Wenn Musik auf Magie trifft

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 20. Mai 2020

Helmut Wiegiehser war als Pianist in vielen Konzertsälen zu Hause. Nun verblüfft er zwischen den Stücken mit Zauberei.

Fingerfertigkeit ist bei der Zauberei, aber auch am Piano gefragt. Der Zolliker Helmut Wiegiehser ist in beiden Bereichen zu Hause. (Bild: zvg)
Fingerfertigkeit ist bei der Zauberei, aber auch am Piano gefragt. Der Zolliker Helmut Wiegiehser ist in beiden Bereichen zu Hause. (Bild: zvg)

Er ist im wahrsten Sinn ein zauberhafter Pianist. Und wenn Helmut Wiegiehser von seiner Leidenschaft erzählt, schwingt immer noch frische Begeisterung mit – und ein bisschen Wiener Charme. Musik und die Vermittlung von Musik: Das ist seine Profession. Und dafür zaubert er zwischen den Stücken auch gerne mal. Da staunt der Zuschauer, was in Blitzeseile aus einem einzigen Stück Papier ­geformt werden kann, und fragt sich verblüfft, wie denn jetzt der eigentlich grössere Würfel in den kleineren passt. Als Pianist und als Magier braucht es eine extreme Fingerfertigkeit. «Aber es gibt zwischen beiden Bereichen auch einen sehr grossen Unterschied», erklärt der Zolliker. Als Pianist konzentriert er sich ganz auf die Musik, ist vertieft in die Töne. Als Zauberer nimmt er Kontakt zum Publikum auf. «Der stete Wechsel war am Anfang die grösste Herausforderung», erinnert sich der 63-Jährige.

Moderner Unterricht ohne Drill

Angefangen hat es ganz klassisch mit der Blockflöte. Er habe sogar sehr gerne geübt, wirklich talentiert sei er aber nicht gewesen. Doch in der Zürcher Wohnung seiner Eltern stand auch ein Klavier. Auch daran habe er gerne geübt, und zwar mit wesentlich mehr Erfolg. «Ausserdem hat meine Mutter, die selber gerne Musik studiert hätte, mich regelmässig zu Konzerten in der Tonhalle mitgenommen.» Manchmal seien sie zwei Mal pro Woche dort gewesen. Dazu kam eine Klavierlehrerin, die ihn äusserst engagiert gefördert habe. «Sie hat sehr modern unterrichtet, ganz ohne Drill», erinnert sich Helmut Wiegiehser noch immer gerne. Und so war es fast zwangsläufig, dass er in die Musikakademie ging und dort sein Lehr- und Konzertdiplom ablegte. Es folgten zwei Jahre in einer Konzertklasse in Genf und zwei Jahre in Los Angeles beim italienischen Pianisten und Komponisten Mario Feninger. «Das Leben dort war natürlich das Gegenteil von der Zeit in Genf», lacht Helmut Wiegiehser. Und wenn er erzählt, dass er sich dieses Leben mit dem Gewinnen quasi aller Förderwettbewerbe finanziert habe, dann klingt das bei ihm noch nicht mal prahlerisch. Da ist er wieder, dieser Wiener Einschlag. Seine Mutter war Wienerin und immer wieder besuche er seine Verwandtschaft und die Stadt sehr gerne. «Ich fühle eine starke Sehnsucht nach Wien, aber genau so eine Sehnsucht gehört eben zu unserer Mentalität.»

Zurück aus den USA folgten unsagbar viele Konzerte in der Schweiz, in Deutschland, in Österreich und Frankreich mit den unterschiedlichsten Orchestern, auch als Solist. Schliesslich bewarb er sich am Konservatorium, setzte sich gegen rund hundert Mitbewerber durch und durfte unterrichten. «Und auch heute noch macht mir das Unterrichten immensen Spass», unterstreicht er. Er hat Schüler und Schülerinnen aller Altersklassen, besonders am Herzen liegt ihm dabei der Nachwuchs. So ist er nicht nur in der Jury des Schweizer Jugendmusikwettbewerbs, sondern auch in der Kommission zur Begabtenförderung des Konservatoriums. Und besonders bei Kindern kommen seine Spezialkonzerte an: Da wird aus Helmut Wiegiehser der Magier Leandro Bellini. «Den Namen habe ich mir schon als Jugendlicher gegeben, als Zauberer alle italienisch klingen mussten», sagt er fast entschuldigend. Erst viel später habe er erfahren, dass Bellini auch ein Cocktail sei.

Die Leidenschaft für die Illusion

Als Zauberer setzt er nicht auf die grossen Effekte. Er kommt ohne Nebel- oder Lichtmaschine aus. Auch die Leidenschaft für die Verblüffung keimte früh. So besuchte er regelmässig die Zaubervorstellungen im Bernhard-Theater, trat schon mit 16 Jahren probehalber dem «Magischen Ring» bei, dem Verein der Schweizer Zauberkünstler, und konnte mit 18 endlich die Aufnahmeprüfung zum vollwertigen Mitglied ablegen. «Das war die Zeit, in der man sich die Tricks noch mit Büchern erarbeiten musste. Da gab es keine Filme auf Youtube», erläutert er. Das ist keine Beschwerde. Durch die intensive Arbeit werde der Trick nämlich zur eigenen Präsentation und nicht zu einer Kopie. Das sei bei der Musik ähnlich. Wer sich ein Stück über Noten erarbeite, fühle es anders, als wenn es einfach nur nachgespielt werde.Magie ist für Leandro Bellini vor allem die Kreation einer besonderen Atmosphäre. Oft höre er, dass die Zuschauer ja nur abgelenkt würden vom eigentlichen Geschehen. «Das Gegenteil ist der Fall.

Die Aufmerksamkeit wird ganz ­bewusst gelenkt und geführt.» ­Besonders für Kinder schafft er Verbindungen zwischen den Musikstücken und den Zaubermomenten. «Manchmal kann ich fast sehen, wie die Phantasie der Kinder angeregt wird und vor dem inneren Auge Geschichten entstehen.» Doch auch Erwachsene entführt er gerne in die Welt der Illusion. Besonders stolz ist er darauf, selber im Bernhard-Theater als Zauberer auf der Bühne gestanden zu haben. «Das hätte ich als junger Mann nicht zu träumen gewagt.»

Neben dem Pianisten und dem Zauberer – auch an der Seite der Zollikerin Simone Nabholz – ist Helmut Wiegiehser aber noch mehr, und zwar Sänger: So hat er ein Repertoire mit Liedern des Wiener Liedermachers Georg Kreisler zusammengestellt, bei denen er sich natürlich selber am Klavier begleitet. «Und das ist wieder eine neue Herausforderung. Ich bin gleichzeitig dem Publikum zugewandt, aber die Finger müssen blind über die Tasten gleiten.» Der Zolliker hört nicht auf neue Wege zu gehen. Und das rät er auch allen jungen Musikschaffenden: «Suchen Sie sich Ihre Nische. Verlassen Sie die breiten Wege.»

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