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6/2017 Gesichter gegen Leinwände getauscht

Von adminZoZuBo ‒ 9. Februar 2017

Gesichter gegen Leinwände getauscht

Alannah Krutina freut sich auf ihre eigenes Atelier.  Die Künstlerin sucht in Zürich die visuelle Stille.

Sie ist immer in Bewegung – auch im Sitzen. Der Blick wandert schnell, die Hände erzählen fast so viel wie der Mund. Alannah Krutina wirkt nicht unruhig oder fahrig. Die Frau mit den unheimlich wachen Augen ist eher etwas ungeduldig und voller Lebensideen. Sie sagt, sie sei 65 Jahre alt. Ihr Gesicht, ihre Haltung sagen eigentlich etwas anderes. Doch sie winkt gleich ab. Sie habe lange als Visagistin gearbeitet, kenne einige Tricks. Diese müssen mit Zauberei auf derselben Stufe stehen. Noch immer befasst sich Alannah Krutina mit Farben. Doch sie «schminkt» nun Leinwände. Nicht-figürliche Malerei ist ihre Leidenschaft. Und ihre Lebensphilosophie. Das heisst auch, dass sie auf Sicherheit – auch auf finanzielle – verzichtet. Wer nach etwas Neuem greifen will, muss vorher das Alte loslassen, muss das Risiko des Fallens eingehen. Die lebendige Frau zuckt die Schultern. Das gehöre dazu. Das Fallen, das Aufstehen.

Mit sechs Jahren zog Alannah ­Krutina mit ihrer Familie von der Schweiz nach Kanada, in die Nähe von Montreal. Das ist der Grundfür ihr wunderschönes englisches Schwyzerdütsch. Nun ist sie zurück in Zollikon und freut sich fast wie ein Kind: Für ein Jahr darf sie das Atelier einer Freundin in Wollishofen nutzen. Wohnen kann sie bei ihrem Onkel und ihrer Tante in Zollikon. «Das ist ein Geschenk. Ich könnte mir die Zeit oder ein Atelier hier doch gar nicht leisten», erzählt sie.Vielleicht ist das der Grund für die Ungeduld. Sie will endlich in die Räume des Ateliers, will loslegen. Was sie mache, zeige auch ihre Homepage. Ein bisschen zumindest. «Alle Künstler, die ich kenne, kümmern sich zu wenig um ihren Internetauftritt, um ihr Marketing. Und die Künstlerinnen, die eine tolle Homepage haben, haben einen Mann, der das für sie macht», sagt sie und ihr Nasenpiercing funkelt dabei frech. Nein, sie ist nicht verheiratet. Für einen Mann war nie Zeit, nie Raum. Das Leben, so wie Alannah Krutina es lebt, ist doch schon mehr als genug für die zu füllende Zeit.

Von Parfums zu eigenen Bildern

Lange hat die Schweizerin mit kanadischem Pass als Visagistin im Modebereich gearbeitet, hat bei den Foto-Arbeiten zugesehen und irgendwann selber angefangen zu fotografieren. Mit 40 hatte sie eine gut bezahlte 60-Prozent-Stelle bei Parfums von Yves-Saint-Laurent – und noch Zeit. So fing es an mit der Malerei. Nach und nach verabschiedete sie sich von der Arbeit als ­Angestellte. Sie absolvierte unterschiedliche Kurse, lebte und lernte in Cornwall, Toronto, Montreal, der Toscana und Barcelona. Im Jahr 2010 beendete sie ihre Ausbildung.

Angefangen hat es mit leichten und pastelligen Blumenbildern. Manchmal macht sie die noch immer und stellt sie auf Instagram. Ihre aktuellen Bilder sind voller Kraft und Energie. «Meine Bilder erzählen keine Geschichte», betont sie. Sie sind eher wie ein tiefer Moment, wie Spannung und Ruhe gleichermassen. Das gilt für ihre monochromen Werke und die «Kritzeleien». Im allerersten Moment erinnern diese Zeichnungen an das, was man gerne während des Telefonierens mit Stift und Papier fabriziert. Doch die ­Linien hier sind mehr. Sie sind nicht Mittel zum Zweck, um Form zu geben. Die Linie wird nicht zum Inneren oder Äusseren von etwas, sie hat ihre eigene Bedeutung. Die Symbolik entfällt vollends. «Das Unterbewusste kann diese Sprache lesen», ist sie überzeugt. Die eigene Mutter überzeugt sie nicht. «Sie ist waschechte Schweizerin, kommt aus dem Aargau. Sie versteht nicht, was ich da tue», lächelt sie. Der Vater war offener, aber er verstarb früh. Alannah Krutina wirkt wie ein Schmetterling, der nicht sesshaft werden möchte. Es gar nicht kann. «Vielleicht ist das alles gar nicht meine ureigene Entscheidung. Ich hätte kein Leben mit Büro und all dem leben können», zuckt sie fast entschuldigend die Schultern.

«Ich bin kein Outdoor-Typ»

Sie war viel unterwegs. Ihre Augen werden fast ein bisschen wehmütig, wenn sie von der Zeit in einer Künstlerkolonie in Cornwall erzählt oder von der holländischen Familie, bei der sie in Spanien gelebt hat. «Ich habe gelernt, meine individuelle Art zu leben.» Immer mal wieder war sie auch in der alten Heimat Kanada, hat in Vancouver und Montreal ausgestellt. Ganz zurück möchte sie nicht. «Ich bin eigentlich nicht so der Outdoor-Typ. Ich fühle mich eher wie eine Europäerin». Und so stellte sie auch schon bei Paris, in Bremen, Manchester, Zürich und England in Einzelausstellungen aus. Erst im letzten Frühjahr durfte sie ihre Werke in Barcelona zeigen. Nun möchte sie sich gerne in der Schweiz eine Galerie suchen. Doch dafür muss sie erst mal ins Atelier und produzieren. Einerseits kann sie es nicht abwarten, auf der anderen Seite bremst sie sich aus. Sie will nicht schnell-schnell die Farbe auf die Leinwand bringen. Sie muss die Energie spüren, die sie am liebsten mit grossen, ausschweifenden Bewegungen aufträgt. Vielleicht steckt da immer noch ihr Klein-Mädchen-Traum von der Balletttänzerin drin. «Ich bin davon überzeugt, dass die Energie, die in das Bild fliesst, erhalten bleibt. Dass das Bild diese ausstrahlt.» Dabei möchte sie Werke von visueller Stille erschaffen. Bilder, die nichts sagen. Im Gegensatz zu Bildern, die den Betrachter förmlich anschreien. Oder als Gegensatz zur Überflutung durch optische Stimulation. Sie möchte den Augen eine Pause verschaffen, eine kreative Pause. Mit Spannung erwartet sie immer die erste Reaktion des ersten Betrachters. «Das ist, als würde ich mich ausziehen», beschreibt sie die eigene Verletzlichkeit. Wie lange sie nun in Zollikon bleiben kann, bleiben wird, das weiss sie nicht. Und das kümmert sie auch nicht. Natürlich wäre es schön, von der Kunst leben zu können. «Aber Kunst ist nicht messbar am finanziellen Erfolg. Da gelten andere Kriterien.» Irgendwo wird es für Alannah Krutina immer weitergehen. Sie lässt sich gerne überraschen. (bms)

 

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