06/2019 Der Lesekreis als Kür

Von adminZoZuBo ‒ 7. Februar 2019

Der Lesekreis als Kür

Freitags wird bei Marianne Skrezek gelesen, diskutiert und philosophiert: «Wer eine Sprache erlernt, betritt Neuland.»

Sie ist in Deutschland geboren, lebte einige Zeit in Spanien, kam in die Schweiz: Wo die geographische Heimat von Marianne Skrezek liegt, ist egal. «Meine Heimat ist die Sprache», stellt sie fest. «Die hochdeutsche Sprache», ergänzt sie. Und deswegen bietet sie beim Freizeitdienst Zollikerberg nicht nur Deutschkurse an, sondern auch einen Lesekreis für Fremdsprachige. Natürlich ist es wichtig, die Bausteine zu lernen. Subjekt, Prädikat, Objekt. Konjugieren, deklinieren. Grammatik eben. Das ist die Pflicht. Die Kür aber ist es, eine Sprache zu leben. Wir denken in Worten, geben unseren Gefühlen Namen. «Wer eine fremde Sprache erlernt, betritt Neuland. Die Muttersprache bekommen wir geschenkt. Jede weitere Sprache müssen wir uns hart erarbeiten», beschreibt sie. Wer Neuland betritt, muss zunächst Vertrautes loslassen. Das erfordert Entschiedenheit und Mut. Und so kommen am Freitag schon früh Frauen aus dem europäischen Ausland – England, Griechenland, Italien, Spanien – zu ihr und es wird gelesen, interpretiert, diskutiert. Selbstverständlich werden die unterschiedlichsten Genres angeboten: Lyrik, philosophische Texte, Belletristik und auch Zeitungsartikel. «Besonders gut kommen auch Märchen und Fabeln an», erzählt sie. Marianne Skrezek mag Worte und wenn ihr selber gerade eines nicht sofort in den Sinn kommt, stellt sie mit grossen Augen fest: «Jetzt habe ich schon Wortfindungsstörungen!» Und dann lacht sie, und es scheint, als wäre dies für sie vor allem amüsant.

Taschengeld aufgebessert

Schon früh hat sie als Deutschlehrerin angefangen. «Mit 12 Jahren habe ich den i-Männchen, also den Erstklässlern, beim Schreiben und Lesen geholfen, um mein Taschengeld aufzubessern», erinnert sie sich, «und die ersten Gedichte und Texte schrieb ich mit 13.» Das war im erzkatholischen Münsterland. Sie hielt es nicht lange dort aus. Mit 17 Jahren verliess sie das Elternhaus, machte in Göttingen ihr Abitur. Zum Studium ging es nach West-Berlin. Die damals noch geteilte Grossstadt wird zu ihr gepasst haben. Ihr Gegenüber kann sich schnell vorstellen, dass die junge Studentin der Germanistik und Romanistik vieles ausprobiert hat, intensiv gelebt hat. Jetzt lebt sie in Zollikon und vermisst die Urbanität überhaupt nicht. Dabei würde sie optisch hervorragend in Galerien, Kunstausstellungen, Lesungen passen. Sie hat das alles gehabt. «Ich bin gerne provinziell. Ausserdem habe ich genug eigene Abgründe, ich brauche die Grossstadt nicht mehr», stellt sie fest. Und das eigene Schreiben?

Mit einem Schweizer Filmregisseur, für den sie das Drehbuch schrieb, ging es erst nach Nordspanien, dann nach Zürich, danach Stuttgart, Tübingen. Sie schrieb Lyrik, Kurzgeschichten, Katalog – und Ausstellungstexte für befreundete Künstler. «Über ein Taschengeld kam ich damit nie hinaus», resümiert sie, «und der Deutschunterricht an Sprachschulen, für Firmen und Private gewährleistete ein kleines Auskommen.» Später dann, mit ihrem ersten Ehemann und zwei Söhnen, ging es nach Zollikon. Die Zeit mit den Kindern, meist alleine zu Haus oder im Wald, habe ihr im wahrsten Sinne die Sprache verschlagen. «Meine Jungs, Zwillinge, konnten es nicht ausstehen, mich am Schreibtisch zu sehen. Sie sind auf die Barrikaden gegangen, um mich da wegzuholen. Und darin waren sie ein gutes Team», erinnert sich die Frau mit dem so aufmerksamen Blick. Sie hat zwar aufgehört zu schreiben. Doch sie fand einen anderen Weg sich auszudrücken, und zwar mit Stein- und Tonskulpturen, mit grossformatigen Aktzeichnungen. Zu sehen war sie damit auch schon in der Villa Meier-Severini.

Wandeln, Schlendern, Flanieren

Es ist kurz vor neun Uhr an einem nebligen Freitagmorgen. Die ersten Frauen des Lesekreises kommen dick vermummt in den Freizeitdienst. Es wundert wohl nicht, dass es ausschliesslich Frauen sind. «Das ist gut so», urteilt Marianne Skrezek. Wunderbar könnte so der weibliche Blick diskutiert und thematisiert werden. «Ich selber bin grundsätzlich gut auf Frauen zu sprechen, – das kommt aber leider nicht immer an.» Sie erinnert sich an die Zeit als sie, bald alleinerziehend mit den Zwillingen, nicht nur gute Erfahrungen mit anderen Frauen machte. «Das ist eine Frage des Esprits.» Sie schiebt das Thema mit einer Handbewegung zur Seite. Lieber wendet sie sich wieder der Sprache zu und schon ist man mit ihr in einer Diskussion über die Unterschiede von Wandeln, Schlendern und Flanieren. Die Nuancen in der Bedeutung bringen ihre Augen zum Leuchten. Da wird Sprache ganz spannend. Und was ist wohl der Unterschied zwischen Langeweile und Musse? Beides bedeutet Nichtstun. Lange war der Müssiggang verpönt – in der Zeit der Entschleunigung bekommt er plötzlich ein neues Image. Langeweile ist eindeutig negativ. «Ich hätte gerne mal Langeweile, habe aber irgendwie keine Zeit dazu», lacht Marianne Skrezek und wendet sich den Kursteilnehmerinnen zu. (bms)

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