Von adminZoZuBo ‒ 25. Mai 2017
Mit Irene Aeberli-Tobler findet eine jahrhundertelange Familiengeschichte ihr Ende. Erfahrungen in ihren jungen Jahren haben die Wahrnehmungstrainerin gelehrt zuzuhören und ihren Gefühlen zu vertrauen.
Die Geschichte von Irene Aeberli-Tobler ist ein Teil Stadtgeschichte, ein Teil Familiengeschichte – die war nicht immer einfach, aber es sieht nach einem Happy End aus. Historische Schriften belegen, dass die Familie Tobler schon um 1720 im Sennhof ansässig war. «Und ich bin die letzte Vertreterin dieses Namens am Berg», erläutert die 47-Jährige. Sie hat als Familiennamen den Namen ihres Mannes angenommen. Somit heisst die nächste Generation eben Aeberli. Ihre Kindheit beschreibt die gelernte Coiffeuse als «nicht ganz leicht» und das scheint untertrieben. Sie war ein Bauernkind und wenn andere Mädchen und Buben sich am Mittwochnachmittag zum Spielen verabredeten, musste sie absagen. Sie musste sich um die Kühe, Schweine, Hühner kümmern. Mithelfen im Stall und beim Heuen war Pflicht auf einem Bauernhof. Auch die Familienkonstellation war nicht einfach. Ihr Vater hatte seine erste Frau im Alter von 34 Jahren verloren. Ihm blieben drei Kinder – zwei Töchter, ein Sohn. Schliesslich heiratete er die Mutter von Irene Aeberli-Tobler, die gerade mal 22 Jahre alt war und mit 24 die Tochter zur Welt brachte. Mit Anfang 20 war die Ehefrau plötzlich verantwortlich für Hof, vier Kinder und auch einen Mann, der gerne trank. Dazu kamen noch die Schwiegereltern, die ihr gerne reinredeten. Erst als der Vater 50 Jahre alt war, durfte er den Hof übernehmen. Die Mutter war gestresst, musste zusehen, dass die Milch pünktlich abgegeben wurde. «Ich hatte als Kind oft Angst. Ich wusste nicht, was mich zu Hause erwartet», räumt Irene Aeberli-Tobler im Rückblick ein.
Als sie 16 Jahre alt war, gönnte sich die Mutter eine Auszeit, flog mit einer Freundin nach Spanien. Als Irene ihren Vater suchte, fand sie ihn im Schlafzimmer. Er lag neben dem Bett. Tot. «Ich wusste sofort, dass er tot war und gleichzeitig habe ich ihn noch im Raum gespürt. Er war noch so präsent.» Viele Jahre habe sie immer wieder das Gefühl gehabt, ihr Vater lege ihr von hinten die Hand auf die Schulter. Sie hat lange gebraucht, um sich davor nicht mehr zu fürchten, es vielleicht als schützende Hand zu deuten. Die 16-jährige Irene war natürlich verzweifelt. Die Geschwister weit weg, der Bruder sogar gerade auf dem Weg nach Kanada. Ihre Mutter konnte sie nicht erreichten. Handys gab es damals schliesslich noch nicht. Sie rief schliesslich ihren Götti an, konnte im Anschluss an das traumatische Erlebnis nicht mehr alleine in dem Haus bleiben. Dabei kam der grosse Ärger noch: der Streit um das Erbe, um Land und Geld. Irene Aeberli-Tobler stand immer zwischen den Stief-Geschwistern und der Mutter. So schnell wie möglich zog sie aus, suchte Abstand. Mit 24 heiratete sie, bekam später zwei Kinder. Und sie zog in das Haus der Schwiegereltern. Sie lacht leise. Am Anfang sei sie natürlich gerade mit ihrer Vorgeschichte sehr skeptisch gewesen. Doch es sei wirklich gut gewesen. Und dann kam das Angebot ihrer Mutter: Ob sie nicht das Geburtshaus an der Sennhofstrasse übernehmen wolle. 13 Jahre ist das jetzt her. Im ersten Moment habe sie sofort abgelehnt. Sie erinnerte sich an die Monate nach dem Tod des Vaters, als sie körperlich und seelisch so gelitten hatte. Auf der anderen Seite war da ihr Mann, ein leidenschaftlicher Schreiner. Der hatte immer von einem alten Haus geträumt, das er nach seinen Vorstellungen renovieren konnte. Schliesslich willigte sie ein und der Schreiner legte los. «Jetzt will ich hier nicht mehr weg», gibt Irene Aeberli-Tobler zu.
Die Zollikerberglerin hat sich versöhnt mit dem Haus – und auch mit ihrer Geschichte. Und das hat noch einen anderen Grund. Als Coiffeuse hat sie schon immer viel mit Menschen gesprochen. Es waren Gespräche, die über das übliche «Und? Schon Urlaub geplant?» hinausgingen. Sie spürte, dass die Menschen ihr Probleme, Ängste, Sorgen anvertrauten. Die 47-Jährige lernte zuzuhören, und das professionell. Über zwei Jahre machte sie eine Ausbildung zur Wahrnehmungstrainerin. Sie lernte ihre natürliche Empathie zu sensibilisieren, aber auch sich abzugrenzen. Die fremden Geschichten dürfen sich nicht zu tief in sie graben. Erholung und Ruhe findet sie dann in der Natur. Beim Spaziergang oder wenn sie im Garten wühlt. Lange wartete sie auf komische Kommentare zu ihrer neuen Berufung. die blieben aber aus. Nur der Sohn findet sie irgendwie zu abergläubisch. Aber das muss man mit 20 Jahren wohl auch. Sie hat keine Angst mehr, wenn sie ihren Vater spürt. Manchmal spricht sie mit ihm, ohne sich dabei komisch vorzukommen. Mittlerweile vertraut sie mehr ihrem Gefühl. Doch auf der anderen Seite ist sie nicht naiv. Schon mit 33 Jahren hat sie ihr Testament gemacht. Nach ihrem Tod soll es keinen Streit geben. Zurzeit steht ein Teil des 1712 erbauten Flarzhauses zum Verkauf. Dort wird dann kein Tobler mehr wohnen. Aber vielleicht fängt dann dort eine Familiengeschichte an, über die in 300 Jahren zu berichten sein wird. (bms)
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