5/2019 In den allermeisten Fällen geht es gut. Aber nicht immer.

Von adminZoZuBo ‒ 1. Februar 2019

In den allermeisten Fällen geht es gut. Aber nicht immer.

Unter der Moderation von Esther Meier (2.v.l.) diskutierten Claudia Jucker, ­Thomas Manhart und Jacqueline Fehr über den Justiz-­Alltag. (Bild: mmw)

Täter gefasst – was nun? Die SP Zollikon lud zum Diskussions­abend, der Einblicke in den Justiz-­Alltag gab.

Es ist das Sonntagabendprogramm vieler Schweizer schlechthin: Gebannt den Geschehnissen des «Tatort» folgen, mittüfteln, wer wohl der Täter ist, mitverfolgen, wie die Kriminalpolizisten Puzzlestück um Puzzlestück zusammenfügen, um schlussendlich den Fall zu lösen, was bedeutet, den Täter zu verhaften. Damit endet die Geschichte jedes «Tatort», die Polizei hat ihre Aufgabe erledigt, der Zuschauer geht ins Bett, mal zufrieden, eine spannende ­Geschichte erhalten zu haben, mal genervt über die vielleicht nicht immer ganz der Realität entsprechenden Fälle und wirren Verstrickungen. Noch lange nicht zu Ende aber ist die Geschichte, die nun nicht mehr über das Fernsehgerät flimmert, die aber mit jedem aufgeklärten Fall erst beginnt: jene der Justiz. Was genau passiert nun, wenn der Täter überführt wurde? Wie wirken die Justizorgane der Staatsanwaltschaft, des Strafvollzugs und der Justizdirektion im Kanton Zürich zusammen?

Mit diesen Fragen befasste sich am Montagabend die SP Zollikon, die mit Experten Einblicke in den Justiz-­­Alltag bot. Unter der Moderation von Kantonsrätin Esther Meier, die Mitglied der Justizkommission des Kantonsrats ist und sich im Frühling erneut zu Wahl stellt, gewährten Regierungsrätin ­Jacqueline Fehr, Direktorin der Justiz und des Innern, Thomas Manhart, Leiter des Amts für Justizvollzug des Kantons Zürich, und Staatsanwältin Claudia Jucker Einblicke in ihre Arbeit.

Gewählt hat Esther Meier dieses Thema, weil das Wissen über die Funktionsweise klein, das Zusammenwirken der Organe mitunter kompliziert sei und auch die Medien nur in spektakulären Fällen wie dem Fall «Carlos», dem Fall «Flaach» oder jüngst dem Vierfachmord von Rupperswil über die Arbeit der Justiz berichten würden, wie sie in ihren einleitenden Worten festhielt. Der chronologischen Abfolge entsprechend übergab sie das Wort anschliessend der jungen Staatsanwältin, deren Arbeit nach einer Straftat als erstes ins Spiel kommt. Claudia Jucker machte klar, dass bei ihr, die sie nicht mit den schweren Kriminalfällen zu tun habe, nur gerade zehn Prozent der Fälle überhaupt ans Gericht kämen. Häufig sei sie als Staatsanwältin selbst Richterin, dann nämlich, wenn sie einen Strafbefehl erlasse. Ihre Arbeit sei eine sehr spannende, aber auch eine, die viel mit Aktenstudium zu tun habe: «Es gibt Tage, da habe ich nur Aktenberge vor mir stehen.»

Vorwurf der Kuscheljustiz

Als Staatsanwältin hat Claudia Jucker festzustellen, ob es genug Beweise und Beweismittel gibt, damit ein Strafverfahren weitergeführt wird. Sie zeichnet für die Strafuntersuchung verantwortlich. Kommt der Fall vor Gericht, trägt sie ihre Anklage gegen die beschuldigte Person vor. Nun kommt die Richterin oder der Richter ins Spiel, die sich die Anklage anhört, allenfalls zusätzliche Gutachten erstellt und schlussendlich ein Urteil fällt. Womit der Ball bei Jacqueline Fehr lag. Von der Regierungsrätin wollte ­Esther Meier wissen, was sie vom System der Richterwahl halte, und kam damit auf die aktuell laufende Justiz-­Initiative zu reden, die verlangt, dass Bundesrichter nicht mehr von der Bundesversammlung gewählt, sondern durch das Los ­bestimmt werden sollen. Heute nimmt die Wahl der Bundesrichterinnen und -­richter freiwillig Rücksicht auf die Proporzansprüche der grossen politischen Parteien. Die Justiz-­Initiative will die Justiz von der Parteipolitik unabhängiger machen. Die SP-­Politikerin sagte, dass die vielfältige Zusammensetzung durchaus ihren Sinn habe. «Ich kann aber nicht leugnen, dass es viele Probleme gibt», so Jacqueline Fehr.

