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24/2018 Ein Bubentraum zwischen Puck und Ball

Von Melanie Marday-Wettstein ‒ 14. Juni 2018

Vom Zolliker Riet in den Letzigrund und weiter zum Zürichberg: Der in Zollikon gross gewordene Giovanni Marti trainierte einst Zollikons Junioren, heute ist der Weltfussballverband sein Arbeitgeber. Für ihn ein wahrgewordener Traum, den er jeden Tag von neuem lebt. Happig allerdings war sein Start.

«No way, gaht’s no, nient’affatto!» Ein Leben ohne Sport? Für Giovanni Marti undenkbar. Zwei Herzen schlagen in seiner Brust. Das eine gehört dem Eis­hockey, als Speaker der Zürcher Löwen brüllt er seit 16 Jahren im Hallenstadion ins Mikrofon, um seinen geliebten ZSC anzufeuern. Das andere gehört dem Fussball. Während zweier Jahre kommentierte der ehemalige Radioreporter als Stadionsprecher im Letzigrund die Spiele des FC Zürich und arbeitete danach als Leiter Kommunikation beim Stadtzürcher Fussballclub. Heute ist er beim Weltfussballverband FIFA in dessen Headquarter am Zürichberg als Media Relations Manager tätig.

Begonnen hatte Giovanni Martis journalistische Karriere bei dieser Zeitung: Beim «Zolliker Boten» verdiente er sich beim damaligen Verleger Heinz Mörgeli seine Sporen ab. «Mein Start war alles andere als einfach», blickt der heute 46-Jährige zurück, für einmal verschwindet die Fröhlichkeit aus seinem freundlichen Gesicht, die sonst so aufgestellte und klare Stimme wird leiser, sein Blick traurig.

Sein erster Arbeitstag war der 1. November 1993. Er erinnert sich noch ganz genau an diesen Montag, noch genau an den ersten Satz seines damaligen Chefs. Die Frage, ob er auch mitgeholfen habe zu suchen. Zu suchen? Giovanni Marti versteht im ersten Moment nicht, was er gefragt wird. Am Wochenende war die 20-jährige Pfadfinderführerin Pasquale Brumann im Zollikerberg ermordet worden. Seit Samstagnachmittag galt sie als vermisst, nach einer eintägigen Suchaktion wurde ihre Leiche im Wald gefunden, das ganze Dorf war in Aufregung. Giovanni Marti hatte nichts mitbekommen, er und seine Schwester waren an diesem Wochenende alleine zu Hause gewesen, die Eltern das ganze Wochenende weg, die Geschwister hatten die sturmfreie Bude genossen.

Giovanni Marti kannte die junge Zollikerin gut, spielte mit ihr zusammen Gitarre, seine Schwester und sie besuchten die gleiche Schule, sie war ihnen eine gute Freundin. Aber das ist noch nicht alles. «Ich hatte Pasquale an diesem Samstagnachmittag noch gesehen», er sei auf dem Weg ins Dorf gewesen, hatte die junge Zollikerberglerin beobachtet, wie sie sich auf den Weg zu ihren Pfadfindern machte. «Ich fragte sie noch, ob ich sie mit dem Auto mitnehmen sollte», sie habe verneint, gesagt, sie werde durch den Wald joggen.

Kindheitstraum geht in Erfüllung

Der Mord an der jungen Zollikerin hat Giovanni Marti lange beschäftigt, da war natürlich der Gedanke, dass alles hätte anders kommen können, wenn sie mit ihm mitgefahren wäre. Noch heute besucht er ihr Grab regelmässig, hält bewusst inne, wenn der hektische Alltag überhand zu nehmen droht, wenn’s zuviel wird und er Ruhe braucht. «Ich fühle mich noch immer sehr verbunden mit ihr», der schreckliche Vorfall habe ihn sehr geprägt. Auch beruflich. So musste er lernen, sich einen starken Rücken zuzulegen, Distanz zu wahren, denn auch später als Radioreporter hat er viele Unfälle und Schicksalsschläge mitbekommen. Er erinnert sich an den G8-Gipfel in 2001, als ein junger Demonstrant keine 200 Meter von ihm entfernt überfahren worden ist.

Beim Radio zu arbeiten, war immer schon Giovanni Martis Traum gewesen. «Als kleiner Bub sagte ich meinem Vater, dass ich einst im Fussball und beim Radio arbeiten möchte.» Geschafft hat er beides. Immer wieder sind Türen aufgegangen, Giovanni Marti weiss nicht warum, es habe einfach immer alles geklappt. Dafür ist er enorm dankbar: Wer könne schon sagen, sein Bubentraum habe sich erfüllt, er könne das machen, was er liebt, und damit Geld verdienen? «Ich kann es», beantwortet der zweifache Vater seine Frage gleich selbst, teilweise fühle sich sein heutiges Leben wie eine Seifenblase an.

