfungen fand ich diese elterliche Verweigerung stets unverantwortlich», sagt er, «ich konnte sie nicht mittragen.»
Nein, über Arbeitsmangel musste Christian Issler nie klagen. Zumal auch, anders als heute, Hausbesuche noch zum Praxisalltag gehörten. Noch gab es nirgends eine Permanence und wenn immer möglich rief man in der Not erst ihn, den Vertrauensmann, an, bevor man sich an den Notfall wandte. «Natürlich war das ein grosser Arbeitsaufwand», sagt er, «doch es war auch schön, die kranken Kinder in ihren Familien aufzusuchen. Man erfuhr so ganz nebenbei viel über die Familie und konnte sie dadurch besser in einer schwierigen Situation beraten.»
Für Christian Issler war schon früh während des Medizinstudiums klar geworden, dass er gerne Kinderarzt werden wollte. Seine Zeit als Assistenzarzt im Kinderspital Zürich überzeugte ihn vollends. Nicht nur die Arbeit gefiel ihm, auch die Stadt – und so blieb er, der Basler und FCB-Fan, am See hängen und überlegte nicht lange, als er erfuhr, dass ein Zolliker Kinderarzt einen Nachfolger suchte.
«Für mich ist Kinderarzt der beste Beruf, den ich mir vorstellen kann», sagt er, «ich kann nicht bloss in akuten Notfällen wirklich helfen, ich begleite die Kinder und ihre Familien über Jahre hinweg, erlebe, wie sie wieder gesund werden, wie sie sich entwickeln, nehme teil an ihren Höhen- und Tiefflügen – und am meisten freut es mich, wenn sie nach Jahren plötzlich mit ihrem Baby wieder in meiner Praxis stehen.» Natürlich gibt es auch immer wieder schwierige Situationen und traurige Begebenheiten. Als Arzt erlebe er solche Begleitungen als intensiv und bereichernd und sei oft sehr beindruckt, wie es Kindern und Familien gelingt, ihr schweres Schicksal zu meistern.
33 Jahre sind eine lange Zeit. Nicht nur die Gesellschaft auch der Alltag eines Kinderarztes hat sich in diesem Zeitraum unaufhaltsam verändert. Gab es früher viel Infekte, gibt es heute sehr viel mehr Präventionsarbeit und, etwas beunruhigend, auch viel mehr psychosomatische Krankheiten. Es wirke sich einfach aus, dass Kinder und Eltern heute massiv mehr unter emotionalem Druck stünden als noch vor dreissig Jahren, sei es wegen schwierigen familiären Verhältnissen oder schulischen Problemen. Hausbesuche finden kaum mehr statt. Und auch die schulärztlichen Aufgaben, die Reihenuntersuchungen, die beratende Tätigkeit in der Schulpflege und die Delegation in den Schulpsychologischen Dienst des Bezirks sind alle abgeschafft worden. Das hat Vor- und Nachteile. «Früher», sagt er, «wurde ein Kinderarzt mehr geschätzt, heute werden eher seine Dienste eingekauft.» Diese gesellschaftlich veränderte Einstellung gegenüber Dienstleistungen betreffe natürlich nicht bloss die Ärzte, sie sei ganz allgemein bedenklich, Geld könne Respekt und Dank nirgends wirklich ersetzen. Trotzdem würde er wohl auch heute wieder Kinderarzt werden wollen. Überhaupt würde er vieles nochmals genau so machen. «Ein guter Freund», erzählt er, «sagte mir einst, jeder brauche im Leben drei Standbeine, um alle Situationen gut zu überstehen, wenn eins mal zeitweise ausfalle: einen guten Beruf, eine gute Familie und eine dritte davon unabhängige Herausforderung.»
Familie und Beruf sind Christian Issler heilig – nichts freut ihn mehr als das Glück und der Erfolg seiner drei Kinder, da gerät er noch mehr ins Schwärmen, als wenn er über seinen beruflichen Alltag spricht. Doch schwierigere Zeiten – als die Kündigung der Praxis an der Bahnhofstrasse eintraf, der Umzug an den Dufourplatz geplant werden musste, schwierige Fälle den Alltag belasteten, die Kinder wegzogen – hat er tatsächlich dank seines dritten Standbeines, dem Schach, gut überstanden. Zum Schach kam er zwar zufällig, weil ihm sein Vater als Elfjähriger das Fussballspielen verbot, doch brachte es ihm viel. «Stürmer beim FCB wäre zwar auch eine Option gewesen», sagt er noch heute, «doch auch als Schachspieler habe ich viel erlebt.» In jungen Jahren war er erst Mitglied der Junioren- und dann der Studenten-Nationalmannschaft, später hat er seine persönliche Karriere zugunsten einer Funktionärsarbeit fallen lassen. So ist er seit 1998 Präsident und Mannschaftsleiter der Zürcher Schachgesellschaft und hat auch manches Turnier organisiert. Selber sitzt er aber immer auch noch gerne am Brett, so hat er eben an einem Schachturnier in Havanna teilgenommen. In Zukunft wird er sich mehr Zeit dafür nehmen können.
Zollikon aber bleibt eine Kinderarztpraxis erhalten. In einer Woche wird Christian Issler sie in Frauenhände übergeben. «Auch das ein Wandel der Zeit», sagt er, «nicht nur meine Praxis geht in Frauenhände über, der ganze Beruf des Kinderarztes ebenfalls!» Die Praxis wird umgebaut und öffnet Mitte August ihre Türen neu. Ab und an wird man Christian Issler da noch antreffen, sei es als Ferienvertretung seiner Nachfolgerinnen oder als administrativer Unterstützer seiner Frau, der Physiotherapeutin Ursula Issler-Wüthrich, die mit ihm von Beginn weg die Praxisräume geteilt hatte –erst stundenweise als Kinderphysiotherapeutin, dann aber über die Jahre hinweg vollzeitig als gesuchte Spezialistin zur Behandlung von Kindern mit angeborenen Klumpfüssen.
Doch auch wenn er sich in der Praxis nicht mehr blicken lassen würde, bräuchte man sich um ihn nicht zu sorgen. Die bleibenden zwei Standbeine sind stark und werden ihn noch lange in Schwung halten. (db)
zur Schliessung der Kinderarzt-Praxis von Dr. Christian Issler
Samstag, 11. Juli, 15 bis 19 Uhr
Dufourstrasse 66, 8702 Zollikon
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