Von Anne-Käthi Rüegg-Schweizer ‒ 9. April 2020
Gedanken von Anne-Käthi Rüegg-Schweizer, Pfarrerin reformierte Kirche Zollikon.
Im Moment ist das Leben auf der ganzen Welt komplett anders als sonst. Vieles ist geschlossen: die Läden, die Restaurants, die Schulen, die Rat- und Gemeindehäuser, die Kirchgemeindehäuser, Theater, Kinos und Konzertsäle, Fitnessstudios, Freizeitanlagen, die Landesgrenzen. Der Flugverkehr wurde weitgehend reduziert, der öffentliche Verkehr eingeschränkt. Wer kann, arbeitet daheim. Eltern versuchen, ihre Kinder zuhause zu beschäftigen. Covid-19 hat das Leben massiv verändert.
Ist auch Ostern davon betroffen? Vom Kalender her sicher nicht. Das Osterfest ist vor dem Hintergrund der jüdischen Passahfeier entstanden. Seinen Termin legte das Konzil von Nicäa 325 so fest, dass es immer auf den Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond fällt. Im Jahr 2020 ist dies der kommende Sonntag, der 12. April.
In den Konditoreien und Läden scheint in Sachen Ostern auch in diesem Jahr alles wie sonst. Da warten wie immer unzählige Reihen von Schokoladeosterhasen und -ostereiern in ganz verschiedenen Grössen auf ihre Käuferinnen und Käufer. Ostern ist ein wichtiger kommerzieller Anlass. Ob der Verkauf auch in diesem Jahr wirklich so gut läuft wie üblich, lässt sich allerdings noch nicht sagen. Anders wird es in diesem Jahr jedoch für die Tourismusbranche sein. Da fallen die Kurztrips über die Ostertage weg, der Stau am Gotthard wird vielleicht fehlen. Insofern werden die diesjährigen Ostertage sicher kommerzielle Veränderungen mit sich bringen.
Und wie steht es mit der religiösen Bedeutung von Ostern für die Menschen von heute? Ist diese von der momentanen Krise betroffen?
An Ostern feiern die Christinnen und Christen die Auferstehung Jesu Christi. Theologisch gesehen ist Ostern tatsächlich das wichtigste christliche Fest, da es ohne Auferstehungserfahrungen nach dem Kreuzestod Jesu keine Evangelien und keine Kirche gegeben hätte. Gleichwohl hat das weitaus später entstandene Weihnachtsfest dem Osterfest in unserer Tradition sozusagen den Rang abgelaufen. Die Besucherzahlen der Gottesdienste an Weihnachten liegen weit höher als an Ostern und steigen von Jahr zu Jahr weiter an.
Im Grunde geht es bei allen christlichen Festen um denselben Kern: Gott in Jesus Christus als Schöpfer und Erlöser zu erkennen, um daraus Hoffnung und Liebe zum Leben zu gewinnen.
Ostern ist das wichtigste Fest im kirchlichen Kalenderjahr, aber für viele Menschen ist es schwierig, einen Zugang dazu zu finden. An Ostern geht es um ein geistiges Erleben. Da ist Weihnachten mit dem Kind in der Krippe schon viel «handgreiflicher». Ostern ist anspruchsvoller. Ostern droht, sich auf ein reines Frühlingsfest zu reduzieren. Dabei ist die Freude am Ostereier-Suchen und an Schokoladehasen nicht das Problem. Doch unser Umgang mit den Widerwärtigkeiten des Lebens, mit Themen wie Leid, Schuld oder Tod steht uns vielfach im Weg, um einen existenziellen Zugang zu Ostern zu finden. Und doch scheint klar: Wir brauchen beides: Karfreitag als Symbol für die Tiefpunkte des Lebens – und Ostern als Fest der Wiederauferstehung von Hoffnung und Glück. Als Kirche müssen wir uns zudem kritisch fragen, ob wir unsere Inhalte heute noch verständlich machen können. Und die Gesellschaft muss sich fragen, ob sie im Zeitalter der Individualisierung den Willen hat, an gemeinschaftlichen Formen des Lebens festzuhalten.
Dass solche Formen überlebenswichtig sein können, lässt uns die momentane Situation erahnen, aber die Erfahrungen aus unserer Lebenswelt müssen uns einen Zugang zu Ostern ermöglichen. Vielleicht braucht es auch ganz neue, kreativere Formen dazu.
Das Osterereignis muss mit den unterschiedlichen Lebenswelten verknüpft werden. In meiner Kindheit in den 1960er-Jahren war der Karfreitag der höchste Feiertag der reformierten Christen. Das ist heute so nicht mehr erkennbar. Dafür ist die Osternacht, ursprünglich ein katholischer Brauch, immer wichtiger geworden. Und die Osternachtsfeiern, die wir in Zollikon gemeinsam mit der katholischen Kirchgemeinde gefeiert haben, haben mir geholfen, die Bedeutung von Ostern besser zu verstehen.
Sie begannen mit dem knisternden Osterfeuer auf dem Kirchenplatz und dann folgte der Einzug in die grabesdunkle Kirche. Wenn sich anschliessend dann von der Osterkerze her das Licht überall im Raum verbreitete, dann war für mich zu spüren: Das Licht ist stärker als die Dunkelheit, das Leben stärker als der Tod. Leiden, Verlassenheit und Krankheit gehören zum Menschsein, doch dies alles lässt sich überwinden. Das Vertrauen, dass Gott dem Menschen immer nahe bleibt, hilft, das Leben wieder neu zu finden.
Grosse Worte – was sie wirklich bedeuten, werden wir wohl nie in der ganzen Tiefe erfassen, wir können nur immer wieder neu damit ringen und versuchen, sie in unserer Sprache auszudrücken und mit unseren Erfahrungen zu füllen. Ich bin überzeugt, dass der Glaube an Gott auch helfen kann, die Krise, die zurzeit die Welt erschüttert, zu meistern. Er kann die Kraft schenken, die für den Kampf gebraucht wird.
Wer erlebt, wie Menschen auch über räumliche Distanzen hinweg Wege zueinander finden, wie auch nach einer heftigen Auseinandersetzung in der Partnerschaft ein Gespräch wieder möglich wird, wie erkrankte Menschen umsorgt und gepflegt werden, wie stark wir miteinander in der Krise waren, der kann den neuen, reinigenden Wind erleben, der seit der Auferstehung Christi durch die Welt weht. Ostern kann ganz verschieden aussehen. Darum findet Ostern auch in diesem Jahr statt, in diesem Jahr, in dem so vieles anders ist. Ostern 2020 findet statt: vielleicht auch ganz besonders und nicht nur am 12. April, sondern an jedem Tag.
Ich möchte Ihre Neugier auf solch österliche Erfahrungen in diesen Tagen wecken. Ich möchte Sie ermutigen, sich darauf einzulassen, oder – wie es Kurt Marti ausdrückte – «für einisch go z’luege, wohi dass me chiem, we me gieng».
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