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Ein volles Haus und ein grosses Herz

Von Tobias Chi ‒ 19. Dezember 2019

Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Familie. Monica Kämpfen setzt diese Werte auf bemerkenswerte Weise um – und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

Das Bauernhaus liegt mitten im Dorfzentrum. Es ist rund 500 Jahre alt, hat eine verwinkelte Architektur und zahlreiche Räume, verteilt auf vier Stockwerke. Die gebürtige Zürcherin Monica Kämpfen hat nach ihrer Hochzeit mit dem mittlerweile verstorbenen NZZ-­Journalisten Wilfrid Spinner das Haus in Zollikon bezogen. Aus dieser Ehe sind fünf Kinder hervorgegangen, die alle in dem grossen Haus aufgewachsen sind. Die Kinder sind mittlerweile erwachsen und haben teilweise selbst Familien gegründet. Man könnte meinen, dass Monica Kämpfens Haus durch den Wegzug ihrer Kinder leer geworden sei. Doch dem ist nicht so. «Unter diesem Dach wohnen momentan» – Monica Kämpfen geht in Gedanken die verschiedenen Zimmer durch – «zwei Afghanen, ein Mazedonier sowie ein Schweizer, der mir bei der Gartenarbeit hilft.» Auch einer ihrer Söhne lebt zurzeit wieder daheim und bewohnt das untere Stockwerk, wo zudem ein Mann aus Kuba einquartiert ist. Ihrem Sohn sei es ebenfalls wichtig, dass der Raum im Haus sinnvoll genutzt wird. «In Zollikon gibt es so viele grosse Häuser und Villen, in denen bestimmt viele Zimmer leer stehen», sagt die 79-­Jährige. «Wir wollen mit gutem Beispiel vorangehen und dadurch vielleicht den ­einen oder die andere zum Nachdenken über die sinnvolle Nutzung leerer Räume bewegen.»

Geglückte Integration

Im oberen Bereich des Hauses gibt es nur eine Küche. Entsprechend ist hier immer viel los. «Heute wurde hier bereits afghanisch gekocht», sagt Monica Kämpfen. Die Bewohner zahlen zwar alle eine Zimmermiete, doch handelt es sich je nach Einkommen oft nur um einen symbolischen Beitrag – was manche Bewohner mehr zu Gästen als zu Mietern macht. Einer der Afghanen habe vor kurzem eine Servicestelle bei Sprüngli am Paradeplatz gefunden, freut sich Monica Kämpfen. Der 29-­Jährige, der nun schon einige Jahre bei ihr wohnt, habe sich sehr schnell integriert und nicht nur Deutsch, sondern sogar «Züritüütsch» gelernt. Sein Landsmann habe eine Coiffeurlehre absolviert und unlängst einen eigenen Salon eröffnet – zwei geglückte Integrationsgeschichten also, die ohne ­Monica Kämpfens Unterstützung vielleicht nicht möglich gewesen wären.

Schon als ihre Kinder noch zu Hause wohnten, gab es immer noch Zimmer, um zusätzliche Kinder unterzubringen. «Neben meinen fünf Kindern hat immer mindestens noch ein Kind mehr bei uns gelebt», erzählt Monica Kämpfen. Es handelte sich um Klassenkameraden oder Kolleginnen der Mädchen, in deren Elternhäusern es gerade nicht so gut lief. «Es hat sich einfach ergeben, dass immer noch jemand bei uns wohnte», so die Wahl-­Zollikerin. Ihr ist schon bewusst, dass das vermutlich nicht jeder so machen würde. «Aber ich bin da nicht so kompliziert», sagt sie bescheiden.

Waschechte Walliserin

Monica Kämpfen ist in einer einfachen Wohnung in Zürich-­Hirs­landen aufgewachsen. Sie hat die Handelsschule in der Westschweiz absolviert und spricht deshalb sehr gut Französisch. Durch die Walliser Herkunft ihres Vaters ist sie auch eng mit Brig verbunden, wo sich übrigens auch das Familiengrab der Kämpfen befindet. «Dort werde auch ich dereinst begraben», sagt sie gelassen. An einem Walliser-­Anlass in der Stadt Zürich hatte sie damals ihren zukünftigen Mann kennengelernt. In eine Tracht gekleidet hatte sie den anwesenden Journalisten Wein ausgeschenkt. «Viele haben über mich gesagt: Schaut mal, das ist eine waschechte Walliserin», erinnert sie sich lachend.

