Von adminZoZuBo ‒ 20. September 2019
Kennt Zollikon wie seine Hosentasche: Martin Hübner führte während drei Stunden durchs Dorf und hatte einiges zu erzählen. (Bild: cef)
Heute haben die Dörfler nur noch wenige Einkaufsmöglichkeiten. Das war vor gut 70 Jahren noch ganz anders. Der Verschönerungsverein ermöglichte einen Rundgang durch Zollikon Dorf, auf der Spurensuche der «Lädeler» der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.
Es strömten immer mehr Menschen, alt und jung vergangenen Samstagnachmittag in Richtung Dorfbrunnen beim Gasthaus zum Rössli. Die traditionellen Rundgänge, organisiert vom Verschönerungsverein, sind schon lange kein Geheimtipp mehr. Eine richtige Fangemeinde freute sich, zusammen mit den geladenen Neuzuzügern, auf die Worte von Martin Hübner, dem Zollikon-Kenner par excellence und langjährigen Rundgangleiter.
Bei herrlichstem Sonnenschein wurden die fast 80 Personen vom Präsidenten des Verschönerungsvereins Markus Diener begrüsst. Und der gewählte Versammlungsort war auch geschichtlich bereits interessant. Martin Hübner berichtete über die vier Geschäfte, die rund um das «Rössli» ihren Platz hatten. Im «Rössli» selber war damals die Metzgerei Ilg beheimatet, die auch das gleichnamige Gasthaus führte. Im Haus rechts gegenüber war die Drogerie Maurer, später Meier und im gleichen Gebäude der Schumacher Stummer – später Köfer –, dort wo sich heute das Bed & Breakfast Hotel Zollikon befindet. Gleich auf der Gegenseite waren der Uhrenmacher Maurer sowie der Lebensmittelverein Zürich, der Vorgänger des Coop, untergebracht und seit Anfang der Siebzigerjahre wirkt dort auch die Familie Keinath mit ihrem Innendekorationsgeschäft.
Zu bedenken gab Martin Hübner gleich zu Beginn, dass im Mittelalter die Zolliker reine Selbstversorger waren. Sie lebten von dem, was sie selbst anpflanzten oder aufzogen. Allerdings buken nicht alle Leute ihr Brot selbst oder durften schlachten, sondern mussten Brot und Fleisch vorschriftsgemäss einkaufen. Im 16. Jahrhundert dann durfte der Rössliwirt zwar für sich und seine Gäste backen, aber extern verkaufen durfte er seine Produkte nicht. Wer Brot kaufen wollte, musste nach Küsnacht oder in die Stadt. Innerhalb einer Wegstunde ausserhalb der Stadt galt: kein Brotverkauf.
Nicht immer aber hielten die Zolliker sich an die Vorschriften. Untervogt und Hauptmann Himmler schilderte der Regierung 1709 die Lage so drastisch, dass der Rat dem Zolliker Wirt das Recht einräumte, «zu Trost und Notdurft der armen Gemeinde allda Brot backen und zu verkaufen».
Der Gesellenwirt hatte also eine Bewilligung als «Fogetzer» (Kundenbäcker) und «Feiler» (Brothändler) zugleich, jedoch ohne Kleingebäck. Deshalb mussten die Süssigkeiten wie «Züri-Chrapfe» oder «Züri-Murre» aus der Stadt Zürich geholt werden.
Ähnlich erging es den Metzgern, jede Kirchgemeinde war ein Metzgkreis, ein sogenannter «Gäu». Das Fleisch musste innerhalb des «Gäu» verkauft werden. Blieb das Fleisch jedoch länger auf dem Verkaufstisch liegen, war es schwierig, es loszuwerden. So versuchten die Zolliker Metzger, das Fleisch in der Stadt zu verkaufen. Doch die Zürcher Konkurrenz wehrte sich vehement und brachte die Räte und den Bürgermeister dazu, auf Fleisch «Schmuggel»-Bussen und sogar Gefängnisstrafen zu verhängen.
Alle anderen Güter mussten auf den Märkten, in Lagerhäusern und bei Ausrufern (Hausierern) in der Stadt gekauft werden. Marktregeln, erlassen von den Stadtoberen, schrieben dies vor – kein Handel auf dem Lande. Erst 1794 fingen sich die Einwohner am Zürichsee an zu wehren und forderten die Gleichberechtigung mit dem Schreiben «Stäfnerhandel». Doch das brachte die Rebellierenden ins Gefängnis oder sie wurden vertrieben, bevor um 1800 im Zeitalter der Helvetik die Gewerbefreiheit eingeführt wurde. Es gab also keine Restriktionen mehr und in den Dörfern auf dem Lande etablierten sich nach und nach die Dorfläden und Hausierer.
