Von adminZoZuBo ‒ 21. Februar 2019
Begegnung wie im Paradies (Bild: © trigon-film.org)
Vater und Sohn sind beide Aussenseiter und Einzelgänger. Können sie trotzdem zusammenfinden? Ein neuer türkischer Spielfilm gibt Antworten.
Diese Woche erreicht uns mit «Der Wildbirnbaum» ein schöner und stimmiger Spielfilm aus der Türkei. Regie führte nicht irgendwer, sondern der Gewinner der Goldenen Palme von Cannes aus dem Jahr 2014, Nuri Bilge Ceylan. Das neue Werk des 60-jährigen türkischen Regisseurs ist allerdings nichts für nervöse Zapper: Während gut drei Stunden breitet der Künstler geduldig die Geschichte von Sinan aus (gespielt von Aydin Doğu Demirkol), einem jungen Mann, der nach seinem Studium in seine im Westen der Türkei gelegene Heimatstadt zurückkehrt und dort seinen ersten Roman mit dem Titel «Der Wildbirnbaum» veröffentlichen will. Die Wildbirne ist bekanntlich ein sommergrüner Baum, der von April bis Mai blüht und dessen Holz schwer, nur wenig elastisch, aber dauerhaft ist. Wildbirnen-Holz ist, weil sehr selten, sehr begehrt. Und anders als bei den Kulturformen sind die Äste mit Dornen besetzt. Im Obstgarten symbolisiert der Birnbaum das Männliche.
So hat der junge Autor denn wohl unbewusst genau den richtigen Titel gewählt für seinen Erstling, der seine Heimat und die darin vorkommenden Personen beschreibt und deutet. Zuvorderst seinen Vater (Murat Cemcir), einen scheinbar heruntergekommenen Lehrer, der der Wettsucht verfallen ist und bereits den grössten Teil seines Hab und Guts verspielt hat.
… offenbart sich in seinem Sohn. Und dass ausgerechnet dieser Vater am Ende der Schlüssel zu seiner Erlösung werden würde, hätte sich der junge Mann bestimmt nicht träumen lassen. Denn dessen Wettschulden scheinen unüberwindbar hohe Hürden für die Finanzierung des Romanvorhabens aufzutürmen. Dies wiederum erfordert eine schier endlose Odyssee mit einer Vielzahl von Begegnungen mit potenziellen Geldgebern und Sponsoren. Darunter ein lokaler Politiker, ein als Mäzen auftretender Unternehmer, ein Autor bzw. Intellektueller, der es geschafft hat und Erfolg hat, zwei Imame und weitere Personen mehr. Es hat aber alles keine Eile oder es braucht alles seine Zeit. Geduldig sind auch die Einstellungen, und der Wind hat Zeit, durch die Blätter der Bäume zu streichen. Während alldem erhält der westliche Zuschauer auch einen Einblick in die türkische Lebensart und in türkische Verhaltensweisen.
Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es. Diese Erfahrung muss auch Sinan machen, bevor er sich seinem Schicksal ergibt und es akzeptiert. Nuri Bilge Ceylan legt mit «Der Wildbirnbaum» ein weiteres grosses Werk vor. Der Rezensent fühlte sich stellenweise an filmische Meilensteine wie «Cristo si è fermato a Eboli» oder «Zorbas the Greek» erinnert. Wer also genug Zeit hat, dem sei der knorrige und unbeugsame Wildbirnbaum wärmstens empfohlen.
Daniel Frey
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