Von adminZoZuBo ‒ 29. Oktober 2015
Der Sturm vom 23. Oktober 2014 hatte glücklicherweise keine Personen zu Schaden kommen lassen. An diesem besagten Donnerstagabend wurde durch die starken Windstösse die Spitze der reformierten Kirche Zollikon, mit Kugel und Windfahne, heruntergefegt.
Obwohl Pfarrer Simon Gebs zu jenem Zeitpunkt in der Kirche mit den Konfirmanden probte, wurde er erst durch den Pager seines Feuerwehrnotrufes darauf aufmerksam, was über seinem Kopf respektive auf dem Dach passierte. Dies waren seine einleitenden Worte zur Wieder-Aufsetzung der Turmspitze am vergangenen Samstag. Ein herrlicher Herbsttag mit Temperaturen um die zwanzig Grad lockte viele interessierte Kinder und Erwachsene zur Aufsetzung der Kirchenspitze. An die zweihundert wollten die Enthüllung der neu vergoldeten Kugel und der restaurierten Wetterfahne miterleben. Pfarrer Simon Gebs begrüsste die Gäste und Vertreter des Kirchen- und Gemeinderates und entschuldigte sich sogleich für den Zustand, dass die Reparaturen so lange, nämlich ein Jahr gedauert hätten. «Irgend öppis hät gfählt,» einfach als unvollständig sei der Blick über Zollikon in Richtung Kirchturm von der Bevölkerung wahrgenommen worden. Es habe an der symbolischen Präsenz gefehlt. Der Turm steht nämlich für Stabilität über die Jahrhunderte, seine Spitze für alles Verletzliche im Leben. Mit einem unterhaltenden geschichtlichen Rückblick von 1499 bis in die Gegenwart bewies Pfarrer Gebs einmal mehr, dass sich historische Gegebenheiten und Aussagen bis heute wiederholen. Im Jahre 1499 wurde die Petruskirche, damals noch katholisch, in Zollikon erbaut. Ihre Spitze, verletzlich wie sie ist, musste über die Jahrhunderte hinweg alle 20 bis 30 Jahre erneuert werden.
Spannend präsentierte sich der Einblick in die Vergangenheit, den die Turmkugel durch die in ihr anlässlich von Renovationen hinterlegten vielen Kassetten gewährte. Darin ist beispielsweise zu lesen, dass 1691 ein Blitz einschlug und deshalb ein Neubau des Turmes diskutiert wurde. Doch verzichteten die sparsamen Zolliker darauf mit der Begründung, dass dieser für die nächsten 20 bis 30 Jahre bestimmt noch halten würde. Und tatsächlich – erst 1794 mussten sie nach dem Zusammenbruch des Giebels endgültig einen neuen Turm planen. Das Holz für den Bau wurde im Winter im Zolliker Wald geschlagen und im Sommer 1795 für die Turm-Konstruktion verwendet, welcher das Zürcher Fraumünster zum Vorbild hatte. Weitere «Geschichten aus der Kugel» verraten viel über Zollikon. So schrieb Jakob Meier, Aktuar der Kirchenpflege und Kantonsrat, 1866 in seinem Zeitdokument: «Die Lage des Kantons ist oft schwül, zwei Parteien, Liberale und Demokraten, stehen einander gegenüber und durch die Zähigkeit von beiden Seiten werden im Kantonsrat Gesetze gemacht, die öfters zum Nachteil des Gedeihens des Kantons ausfallen.» Weiter ist zu lesen, dass die Lebensmittel teurer geworden sind wegen eines Virus, das zur schlechten Kartoffelernte beigetragen hat. Oder über die vielen Kirchenörter wird geklagt, diese fest vermieteten Plätze in der Kirche, markiert mit dem Zeichen des «Besitzers», deretwegen dem allgemeinen Volk lediglich 40 freie Plätze zur Verfügung standen. So hatte sich der Kirchenrat an die Mieter-Familien wenden müssen mit der Bitte, diese Tradition zugunsten einer freien Kirche aufzuheben. Dazu meinte Pfarrer Gebs schmunzelnd: «Ich würde mir wünschen, wir hätten heute solche Probleme.»
In den neueren Kupferkassetten aus dem Jahre 1930 notierte der Kirchenaktuar Albert Heer die Anzahl Mitarbeitende der Gemeindeverwaltung, es waren 26 Personen ohne die Lehrer. Weiter zitierte Simon Gebs aus der Schrift: «Seit der Turmerneuerung 1898 hat sich der Charakter des Dorfes so geändert, dass sich ein alter Zolliker darin nicht mehr zurechtfinden könnte. Trotz der Schrecken des Weltkrieges (1914-1918) trat kurz hernach eine Bautätigkeit ein, die beispiellos war. An guten Lagen stieg der Landpreis ins 4 und 5fache. Nur noch wenige Bauern haben sich gehalten, in den Willen wohnen Kaufleute, Geschäftsherren, Gebildete aller Art, die ihr Einkommen in der nahen Stadt Zürich verdienen, sich aber des Wohnens im schönen Villendorf Zollikon erfreuen möchten. Alles gleisst im Wohlstande. Sieht man aber tiefer so merke man bald dass nicht alles Gold ist was glänzt.» Er erwähnte dabei weiter die 11 angestellten Lehrer in überfüllten Klassen sowie die blasierte Jungmannschaft, die sich wenig um Schicklichkeit und Bescheidenheit kümmerte, und dass das religiöse Leben tiefe Schäden zeige.
Spenglermeister Guido Weber, der für die Bauleitung verantwortlich war, nahm die Schuld dafür auf sich, dass die Reparatur ein Jahr gebraucht hat. Doch seine Erläuterungen machten allen klar, so eine Konstruktion ist aufwendig und komplex. Die Spitze mit Kugel war komplett zerstört worden und das verfaulte Holz musste ersetzt werden. Die Erstellung des Konus brauchte viel Zeit. Heute gibt es nur zwei Hersteller in der Schweiz, welche die zeitlich aufwendigen goldenen Kugeln produzieren. Alleine das Vergolden nahm einen Monat in Anspruch. Am Dienstag wurde dann an der Kirchspitze der Konus verleimt und verankert, die Stange montiert und darüber die einzelnen Teile befestigt. Am Samstagmorgen früh wurde die Fahne gesetzt, die gleichentags am Festakt enthüllt wurde.
Kirchenpflegepräsidentin Hanna Rüegg überlegte sich genau, was sie aufbereiten sollte, um der Kugel als Zeitzeuge beizugeben. Da bei der letzten Renovation im Jahr 2001 eine Minidisk hineingelegt wurde, die heute schon nicht mehr lesbar ist, entschied sie sich für ein Dokument auf traditionellem Papier. So schrieb sie über die aktuellen Kirchenthemen, über die mitwirkenden Kirchenpfleger und über die neue Zusammenarbeit «Kirchgemeinde Plus». Zusammen mit den Artikeln aus dem Zobo über die Pensionierung von Pfarrer Koelliker, über die Geschichte mit der Kirchturmspitze und über das Loch im Dach ergibt sich eine aktuelle Momentaufnahme. Schliesslich hoben Feuerwehrkommandant Andi Tschopp, Kirchenpflegepräsidentin Hanni Rüegg und Pfarrer Simon Gebs mit dem Kran ab und enthüllten die neue Spitze. Zur Feier des Tages wurden Safran- und Steinpilzrisotto offeriert. Und so strahlten die Gesichter der von der Kirchenpflege persönlich und gastlich Bewirteten mit der goldenen Kugel um die Wette. (cef)
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