Die Moderatorin kam zurück auf den chronologischen Ablauf, und somit auf den Strafvollzug, der bei einem gesprochenen Urteil vollzogen wird. «Die Zuständigkeit der Justizvollzugsbehörde fängt aber bereits bei der Untersuchungshaft an», klärte deren Leiter Thomas Manhart auf. In der Untersuchungshaft im Gefängnis Pöschwies sitzen jene Leute, die noch nicht verurteilt sind. Die Haftgründe, führte ­Thomas Manhart aus, seien Kollisionsgefahr und Fluchtgefahr: «Wenn diese Bereiche wegfallen, müssen wir die Personen aus der Unter­suchungshaft aber entlassen.» Dies würde dem Justizvollzug oft den Vorwurf der «Kuscheljustiz» einbringen.

Haft alleine ändert niemanden

Die Runde thematisierte daraufhin auf den Strafvollzug und diskutierte, wie ein solcher heute daherkommen soll. «Die beiden Aufträge des Justizvollzugs sind sowohl die Strafe als auch die Sühne», sagte die Justizdirektorin Jacqueline Fehr, «wir müssen die Täter auch auf ein Leben nach der Haft vorbereiten, schauen, dass diese Leute danach mit ihrem Leben zurechtkommen.» Dies sei eine schwierige Balance, aber eine wichtige, kämen doch 99 Prozent der Straftäter wieder in Freiheit. Das gut 30-­köpfige Publikum horchte auf, als die Regierungsrätin es mit der Frage konfrontierte, wen es denn lieber als Nachbarn hätte: «Eine Person, die in Haft gedemütigt wurde, die gebrochen und voller Hass und Rachegelüste ist? Oder eine, die auf dein deliktfreies Leben vorbereitet wurde?» Für Jacqueline Fehr ist klar, dass es dabei nicht um eine Frage der Empathie geht, sondern darum, einen Täter zu strafen, die Freiheitsstrafe aber auch zu nutzen, um mit den Inhaftierten daran zu arbeiten, dass sie sich zukünftig an die Regeln halten und diese nicht mehr brechen würden. Und auch für den Leiter des Justizvollzugs ist klar: «Personen ändern sich nicht durch die Haft, sondern nur dann, wenn sie bereit sind, an sich zu arbeiten.» Einsperren allein bringe nichts, es könne sogar das Gegenteil bewirken, weshalb es umso wichtiger sei, dass Resozialisierungsprogramme bereits in der U-­Haft sowie im Strafvollzug stattfinden. Gemäss Thomas Manhart besteht in diesen Bereichen noch «viel Luft nach oben».

400 Mal öffnet Gefängnistür

In der anschliessenden Diskussionsrunde meldete sich auch Vera Rottenberg Liatowitsch zu Wort, die erste jüdische Bundesrichterin der Schweiz war. Ihre Erfahrung habe ihr gezeigt, dass sich im Einzelfall die Parteiunterschiede am Bundesgericht verwischten. Zudem würde die Zuteilung der Fälle nach dem Zufallsprinzip erfolgen, die grosse Zahl stelle ein gutes Gleichgewicht der Verteilung her. Angesprochen wurde auch der offene Vollzug und mit ihm die Frage, wann sich eine Resozialisierung lohne und wie teuer diese werden dürfe.

400 Mal pro Jahr geht im Kanton Zürich die Gefängnistüre auf, wird jemand entlassen. In den allermeisten Fällen geht es gut. Aber nicht immer. Dieses Spannungsfeld bleibt und müsse immer wieder diskutiert werden, fand Jacqueline Fehr. Erst kürzlich, so erzählte sie beim anschliessenden Apéro, habe sie mit einer Mutter gesprochen, deren Sohn ermordet wurde. «Da kann ich unseren Rechtsstaat und unser Justizsystem noch so lange erklären», sagte die Regierungsrätin, der Wunsch, den Täter lebenslang wegzusperren und nie mehr in Freiheit zu sehen, bleibe. Und dies sei absolut verständlich. (mmw)

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