Nach dieser Einführung machte sich die Gruppe auf in Richtung Dorfzentrum, um in den nächsten zweieinhalb Stunden, die damals weit weg voneinander gelegenen Einkaufsmöglichkeiten zu erkunden. In Zollikon Dorf gab es zur Mitte des 20. Jahrhunderts acht Lebensmittel- und ein Spezialitätengeschäft, sechs Bäckereien, drei Metzgereien und vier Milchläden.
Der zweite Halt brachte die Gruppe an die Alte Landstrasse unterhalb des Buchholzschulhauses. Dort erzählte Martin Hübner von den Bäckereien Wolgensinger, Gut, Tanner, Meier und Känzig. Letzterer blieb Zollikon treu und kommt noch immer jeden Samstag an den Wochenmarkt. Die Gemeinde hatte sogar lange Zeit bis in die Neunzigerjahre das Comestibles-Geschäft René Albrecht. Gerade über die Strasse befand sich das Milch-/Käsegeschäft E. Schleit und A. Sturm. Weiter vorne in Richtung Küsnacht an der Alten Landstrasse/Dorfplatz war die Witwe Nägeli mit ihren Mercerieartikeln zuhause, dem heutigen Standort der Bäckerei Hausammann. Karl Krüsis Molkerei, heute die Besser Optik, war ein beliebter Einkaufsort auch für die Kinder. Sein Bruder Robert hatte ebenfalls eine Molkerei an der Ecke Bergstrasse/Rotfluhstrasse.
Von da ging’s in Richtung Kleindorf, da war die Denner-Filiale unter der Leitung von Frau Streuli. Was kaum jemand weiss: Das allen bekannte Unternehmen hat seinen Ursprung in Zollikon. Heinrich Reiff-Schwarz aus Greifensee gründete 1860 die Unternehmung «Reiff-Schwarz, Mercerie und Spezereihandel». 1863 wurde Jakob Pfister Teilhaber. Der Name Denner kam vom Schwiegersohn von Reiff-Schwarz, der 1881 zum Inhaber wurde. Mit weiteren familiären und partnerschaftlichen Veränderungen zwischendurch, erwarb im Jahre 1946 die Import- und Grosshandels AG die Unternehmung. Beteiligt am Kauf war damals Verwaltungsrat Karl Schweri aus Koblenz. Obwohl er 1947 wieder aus der Unternehmung austreten musste, wurde er 1951 durch den Kauf der Aktienmehrheit neuer Besitzer und nannte sie neu Denner AG.
Weiter ging der Rundgang in Richtung See zum Gstad, wo beispielsweise die Schreinerei J. Rey ansässig war und sich auf Skis und Särge spezialisierte. Am Dufourplatz dann befand sich im Hause Leemann die Bäckerei Ernst, Denner Lebensmittel, geführt von Frau Ott, sowie die Metzgerei Nyffenegger.
Auch die Metzgerei Kratzer, etwas oberhalb an der Ecke Rainstrasse/Alte Landstrasse gelegen, möchte erwähnt sein. Metzgermeister Grossvater Kratzer wechselte anfangs der Sechzigerjahre zurück in den Zollikerberg, wo sein Geschäft heute bereits unter Mitwirkung der vierten Generation weiter besteht. Das Geschäft im Dorf hingegen wurde von Familie Ledermann übernommen und bis vor vier Jahren geführt. Von der Bergstrasse via Oberdorfstrasse ging es direkt zur Rotfluhstrasse in Richtung Höhestrasse 47, wo ebenfalls ein Denner von der Filialleiterin Fräulein Sonderegger geführt wurde.
Schlussendlich, nach fast drei Stunden Rundgang und der Besichtigung von über 40 ehemaligen Einkaufsgeschäften aus den Fünfzigerjahren, stärkten sich die Gäste im Garten des Gemeindehauses bei wohlig warmen Temperaturen. Gemeinderat Martin Hirs begrüsste die vielen Gäste und freute sich über die so rege Teilnahme. Ein edler Umtrunk mit Wurst oder Gemüsespiessli vom Grill wurde von der Gemeinde offeriert. (cef)
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