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51/2017 Für die Söhne, mit den Söhnen

Von adminZoZuBo ‒ 21. Dezember 2017

Von Kindern und Wundern

Musiklehrerin Betti Hildebrandt erinnert sich zu Weihnachten an unfassbare Ereignisse und die Freude über das Leben.

Früher glaubte ich nicht an Wunder. Die Kantonsschule Hottingen, die ich als Jugendliche besuchte, liess für Derartiges keinen Raum. Wir studierten in der Rechtskunde Obligationenrecht, Zivil- und Strafrecht. Dazu kamen Kenntnisse im Aktienhandel, Gesellschaftsformen und ähnlichen Themen. Ein Gewinn an der Börse war kein Wunder, sondern das Ergebnis der genauen Beobachtung des Börsenmarktes. Ich fühlte mich hier unbehaglich, nicht am richtigen Platz. Die Naturwissenschaften fand ich zwar interessant. Hier konnten wir lernen, dass wir und unser kleines Leben eigentlich nicht wichtig waren, sondern nur ein winziger Punkt im Universum. Aber wollte ich dies wirklich wissen? Lieber hätte ich gelernt, wie man das Staunen lernt. Staunen über Kunst, über Musik und über das Leben.

Im Deutschunterricht hingegen gab es Wunder: Da wir im Gottfried Keller-Schulhaus zur Schule gingen, lasen wir einige Werke meines Lieblingsdichters. Bang verfolgte ich in den Deutschstunden, wie sich der Grüne Heinrich durchs Leben schlug. Seine Reise nach München brachte ihn in arge Bedrängnis. Immer wieder lebte er über seine Verhältnisse, bis nichts mehr blieb vom Geld, das ihm seine Mutter hatte zukommen lassen. Ganz zuunterst, halb verhungert und ohne jede Barschaft, konnte ihn nur der Verkauf seiner Flöte retten. Diese Geschichte nannte Gottfried Keller Das Flötenwunder. Da ich selber Querflöte spielte und gleichfalls mit dem Gedanken spielte, mich von meinen Eltern unabhängig zu machen, blieb mir dieses Kapitel im Gedächtnis haften.

Nach dem Abschluss meines Musikstudiums an der ZHdK heiratete ich. Sorglos erwarteten wir unser erstes Kind. Wir konnten uns im Voraus nicht vorstellen, wie es unser Leben auf den Kopf stellen würde. Mein Erstaunen über das unfassbare Ereignis der Geburt hatte ich nicht erwartet. Als ich mein Kind in den Armen hielt, wusste ich: Dieses neue Leben ist ein Wunder!

Seither durfte ich mit meinen zwei Kindern viele Wunder erleben. Ich sah, wie sie laufen und sprechen lernten. Schreiben und lesen konnten beide, bevor sie eingeschult wurden. Ich erlebte mit ihnen, dass auch Singen und Musizieren ein Grundbedürfnis des Menschen ist. Den Musikunterricht besuchten sie begeistert, zumal wir drei zusammen bei kirchlichen Anlässen auftreten und das neu Gelernte umsetzen konnten.

Die Jahre vergingen schnell, die Kinder wurden erwachsen. Es fiel mit nicht leicht, sie in ihr eigenes Leben zu entlassen. Quasi als Abschluss unseres gemeinsamen Zusammenlebens nahmen wir nochmals ein Projekt in Angriff: Ich fasste die Lieder, die ich bisher geschrieben hatte, in ein Weihnachtsspiel; wir drei nahmen mit meinen Lehrerkollegen der Musikschule Zollikon eine CD für den Lehrmittelverlag auf. So kann ich mich noch heute daran erinnern, dass meine Kinder und ich immer ein gutes Team waren.

Weihnachten feiern heisst für mich, nicht nur die Geburt Jesu, sondern auch das Wunder allen neuen Lebens zu feiern. Ich freue mich deshalb, wenn ich in der Weihnachtszeit auftreten darf. Wenn ich in diesen Tagen in der Stadt zu tun habe, schaue ich mir zwar gern die Lichter in der Bahnhofstrasse an. Ich wundere mich aber ein wenig über das aufgeregte Tun. Bei uns ist es zum Glück ruhiger. Der Stadt so nahe erleben wir die Adventszeit hier besinnlicher. Zollikon ist eine kleine Welt: Hier ist die Kirche noch im Dorf.

In diesem Jahr ist auch unser Familienteam wieder einmal komplett: Meine beiden Söhne sind mit dem E-Bass und dem Schlagzeug bei der Weihnachtsaufführung mit dabei. Und wie immer spielen meine Querflötenschülerinnen mit. Das ist mein ganz persönliches Flötenwunder in diesem Jahr!

 

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