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33/2018 Zwischen Zentrifugalkraft und Gravitation

Von adminZoZuBo ‒ 16. August 2018

Zwischen Zentrifugalkraft und Gravitation

Die Faszination des Poledance am eigenen Leibe erfahren und staunen über die Überwindung der Schwerkraft.

Ich hätte mich für Sportangeln entscheiden können und stundenlang einfach nur rumstehen müssen. Ich hätte mich für Denksport entscheiden können und ganz konzentriert im Sitzen mehrere Sudokus gelöst.

Aber ich habe ja bei Poledance die Hand gehoben. Das muss ein spontanes – mit dem Gehirn nicht abgesprochenes – Muskelzucken gewesen sein. Aber ich kneife nicht und rufe Claudia Gutierrez an. Sie gibt im Freizeitzentrum Zumikon Poledance-Kurse und will mich in die hohe Kunst des Stangentanzes einweisen. «Wir beginnen mit einem kleinen Warm-up», strahlt sie mich an. Und schon legt sie los: «Planking», Liege­stütze (bei mir eher so Lügestütze), Sit-ups, Stretching. Auf den Bauch. Auf den Rücken. Hoch mit dem Po. Bauch anspannen. Höher den Po. Claudia versucht, sich mit mir zu unterhalten. Dafür reicht mein Atem jetzt echt nicht. Mir ist warm. Definitiv. Ehrlich gesagt würde mir das jetzt als Sporteinheit schon reichen. Ich könnte zufrieden in die Sauna gehen, meinen inneren Schweinehund fett angrinsen und sagen: «Dir habe ich es aber heute wieder gezeigt, was?» Aber nein. Jetzt geht der Spass erst richtig los.

Rosa. Mit weissen Herzen.

Claudia hatte mir vorab durchaus gesagt, dass ich eine kurze Hose mitbringen soll. Sie selber trägt eine silberne Hose – wahrscheinlich Kindergrösse 164. Da ich es aber eigentlich ablehne, ausserhalb von Strand- oder Freibädern eine Hose ohne Bein zu tragen, schlage ich vor, dass ich einfach meine bequeme Jogginghose hochkremple. «Das passt schon», finde ich.

Findet Claudia nicht. Sie winkt ab. Hat sie schon so etwas geahnt? Oder warum zaubert sie eine Ersatzhose hervor? Sehr kurz. Rosa. Mit weissen Herzen. Genau mein Stil. Ich füge mich meinem Schicksal und frage mich sofort, warum eigentlich nicht alle Vorhänge im Spiegelsaal des Zumiker Treffs zugezogen sind. Da kann ja jeder reinschauen. Im Zweifelsfall werde ich mich einfach flach auf den Boden fallen lassen. Oder bald zügeln müssen. Wir beginnen mit der ersten Übung. Ich halte mich mit einer Hand an der Stange fest und gehe im Kreis um sie herum. Das kann ich. Das könnte ich stundenlang machen. Das ist mein Sport. Ich muss noch nicht mal auf meine Füsse schauen. Claudia, die auch Zumba unterrichtet, korrigiert mich leicht. Eigentlich soll ich nicht nur gehen, sondern leicht die Fussspitzen über den Boden schleifen lassen. So eine Art vornehmes Schlurfen. Kann ich auch. Habe ich etwa meine Bestimmung gefunden? Claudia erahnt mein ungeheures Talent und es folgt Stufe zwei. Ich lasse mich auf ihr Geheiss beim Gehen nach aussen fallen, die Hand natürlich weiter an der Stange. Ich erlebe, wie Zentrifugalkraft funktioniert. Ich werde quasi um die Stange gewunden. Leider sieht es bei mir nicht ganz so gewollt und graziös aus wie bei meiner Personal Trainerin.

Egal. Jetzt kommt nämlich erst die eigentliche Herausforderung. Ich soll die Schwerkraft besiegen. Sprich an der vertikalen Stange sitzen. In der Luft. Ich lache kurz. Doch Claudia meint es ernst. Sie dirigiert mein Bein, gibt Anweisungen und schon sitze ich wirklich in der Höhe und schaffe es, mich in den Stand zu ziehen. Habe ich da gerade ein «Sehr gut» gehört? Okay: Mein Körper ist schon wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen, aber meine Stimmung ist immer noch «over the top». Ich gebe es zu: Besser wird es heute nicht mehr. Mehrfach schaffe ich es: Ich kann da oben stehen. Die Anweisung, doch mal die Hände zu lösen und mich nur mit den Beinen zu halten, verstehe ich zwar. Doch meine Hände weigern sich einfach, die Stange loszulassen. Sie scheinen meinen Beinen nicht zu trauen. Der Geist ist willig, aber das Fleisch schwer.

Blaue Flecken inklusive

Staunend sehe ich zu, wie Claudia Gutierrez ein paar Tricks an der Stange zeigt. Es sieht so einfach aus. So leichtfüssig wie die südamerikanische Musik, die aus den Boxen tönt. Ich schleppe mich zu meinem Block, tue so, als müsste ich mir ein paar Notizen machen. Meine Brille ist beschlagen. Ausserdem tun meine Hände weh. Bei jeder neuen Figur hole man sich blaue Flecken. Das gehöre einfach dazu, gibt die Trainerin zu. Kurz: Man (oder eben frau) müsse es wirklich wollen. Konzentration und Kampfgeist müssten mit im Gepäck sein.

Ich kenne einige Männer, die ihrer Frau stehenden Fusses eine Stange ins Schlafzimmer zimmern würden, wenn diese sich für Poledance ­interessieren würde. Bei Claudia Gutierrez war es genau anders. Als sie ihrem Ehemann von ihrer neuen Lieblingssportart erzählte, wollte er es ihr verbieten. Wer aber dieses kolumbianische Energiebündel vor sich sieht, ahnt schon: Die lässt sich nicht einfach etwas verbieten. Und so nahm sie Kurs um Kurs und gibt seit einigen Jahren selber welche. Zum Beispiel auch «Exotic Pole­dance» – mit High Heels. Das sei eher ein bisschen lasziver. Ein bisschen weiblicher. Sie habe auch für mich ein paar schöne hohe Schuhe. Ob ich die nicht mal eben überstreifen wolle. Ich denke «sicher nicht», sage aber freundlich: «Nein, schon gut. Ich habe schon genug Erfahrungen für meinen Text.»

Und Erinnerungen habe ich auch reichlich. Drei Tage lang. In den Oberarmen, in den Oberschenkeln, in den Waden. Nein. Ich brauche keine Poledance-­Stange im Schlafzimmer. Aber ein grösserer Kleiderschrank wäre schön.

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