Von Antje Brechlin ‒ 24. April 2020
Manfred Claassen, 42, Professor für Bioinformatik an der ETH, verlässt im Sommer nach sieben Jahren mit seiner Familie die Gemeinde Zollikon nach Tübingen.
Glück schadet nie! Menschen, die viel wagen, haben häufiger Glück. Es ist wichtig, in der eigenen Karriere viele Dinge auszuprobieren, um sich der glücklichen Entdeckung auszusetzen und von dieser zu profitieren.
Erstaunlich gut! Einen grossen Teil meiner Arbeit kann ich zu Hause erledigen. Gespräche mit Mitarbeitern und Kollegen laufen prima über Videokonferenzen.
Die häuslichen Aufgaben teilen wir uns auf, meine Frau und ich. Unsere Kinder spielen gern miteinander und können sich ganz gut beschäftigen. Wir haben einen Garten und ein Trampolin, das Wetter ist schön, der Stresslevel also noch überschaubar.
Ich bewege mich gern, laufe Marathon, mache Triathlon – und fuhr in den letzten Jahren täglich mit dem Velo zur Arbeit auf den Campus ETH Hönggerberg und zurück. Ausserdem wohnen wir unglaublich schön hier in Zollikon, fünf Minuten vom Waldrand entfernt. Wir unternehmen mit den Kindern Wander- und Vetotouren, spielen Fussball oder Verstecken auf dem Oescher Schulhausplatz. Der Zürichsee ist zu Fuss erreichbar. Das ist Lebensqualität, die ihresgleichen sucht und die wir sehr vermissen werden.
Weil ich die Anwendungen von Chemie und Biologie spannend fand – das Leben als chemischen Prozess zu sehen. Im Laufe des Studiums faszinierte mich immer mehr, wie gut Natur mit mathematischen Konzepten zu beschreiben ist. In diesen Bereich wollte ich mich vertiefen und habe das umgesetzt, ohne gross an die Zukunft zu denken. Das sich diese Kombination am Ende als so zukunftsträchtig herausgestellt hat, war vielleicht einfach nur Glück.
Ganz vereinfacht: Wir versuchen, mit Methoden aus der Informatik die Biologie zu entschlüsseln. Wir lernen zum Beispiel, unsere Erbinformationen zu lesen. Um diese entziffern zu können, müssen wir sie zuerst übersetzen. Und dazu braucht man Computerprogramme, mathematische Modelle.
Ich will verstehen, warum wir gesund oder krank sind. Wir beobachten einzelne Zellen und messen sie an verschiedenen Parametern. Wir wollen zum Beispiel verstehen, welche Zellen Krebs auslösen. Wir wollen verstehen, warum man auf eine Therapie anspricht oder nicht. Um die einzelnen Zellen beobachten zu können, braucht es komplexe informatisch-mathematische Methoden. Meine Arbeit und die meines Teams spielt sich vor allem am Computer ab. Die Experimente und Messungen, die wir benötigen, um Patientendaten zu erheben, führen wir zusammen mit Partnern in der Medizin und Biologie durch.
Auf jeden Fall. Mit dem ETH Spin-off Scaylite entwickeln wir die Muster unserer Grundlagenforschung zu diagnostischen Tests weiter, die dann in der Klinik angewendet werden. Anhand einer Blutprobe können wir heute Zellen identifizieren, die den Beginn oder den Verlauf einer Krankheit sowie den Verlauf einer Therapie vorhersagen.
Bis vor einem Monat hat es keine Rolle gespielt. Doch an meiner neuen Arbeitsstelle, der Universität Tübingen, werden alle Covid-19-Patientinnen und -Patienten aus dem Tübinger Raum behandelt. Mit den Algorithmen und Technologien, die wir entwickeln, haben wir Forschungsanträge eingereicht, um Patienten besser zu diagnostizieren. Was uns besonders interessiert, ist, vorhersagen zu können, ob der Patient einen leichten oder schweren Verlauf der Krankheit zu erwarten hat. Daran werden wir die kommenden Monate forschen.
Als Wissenschaftler muss man tatsächlich mutig sein. Das ist vielen gar nicht bewusst. Denn als Wissenschaftler muss man immer in einen Bereich gehen, der neu ist, in dem noch niemand gewesen ist – wo also auch niemand ist, den man etwas fragen kann.
Ich habe studiert, was mir Freude macht. Dank dem Interesse an meiner Arbeit bringe ich die nötige Energie auf, auch mal schwierige Zeiten zu überwinden.
Nach Stationen an der Universität Stanford (USA), der Universität Tübingen (D) und der ETH Zürich kehrt Manfred Claassen nach Tübingen zurück. Das wissenschaftliche Umfeld passt dort perfekt zu seinen Forschungen. Manfred Claassen ist Mitbegründer des Biotechnologie-Start-ups Scaylite, eines ETH Spin-offs, das Diagnoseverfahren für personalisierte Medizin entwickelt.
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