29/2017 Mit dem richtigen Schwimmzug zurück ins Leben

Von adminZoZuBo ‒ 20. Juli 2017

Mit dem richtigen Schwimmzug zurück ins Leben

Sein Heilmittel ist der Sport, sein Element das Wasser. Schwimmen half Markus Ziegler Tiefschläge zu überwinden. Heute hilft er anderen zu finden, wonach er selber lange gesucht hatte: zurück ins Leben.

Pünktlich und mit einem breiten Lachen im Gesicht kommt er daher. Nicht nur seine Postur macht auf den ersten Blick klar, dass hier ein durchtrainierter Schwimmer daherkommt, auch das gewählte Outfit widerspiegelt sein liebstes Element perfekt: blau wie das Wasser von den Turnschuhen bis zum Shirt. Vollgas. Gibt es ein Wort, mit dem sich Markus Zieglers Jugendtage beschreiben lassen, so ist es dieses. «Egal ob Wandern, Skifahren oder Schwimmen, was immer wir ­Männer gemacht haben, wir gaben Vollgas.» Mit Männern meint der heute 42-Jährige seinen Vater und Bruder. Während die drei zwischen Schwimmbecken, Skipiste und Berggipfeln hin- und herpendelten, waren seine Mutter und Schwester im Pferdestall oder bei den Hunden anzutreffen. Das Schwimm-Gen bekam der sportliche Österreicher in die Wiege gelegt, sein Vater ist eine Schwimm-Legende gewesen und war jahrelang aktiv. Auch bei Markus Ziegler sollte es nicht lange dauern, bis er erste Wettkämpfe ­erfolgreich bestritt und im Welser Turnverein mitwirkte, dessen Schwimmabteilung zu den erfolgreichsten Schwimmvereinen in ­Österreich gehört. Sieben Jahre alt war er damals und schon bald stellte sich heraus, dass er so ziemlich alles mitbrachte, was es für einen erfolgreichen Schwimmer brauchte. «Ich hatte die perfekte Veranlagung», sagt er ohne falschen Stolz. Grossgewachsen war er, talentiert, stark. Aber auch: zu faul. Und er habe zu ausschweifend gelebt.

Gefährlich auf der Piste

Seine exzessive Lebensweise, er selber bezeichnet sie mehrmals mit «hirnlos durch die Nacht», kam besonders auf der Skipiste zum Ausdruck. Die Geschwindigkeit war sein Freund, abgelegenes Gelände seine Welt, Helme waren damals noch ein Fremdwort. Mit 16 kam es zum ersten Unfall, einem selbstausgelösten Lawinenunfall. Der Vater wurde schwer verletzt, die Söhne kamen mit ein paar Brüchen und Prellungen davon. Beschönigen möchte der in Oberösterreich Aufgewachsene nichts. «Es war einfach nur blöd. Wir hatten ein Riesenglück, die Überlebenschance meines Vaters war praktisch bei null.» Vier Jahre später dann der nächste Unfall. «Wieder ein Blödheitsunfall», wie er ihn nennt. Wieder auf der Piste, diesmal sogar auf einer markierten. Aber mit einer Riesengeschwindigkeit – «eine Piste wie eine Autobahn», hatte er zuvor noch seinem Kollegen zugerufen, nur wenig später einen im Pflug fahrenden Anfänger vor sich übersehen. Die Schulter war zerlegt, der linke Arm rausgeschlagen, die Sehnen ab, die Halswirbelsäule mehrmals geschädigt. Die kommenden Jahre wurden schwierig, die Reha intensiv und hart. Aber auch die Jahre zwischen dem Unfall waren nicht einfach, die Lawine forderte ihren Tribut, der mittlerweile jugendliche Leistungssportler bekam psychische Probleme, Platzangst. «Plötzlich habe ich meine Tauchstrecke nicht mehr geschafft», die Schuld habe er seiner Lunge gegeben. Aber die war in bester Ordnung, wie ihm die Ärzte beschieden. Als Erstickungsanfälle in der Nacht folgten, suchte er eine Psychologin auf, die ihn über Jahre begleitete – und durch die er erstmals in Kontakt mit mentalem Training kam, das heute eines seiner beruflichen Standbeine ist.

