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Auch Vegetarier dürfen Palatschinken essen

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 20. Februar 2020

Ob im eigenen Auto oder im Reisebus: Die Fahrten in die fernen Skigebiete waren immer anstrengend.

Grelle Farben waren in den 80er-Jahren das absolute Muss auf der Piste. Und angestossen wurde da noch brav mit Milch. (Bilder: privat)
Grelle Farben waren in den 80er-Jahren das absolute Muss auf der Piste. Und angestossen wurde da noch brav mit Milch. (Bilder: privat)

Sportferien gab (und gibt) es zwar nicht in Deutschland – Schnee aber schon. Und im Sauerland hatten wir auch die nötigen Hügel mit ausreichendem Gefälle. Meine ersten Skier waren Erbstücke aus Holz, ungefähr 1,80 Meter lang und besassen als Bindung eine Metallschlaufe, die hinten um die Schuhe gelegt wurde. Dazu trug ich eine Hose, die mit einem Gummi unter dem Fuss immer unangenehm drückte. Das klingt nach 1880 – war aber Realität in den 70er Jahren. Ohne jegliche Anleitung ging es bergab und ohne jeglichen Lift ging es am Rand der Piste mühsam wieder hinauf. Es gab keine ­Helme, es gab keine Thermounterwäsche, es gab keine Rückenprotektoren und die Handschuhe waren von Oma selbst gestrickt. Wenn es dämmerte, gingen wir heim. Dort gab es heissen Kakao. Die eiskalten Hände durften wir nicht auf die Heizkörper legen. «Das gibt Frostbeulen», behauptete meine Mutter stets.

Der ganze Haushalt musste mit

So wurde geübt für den ersten Familien-Skiurlaub. Da meine Eltern darauf bestanden, den eigenen Fernseher (samt Zimmerantenne), die eigene Kaffeemaschine und das eigene Bettzeug mitzunehmen, war der Wagen übervoll. Auf der nächtlichen Fahrt nach Zell am See wurde meine Mutter nicht müde, auf den verschneiten Landstrassen ungefähr alle 500 Meter zu vermuten, dass es bestimmt sehr glatt sei und dass es bestimmt besser wäre, nicht zu schnell zu fahren. Mein Vater ignorierte sie und ihre latente Hysterie stoisch. Darin war er recht geübt. Da meine Eltern dem Langlauf frönten, hatten meine Schwester und ich die Gelegenheit, die österreichische Küche mit Kaiserschmarren, Germknödel und Palatschinken kennenzulernen – wobei ich letzteren als Vegetarierin zunächst ablehnte.

Zeit vor dem Handy

Die Anreisen sollten in den kommenden Jahren nicht angenehmer werden. Per Bus und Reisegruppe ging es in die fernen Skigebiete. In der Nacht würden die Sitze des Busses zu Betten umgebaut, sodass man ausgeruht am Ferienort ankomme: So versprach es der Veranstalter. Die Sitze wurden auch tatsächlich umgebaut, aber eher in eine Art Regal. Platztechnisch ist jede MRI-Untersuchung luxuriöser. Dort lag man mit den Füssen des Vordermanns im Gesicht und dem Atem des Hintermanns im Nacken. Im besten Fall fiel man durch den Geruch beiderseits in eine Art Trance. Dazu gab es so sinnvolle Reime wie «Wir schlafen alle Arsch an Arsch und pupsen den Radetzkymarsch.» Jahrelange Erfahrungen zeigten: Alkohol hilft. Aber nur in geringen Mengen. Durch Mit­fahrer und -fahrerinnen, die eine Erleichterung durch Bier suchten, war das Bus-Klo nämlich oft schon nach den ersten drei Stunden am Fassungsvermögen angekommen. Am Morgen trennte sich dann die Spreu vom Weizen. Es gab die Mitfahrer, die sich trotz der unbequemen Nacht gleich aufmachten, das Skigebiet zu erkunden. Und es gab die Gruppe, die eher den geselligen Part in den Vordergrund stellte.

Die Skiurlaube mit Reisegruppen brachten wichtige Erkenntnisse: Mit wie wenig Schlag man auskommen kann, dass man sich auf dem Bügel des Schleppsitzes nicht hinsetzen sollte und dass man auch mit kiloschweren Skischuhen leichtfüssig zu sinnbefreiten deutschen Schlagern tanzen kann. Es war die Zeit vor der Handy-Kamera und vor peinlichen Filmchen und Fotos auf sozialen Medien. Höhepunkt dieser Reisen war stets der Abschlussabend samt Party. Nicht selten fanden dann überraschende Paare zusammen. Vielleicht war der Grund dafür: «Sehe ich ja eh nie wieder.» Vielleicht war es auch: «Wann, wenn nicht jetzt?»

Nun wohne ich herrlich nahe an den Bergen und könnte einfach mal am Wochenende auf die Skier. Kann ich meistens aber nicht. Die Tochter will am Samstagmittag ­unbedingt zu den Pfadfindern, der Sohn hat am Samstagmorgen ein Fussballspiel, eine Freundin feiert Geburtstag mit einem Brunch am Sonntag, der Mann will nachmittags eine Velotour machen. Also geht es dann doch wieder nur in den Sportferien auf die Piste. Geschichte wiederholt sich: Mit der eigenen Kaffeemaschine, der Gitarre und den eigenen Kuscheldecken ist der Wagen proppenvoll. Und es geht wieder nach Österreich. Natürlich nur wegen Kaiserschmarren, Germknödel und Palatschinken.

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