19/2016 «Seldwyla» in Zumikon: Alles ausser gewöhnlich

Von adminZoZuBo ‒ 13. Mai 2016

«Seldwyla» in Zumikon:

Alles ausser gewöhnlich

Ein Spaziergang durch das als «Seldwyla» bekannt gewordene Quartier an der südlichen Peripherie von Zumikon fühlt sich an wie Ferien am Mittelmeer. Über die Architektur wurde schon viel geschrieben. Weitaus spannender fand der Zolliker Bote jedoch, den Geist von Seldwyla einzufangen.

Wie lebt es sich im Alltag in diesem Quartier? Welche Menschen haben sich hier zusammengefunden und eine Nachbarschaft geformt? Ein Augenschein vor Ort. Stereotypes Wohnen in genormten Quartieren ist das, was man sich hierzulande gewohnt ist. Ganz anders präsentiert sich dieses Seldwyla. Die Ober-, Unter- und Tobelgasse gehören allesamt zum Quartier und es ist ein Leichtes, sich in diesen verwinkelten Gassen zu verirren. Verschachtelte Häuser, die einen Blick ins Innere oder in einen poetischen Garten erlauben. Büros und Ateliers von Architekten, Kommunikationsberatern, Unternehmern und Künstlern sind wie selbstverständlich in der Siedlung integriert. Obwohl hier Individualität gelebt wird, fügt sich doch alles zu einem harmonischen Ganzen. Überall gibt es kleine Überraschungen: Hier eine Skulptur, da ein Torbogen, dort eine Laube mit Blumen geschmückt. Aber machen ein paar schöne Türen und dekorative Säulenbalustraden bereits einen Quartiergeist aus?

Am Anfang stand eine Vision

Tatsache ist, dass der verstorbene Architekt Rolf Keller in den 70-iger Jahren den herkömmlichen Nachkriegssiedlungsformen eine Alternative gegenüberstellen wollte. Er gründete eine Genossenschaft mit dem Namen Seldwyla, entwickelte ein Gesamtkonzept, das er mit Unterstützung von den gleichgesinnten Genossenschaftern und Architekten Rudolf und Esther Guyer, Manuel Pauli, Fritz Schwarz und Guhl-Lechner-Philipp umsetzen wollte. Es wurden Modelle entworfen, 2 ha Land und eine Gemeinde gesucht, die bereit war für eine spezielle Quartierbauordnung Hand zu bieten. Als 1975 der Spatenstich für die erste Etappe erfolgte, war Seldwyla – benannt nach der Genossenschaft und nicht in Anlehnung an Gottfried Kellers Schildbürger in Seldwyla – in Zumikon geboren.

Identifikation durch Partizipation

Eine Überbauung an sich ist nichts Aussergewöhnliches. Aber Rolf Kellers Ansatz ging weiter: Er wollte die zukünftigen Hausbesitzer von der ersten Skizze bis zur Auswahl der Materialien miteinbeziehen. Diese aktive Partizipation war für alle Beteiligten sehr anspruchsvoll. Denn trotz der Freiheiten, war der persönliche Gestaltungs- und Spielraum an die Integration in das Gesamtkonzept gebunden. Einer, der die Anfänge von Seldwyla hautnah miterlebt hat, ist Jürg Bächtold. Er gehört zu den Seldwyler-Urgesteinen, ist Künstler mit eigenem Atelier im Quartier und wirkt hier nicht nur kreativ, sondern ist mit seiner Familie auch Bewohner der ersten Stunde. Er erinnert sich, wie in einem Bauwagen mit Rolf Keller und den angehenden Seldwyla-Eigentümern regelmässig Sitzungen abgehalten wurden. «Wir haben stundenlang diskutiert. Nicht nur über das Eigenheim, auch über die gemeinschaftlichen Bereiche wie Schwimmbad, Spielwiese, Wegführung, Clubraum und Garagen. Rolf Keller war bestrebt, die zukünftigen Seldwylerinnen und Seldwyler in alle Bauphasen weitgehend miteinzubeziehen. Und nach den Sitzungen wurde bei einer Flasche Wein so manche Freundschaft geschlossen, die bis heute hält. Dieser ganze Entstehungsprozess hat uns alle geprägt und bildet bis heute das Fundament der starken Identifikation mit unserer Siedlung.»

(Mit)Eigentum heisst (Mit)Verantwortung»

Diese starke Identifikation mit dem Quartier findet man bei allen getroffenen Siedlungsbewohnern. So auch bei Marlene und Peter (möchten nur mit Vornamen genannt werden, Anmerkung der Redaktion). Sie wohnen in einem stilvoll eingerichteten Haus, das in der dritten Etappe Anfangs der 80er-Jahre gebaut wurde. Beide erzählen von der offenen Diskussionskultur und einer toleranten Nachbarschaft. Peter gibt gleich ein Beispiel: «Wir lebten damals noch im Konkubinat. Zu dieser Zeit wäre dies in manchen Quartieren Anlass für bösen Tratsch gewesen. Hier in Seldwyla war das nie ein Thema.» «Anonymität wie sie heute in Wohnquartieren gang und gäbe ist, kennen wir nicht. Der Umstand, dass wir nicht nur Eigentümer sondern auch Miteigentümer sind, trägt viel dazu bei, dass jeder auch Verantwortung für die Gemeinschaft übernehmen muss», sagt Marlene. Wie das mit dem Miteigentum genau funktioniert, erklärt Renate Schnyder Plattner, die in zweiter Generation mit ihrer Familie seit acht Jahren im Quartier wohnt. «Lebt man in Seldwyla gehört es selbstverständlich dazu, dass anfallende Arbeiten für das Miteigentum sowie Verwaltungsaufgaben auf alle Schultern verteilt werden. Dazu gibt es Einsatzpläne und Ressorts, welche die Aufgaben und dazugehörenden Pflichten regeln. Etwas Besonderes ist der Frühlings- und Herbstputz, an dem sich alle beteiligen. Solche Aktionen haben auch einen gesellschaftlichen Aspekt. Beim anschliessenden Apéro vertieft man Freundschaften oder lernt sich besser kennen.» Trotz diesen gemeinschaftlichen Aktivitäten, wird von allen betont, dass die Privatsphäre respektiert und das Motto «leben und leben lassen» gross geschrieben wird.

Seldwyla-Kultur

Das alles tönt fast wie in einem Märchen. Gab es noch nie Differenzen? «Oh doch. Es gibt immer wieder Diskussionen», gibt Christian Keller, Sohn des verstorbenen Seldwyla-Gründers Rolf Keller, unumwunden zu. «Aber auch wenn an einer Eigentümerversammlung kontrovers diskutiert wird, werden demokratisch gefällte Entscheide akzeptiert und man ist anschliessend weder nachtragend noch spürt man Animositäten.» Nächstes Jahr feiert Seldwyla das 40-jährige Bestehen. Es ist anzunehmen, dass im eigenen Clubraum ein rauschendes Fest steigt, an dem alte Seldwyla-Geschichten erzählt und neue geschrieben werden. Dem Quartier ist zu wünschen, dass diese gelebte Nachbarschaftskultur weiter Bestand hat. Die Chancen stehen gut, denn bereits hat eine zweite und dritte Generation den besonderen Seldwyler-Geist verinnerlicht und wird diesen hoffentlich weitertragen. (dg)

 

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