Glücklich im Wasser

Mit dem Schwimmsport war es aber vorerst vorüber. Markus Ziegler wechselte in die Leichtathletik, wo sich alsbald ebenfalls erste Erfolge abzeichneten. Doch trotz guter Leistungen: Sein Element fehlte ihm. Seit Kindsbeinen praktisch täglich im Wasser, brauchte er das kühle Nass, um richtig glücklich zu sein. Mit Unterstützung der Psychologin folgte der Schritt zurück ins Schwimmbecken. Der zweite Unfall aber beendete den Leistungssport definitiv. Zurückkämpfen konnte er sich nach zahlreichen Operationen und Reha zwar auch diesmal, und da und dort gab es noch Wettbewerbe auf nationaler Ebene, mehr lag aber nicht mehr drin. Die Zeit nach dem zweiten Unfall sei eine seiner schwierigsten gewesen, sagt Markus Ziegler heute. Auf den exzessiven Sport folgte das unersättliche Nachtleben. Eine Party folgte der nächsten. Wohl auch, weil er sich über seine Zukunft keine grossen Sorgen machen musste. Als gelernter Schreiner übernahm er mit 22 Jahren den Betrieb des Onkels und führte ihn über zehn Jahre mit externen Partnern weiter. Befriedigung fand er darin aber nicht. «Körperlich war ich ganz schlecht beisammen», er legte an Gewicht zu, und auch die mentalen Probleme machten sich wieder bemerkbar. Irgendwann habe er zu sich selber Stopp gesagt und gewusst: «Genug ist genug.» Der Bruder und ein befreundeter Arzt ­holten ihn zurück in den Schwimmsport. Und gewissermassen auch zurück ins Leben. «Ich war zwar nicht mehr erfolgreicher Leistungssportler, sondern nun Trainer, aber dennoch wieder happy.» Und das ist es, was Markus Ziegler heute professionell macht. Neben seiner Tätigkeit als Schwimmtrainer hilft er Menschen, ins Leben zurückzufinden. Sei dies mit offenen Gesprächen oder gemeinsamem Sport – für ihn das Heilmittel überhaupt. Über zehn Jahre liegen nun zurück, seit er die Schreinerei verliess, um sich als Schwimminstruktor und mentalen Coach auszubilden. Eine Entscheidung, die er keine Sekunde bereut. «Heute bin ich glücklicher als nie zuvor.»

Angekommen im Hier und Jetzt

Zusammen mit dem ehemaligen Profi-Schwimmsportler Markus Rogan bietet er auch Seminare im Bereich Business Performance an. Ihre Erfahrungen als Leistungssportler möchten sie mit der Geschäftswelt teilen, indem sie beispielsweise zerstrittenen Teams mit gemeinsamen Erfolgen helfen, am selben Strick zu ziehen. «Manchmal braucht es Grenzerfahrungen, um zu realisieren, was überhaupt möglich ist und wo die eigenen Stärken sind», erklärt ­Markus Ziegler seine Methoden, die teilweise ganz schön «unkonventionell» seien. So habe er schon mal ein Team bei hohem Wellengang über den See paddeln lassen oder nahm am Schwimmbeckenrand einen Besen zu Hilfe, um ­seinen Schützling im Wasser im richtigen Moment am falsch positionierten Ellbogen zu stupsen. «Jedem das, was er braucht», meint der Schwimmtrainer amüsiert. Seit zwei Jahren ist Markus Ziegler in der Schweiz, die Liebe hat ihn hierher verschlagen. Die mentalen Coachings wollte er in den Vordergrund stellen, doch hätten sich gleich von Beginn weg so viele Türen als Schwimmtrainer geöffnet, dass er heute zwischen seiner Praxis im Seefeld und den Schwimmbecken im Fohrbach hin- und herpendelt. Vom hiesigen Hallen- und Freibad und dessen Team spricht er in den höchsten Tönen, und auch ob der Schweiz gerät er ins Schwärmen: «Ich möchte hier nicht mehr weg», sagt er und lobt die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit seiner Klientel, die ihm sehr wichtig ist, da Unpünktlichkeit die ganze Planung durcheinanderbringe und das könne er nicht gebrauchen. So hirnlos Markus Ziegler früher war, so strukturiert ist er heute. Zu sagen, man solle im Jetzt leben, ist immer einfach, aber für viele nicht immer machbar. Aber genau darum gehe es. Nicht was gestern war oder morgen sein wird, sei relevant: «Was zählt, ist heute.» (mmw)

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