Beim Erzählen enthüllt Monica Kämpfen immer wieder neue Aspekte ihres Engagements, womöglich ohne sich dessen bewusst zu sein. So erfährt man beiläufig von ihren Gefängnisbesuchen in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies, wo sie schon Deutsch-­ und Alphabetisierungskurse gegeben hat. Oder davon, dass sie eines der ersten Minergie-­Häuser der Schweiz erworben hat, das in Brig steht. Zum Glück bleibt der umtriebigen Frau bei all diesen Tätigkeiten auch noch Zeit für eigene Interessen. Sie hat ein grosses Flair für Sprachen – zum Beispiel ist sie aller vier Landessprachen mächtig – und knöpft sich jetzt noch Arabisch vor. Ausserdem spielt sie seit ihrer Kindheit Bratsche und Geige und ist mit verschiedenen Orchestern in der ganzen Schweiz herumgekommen. Diese Leidenschaft musste sie jetzt allerdings aufgeben, weil ihre Finger etwas steif geworden sind. Doch weil das Leben weitergeht, hat sie rasch ein neues Hobby gefunden: «Ich lese jetzt sehr vie

Nicht nur zur Weihnachtszeit

An Weihnachten ist das Haus, welches das ganze Jahr über so gut ausgelastet ist, besonders voll. Am 24. Dezember kommen alle fünf Kinder mit ihren Familien zu Besuch. Monica Kämpfen hat mittlerweile schon acht Enkel – «alles Buben!» Dann ist auch die Schwägerin, die im Nebenhaus wohnt, immer dabei, sowie ihre in Bern wohnhafte Schwester. Die vielen ausserfamiliären Mitbewohner sind natürlich auch herzlich eingeladen. So wie überhaupt alle, die an Heiligabend nirgendwo unterkommen. Das Problem ist einzig der Platz, sagt Monica Kämpfen etwas besorgt. Nur schon die von Jahr zu Jahr wachsende Familie unterzubringen, ist eine Herausforderung. «Ich bin froh, wenn alles klappt», sagt sie. «Zum Glück gehen mir alle, die kommen, zur Hand.»

Monica Kämpfen ist katholisch getauft, doch schaut sie immer kritischer auf die Religionen. Die christlichen Werte, nach denen sie lebt, allen voran die Nächstenliebe, nennt sie deswegen lieber Humanismus. «Um diesen zu leben, brauchst du nicht unbedingt eine Religion», sagt sie. Und Weihnachten sieht sie in erster Linie als ein Fest der Familie. Der christliche Hintergrund kommt vor allem im Liedgut zum Ausdruck: «An Heiligabend wird bei uns immer viel und lange gesungen», sagt Monica Kämpfen. Ansonsten gibt es einen kleinen Weihnachtsbaum, der auf einer uralten, sich drehenden Musikdose steht. Diese spielt «Stille Nacht» und «Ihr Kinderlein kommet». «Dann hören jeweils alle ganz andächtig und ruhig zu.» Das Essen ist jedes Jahr ganz schlicht: kalte Platten, Aufbackbrötli und später noch ein Dessert. «Wir betreiben keinen Luxus, auch an Weihnachten nicht», sagt sie.

Wer bis hierher gelesen hat, den wird es nicht erstaunen, dass Weihnachtsgeschenke im Hause Kämpfen schon lange abgeschafft wurden. Nur die Kinder werden noch beschenkt. Dafür geht Monica Kämpfen jeweils ins Brockenhaus in Altstetten, um Spielsachen zu kaufen. Das Wesentlichste ist es, diese einzupacken. «Der Inhalt ist für Kinder nicht so wichtig, Hauptsache, sie bekommen ein Päckli», sagt die achtfache Grossmutter und lacht.

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