Freundschaften über den Sport hinaus

Der Fussball und das Eishockey, für Giovanni Marti bedeuten die beiden Sportarten alles. Die schönsten sportlichen Erfolge habe er mit dem ZSC feiern dürfen, so wie erst kürzlich, als dieser in der Finalissima gegen Lugano den Meistertitel holte, 19,4 Sekunden vor Schluss die 40-jährige Verteidigerlegende Mathias Seger noch einmal aufs Eis durfte und der Ex-Captain vor der Pott-Übergabe von den Spielern mit Seger-Gesichtsmasken geehrt wurde. «Solche Momente sind einfach unbezahlbar», sagt der ZSC-Speaker. Mathias Seger, einer der grössten Schweizer Hockey-Spieler, sei ihm in all den Jahren ein guter Freund geworden. «Echte Freundschaften im Spitzensport sind rar», da müsse man ehrlich sein, dennoch habe er solche erleben dürfen, auch mit Urs Fischer, dem ehemalige Schweizer Fussballspieler und -trainer verbinde ihn eine solche, er war der Trauzeuge des Ehepaares Marti.

Der im Zollikerberg aufgewachsene Giovanni Marti, der heute in Pfäffikon zu Hause ist, durfte viele grosse Namen kennenlernen, hat viele Persönlichkeiten getroffen. Gefragt nach seiner eindrücklichsten Begegnung fällt aber der Name Javier Adelmar Zanetti, ehemaliger argentinischer Fussballspieler, langjähriger Kapitän von Inter Mailand. Als Sohn zweier Süditaliener hat Giovanni Martis Herz immer auch für den italienischen Club geschlagen, und zu seiner Zeit als Jungjournalist kam eben dieser Zanetti nach Mailand, niemand hatte ihn gekannt, auch er nicht. Doch nach zwei Jahren war Javier Zanetti Kapitän, bis 2014 hat er gespielt. «Für mich eines der besten Beispiele, wie ein Fussballer unspektakulär grosse Karriere machen kann», der Argentinier habe auf dem Platz bis zum Umfallen gekämpft. Für ihn sei er der Inbegriff, eines völlig auf dem Boden geblieben Spitzenfussballspielers, der viele Sozialprojekte unterstütze. Als er ihn Jahre später anlässlich eines Interviews kennenlernen durfte, war er beeindruckt von dieser Begegnung, beeindruckt von diesem Menschen. So sehr, dass Giovanni Marti seinem Sohn den zweiten Namen Javier gegeben hat, und der grosse Javier dann auch zur Taufe gekommen ist.

Für einmal kommt der Fussball an zweiter Stelle

Ein weiterer grosser Traum von Giovanni Marti verwirklicht sich momentan gerade. Der Traum, bei einer Weltmeisterschaft hautnah dabei sein zu können. Für die FIFA ist der Media-Relations-Verantwortliche nun in Russland fünf Wochen lang zuständig für die Kommunikation der Schiedsrichter und jene betreffend Videotechnologie. Er werde stark gefordert sein in diesen Wochen, alles müsse parat sein, die Abläufe stimmen. «Ein moderner Fussball ohne Videotechnologie ist für mich heute unvorstellbar», sagt Giovanni Marti, davon würden sich auch jene ein Bild machen können, welche die Technologien noch in Frage stellten. Der Video-Beweis wird eine grosse Hilfe sein, ist er sich sicher: «Der Grundgedanke hinter dem Video-Schiedsrichter ist, für mehr Gerechtigkeit im Spiel zu sorgen. Und wir wollen mehr Ehrlichkeit im Spiel, korrektere Ergebnisse. Wir wollen die Institution Fussball schützen, die Schiedsrichter schützen. Kein Schiedsrichter ist nur ein Schiedsrichter, er ist immer auch ein Mensch.» Aber es gehe auch um den Schutz der Spieler, die oft über Jahre auf die WM hingearbeitet hätten. Deren Arbeit solle nicht in einer Sekunde zunichtegemacht werden, weil der Unparteiische mit seinem menschlichen Auge etwas übersehe.

Giovanni Marti ist zuversichtlich und voller Vorfreude. Für ihn, der als Sechsjähriger seine erste WM 1978 im Fernsehen mitverfolgt hat, sich noch genau an den 3:1-Sieg der Argentinier gegen Holland erinnern und alle Weltmeister und Austragungsorte seit 1930 aufzählen kann, wird es die erste WM sein, die er aktiv mitgestaltet. Vor vier Jahren nämlich war er zwar startklar für die Spiele in Brasilien, doch Söhnchen Tiago kam später als geplant auf die Welt, erst vier Tage vor dem Eröffnungsspiel. «Ich bekam meine ganz persönliche WM-Trophäe», erzählt der stolze Vater. Töchterchen Alessia folgte zwei Jahre später.

Auch wenn ein Leben ohne Sport für Giovanni Marti nicht denkbar ist, so gibt es etwas, das ihm noch viel wichtiger ist. Es ist die Familie, die sein Ein und Alles ist. Sie wird auch sein einziger Wermutstropfen sein, wenn er in Moskau weilt. Weil er dann fünf Wochen getrennt ist von seinen Liebsten.

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