Von adminZoZuBo ‒ 5. Oktober 2017
Die Messerschmiede von Martin Kürsteiner bietet die ganze Fülle von Klingen, Messern, und Scheren.
Nein, eigentlich kommt sonst kaum Laufkundschaft bei Martin Kürsteiner vorbei. Dafür liegt sein Geschäft für Messer, Scheren und mehr viel zu versteckt hinter der kleinen Modeboutique und der Apotheke. Aber an diesem Nachmittag steht plötzlich dieses englische Trio da. Könnten Vater, Sohn und Tochter sein. Die Tochter möchte ein Sackmesser. Nicht irgendeins. Es muss eine Nagelfeile enthalten. Martin Kürsteiner kann weiterhelfen. Da gibt es die grossen Victorinox-Modelle mit Schere, Büchsenöffner, Korken- und Schraubenzieher, Stift, verschiedenen Klingen und eben auch einer Feile. Die junge Frau prüft mehrere Modelle. Es gibt so viele «Features» mittlerweile. Uhrzeit, Temperatur? Kein Problem. Zahnstocher? Gibt es auch. Die Kundin versucht, mit ihren langen Nägeln eine Klinge auszuklappen. Es dauert. Martin Kürsteiner hat einen Tipp: Einfach den kleinen Schraubenzieher an der Seite entnehmen und diesen als Instrument einsetzen. Papas Augen blitzen mittlerweile auch. So ein schönes Taschenmesser kann man ja immer gut gebrauchen. Schliesslich wandern zwei mittlere Modelle über den Ladentisch. Der Zolliker gibt den Kunden noch mit auf den Weg, immer schön vorsichtig mit dem Messer umzugehen. Die Klingen sind scharf. Und das sei gut so. «Ein stumpfes Messer ist viel gefährlicher als ein scharfes», erklärt der 57-Jährige. Ist die Klinge stumpf, werde mehr Energie eingesetzt, irgendwann gebe das Schneidgut auf und die Klinge werde immer schneller und unkontrollierbarer. Der Fachmann unterscheidet klar zwischen schneiden und spalten.
Ein Messer ist ein Messer ist ein Messer? Weit gefehlt. Der kleine, übervolle Laden beweist es. Spitze Klingen, breite Klingen, gewellt oder gezackt: alles da. Auch in den Preisklassen hat der Kunde die pralle Wahl. Wer unbedingt möchte, kann auch 6000 Franken für ein deutscheses Modell namens Nesmuk C 150 ausgeben. Das bietet dafür aber auch sage und schreibe 401 geschmiedete Lagen. Es geht aber auch darunter. Nur: Zu tief sollte es nicht gehen. «Langfristig gesehen ist Qualität günstiger. Wird ein Messer regelmässig geschliffen, kann es ein Leben lang halten», erklärt Martin Kürsteiner. Er ist mit dem Geschäft in die Fussstapfen seines Vaters getreten. Kurz hatte er nach der Schule eine Schnupperlehre in einer Druckerei gemacht, doch er entschied sich für das Schmiedehandwerk. Am 2. Oktober 1952 hatte sein Vater den Laden im Keller des Coiffeur-Geschäfts eröffnet, das der Bruder führte. Nun ist hier die Wohnung des Ehepaars Kürsteiner. «Wir sitzen hier eigentlich gerade im Damensalon», lacht Martin Kürsteiner. Als der Vater seinerzeit das Geschäft eröffnete, gab es in Zürich mehr als 30 Messerschmieden. Die am Zollikerberg ist eine der wenigen verbliebenen. Und auch der Bergler Messerschmied weiss nicht, wie lange er den Betrieb noch führen wird. Wie lange es sich noch lohnt. Dabei ist er gerade in der Gastronomie ein gefragter Mann. Von weit weg kommen die Köche, um ihre Messer hier wieder scharf machen zu lassen. Einer der Gründe, warum Kürsteiner im Internet als «Der Scharfmacher» auftritt. «Ein Koch hat ganz andere Anforderungen an ein Messer als ein Metzger. Wenn der Metzger mal etwas ungenauer schneidet, wird das hinterher platt geklopft. Beim Koch dagegen ist absolute Millimeterarbeit gefragt.» Der Fachmann driftet in die Abteilung Chemie ab. Es geht um Sauerstoffausschluss, Oxidation, Chromnickel, um Roheisen und den Kohlenstoffanteil. Letzt genannter sorgt dafür, dass die Klinge hart ist. Um es einfach auszudrücken: Die Zusammensetzung des Materials ist komplexer, als man meint. Und so wie man ein Weinglas behandelt, spült und abtrocknet, sollte man es auch mit dem Messer handhaben. Sonst kommt der Rost. Ob Spülmaschine oder nicht, ist so eine Sache. Stahlmesser können so gereinigt werden. Ist die Klinge mit Aluminiumnieten befestigt, steht Handwäsche an. Martin Kürsteiner schwärmt von Messern, von den blitzenden Klingen, vom Gefühl in der Hand. So ein Messer könne durchaus ein Prestige-Objekt sein. So wie mittlerweile Pfeffermühlen oder der SUV. Aber: Der Zolliker schwärmt auch von Scheren. Die oft unbeachtet im Messerblock stecken. «Auch eine Schere kann bei guter Behandlung ein Leben lang halten», behauptet er und spricht dabei zweifeslohne von kinderlosen Haushalten, wo die Küchenschere nicht rasch entwendet wird, um Karton und Plastik zu zerteilen. Lange Zeit war das Geschäft Kürsteiner auch für Scherenschnitt-Scheren die erste Adresse. Vorsichtig nimmt der Profi eine solche Schere. Die Spitze taucht in ein Blatt Papier ein wie in Butter. Da wird nicht gerissen, da gibt es eine ganz klare Kante. Martin Kürsteiner ist sich offenbar immer bewusst, dass er von sehr scharfen Klingen umgeben ist. «Wenn mal ein Messer oder eine Schere runterfällt, sofort die Füsse in Sicherheit bringen und niemals versuchen etwas aufzufangen», warnt er eindrücklich. Dabei geht es ja noch schärfer – wie bei der Rasierklinge. Kürsteiner weiss noch genau, wie diese am Lederriemen geschärft wird. Aber so etwas ist in Zeiten von Hipster-Bärten nicht mehr so gefragt. So wie immer seltener Rasenmäher zum Schleifen gebracht werden. Dafür ist der Markt für Sackmesser immer grösser geworden. Der neue Victorinox-Katalog zeigt das. Immerhin sei Victorinox, nachdem es im Jahr 2006 das Unternehmen Wenger übernommen habe, die «Messer-Schmiede» schlechthin aus der Schweiz. «Ansonsten wären die Offizierstaschenmesser für die Schweizer Armee irgendwann in Fernost produziert worden», mutmasst Martin Kürsteiner. Der Katalog bietet viel – sogar ein Taschenmesser ganz ohne Klinge. Dort, wo diese eigentlich sein sollte, steckt ein Memorystick. «Jetsetter@work» heisst das Modell. Neben dem Stick bietet es einen Flaschenöffner – für das Feierabendbier. Martin Kürsteiner schmunzelt angesichts des Angebots. Jetzt fehlt nur noch irgendwann die Taschenmesser-App. Vielleicht kommt die aber nicht mit Feile. Dann hat Kürsteiner weiterhin Kundschaft. (bms)
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