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Eine echte Herzensangelegenheit

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 12. Juni 2020

Der Zumiker Daniel Bühler pendelt auch in dieser Zeit der praktisch geschlossenen Flughäfen beruflich zwischen Berlin und Zürich: Sein Unternehmen ist systemrelevant.

Daniel Bühler ist passionierter Segelflugzeugflieger. (Bild: zvg)
Daniel Bühler ist passionierter Segelflugzeugflieger. (Bild: zvg)

Dass deutsche Manager in die Schweiz kommen, um hier zu arbeiten und zu leben, ist fast schon selbstverständlich. Dass Schweizer dagegen nach Deutschland pendeln, ist eher ungewöhnlich. Für Daniel Bühler ist das seit Jahren Alltag. Der Geschäftsführer von Biotronik fliegt am Sonntag nach Berlin und am Freitag zurück nach Zürich. Auch während der vergangenen Monate war das nicht anders. Sein Unternehmen stellt Herzschrittmacher her und gilt somit als systemrelevant. «Wir können nur bedingt auf Vorrat pro­duzieren», erklärt der 54-Jährige. Ausserdem sei knapp die Hälfte der Operationen, bei denen ein Schrittmacher oder ein Defibrillator eingesetzt werden, nicht planbar, sondern ein akuter Notfall.

Aber natürlich war in den letzten Wochen die Pendelei alles andere als normal. «Es war eine gespenstische Atmosphäre an den Flughäfen. Die Läden sind alle dunkel, die Gänge und Wartebereiche leer. Ich habe mich richtig gefreut, gelegentlich jemanden vom Servicepersonal zu sehen, um mich nicht so alleine zu fühlen», erinnert er sich. «Es war wie in einem schlechten Weltuntergangs-Science-Fiction-Film.» Nur beim Sicherheitscheck habe es länger gedauert. «Die Leute da haben ja nichts zu tun und machen ihren Job nun besonders gründlich.»

Flieger und Schrauber

Doch Daniel Bühler ist nicht nur Gast an Bord, er fliegt auch selber, und zwar Segelflugzeuge. Das liegt grundsätzlich in der Familie. Sein Vater war schon passionierter Flieger, der Schwager war Pilot bei der Swiss, die Schwester hat eine führende Position in der Kabine. «Als Jugendlicher war ich zwar nicht wirklich begeistert vom Fliegen.» Erst während eines Aufenthalts in den USA keimte die Liebe. Er begann mit einem Motorflugzeug, zurück in der Schweiz zog er mit seiner Frau und den drei Kindern zunächst nach Wiesendangen, wo es einen kleinen Flugplatz und eine Segelfluggruppe gibt. Regelmässig dreht er dort nun seine Kreise. «Es ist ein spannender Sport. So ist es bei der Planung der Route wichtig, im Auge zu behalten, dass die Thermik, also die Aufwinde, einen nicht im Stich lassen. Manchmal schafft man es eben nicht wieder zurück zum Heimat-Flugplatz. Dann muss man auf einer Wiese oder einem Feld runtergehen.» Das sei ihm selber auch schon passiert.

Unterwegs ist der Physiker aber nicht nur in der Luft, sondern auch auf den Strassen. Die Liebe zum schnellen Fahren sei während einer Studienarbeit für Porsche gewachsen. Dort durfte er vor mehr als 30 Jahren einer der ersten Airbags für den 911-er mitentwickeln. «Ich fahre aber ganz selten. Meistens schraube ich an alten Autos und Motorrädern herum. Nehme sie auseinander, setze neue Teile ein. Zum Leidwesen meiner Frau liegt oft die ganze Garage mit Einzelteilen voll», lacht er.

An seinen Wohnort Zumikon hat es ihn verschlagen, weil dieser die Nähe zu Zürich biete, aber doch ländlich geprägt sei. «So bin ich auch in Wallisellen aufgewachsen. Das war die Zeit, ehe die Gemeinde von der Stadt verschlungen wurde.» Doch auch die Freundlichkeit, das Füreinanderdasein schätze er hier. «Das Einzige, das etwas stört, ist der Fluglärm. Aber das darf ich als Pendler natürlich nicht sagen», schmunzelt er.

Maschinenbau im Kinderspital

Nach seiner Matura am mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium – damals noch in Oerlikon – folgte die Zeit bei der Armee und dann das Physikstudium an der ETH. Dass er zwischen Medizin und Physik geschwankt hat, belegt auch sein Lebenslauf. So wählte er als Vertiefungsfächer Strahlentherapie/Radio-Onkologie und Biomechanik. «Ich hatte als Praktikant die Möglichkeit, im Kinderspital zu arbeiten und todgeweihte Mädchen und Buben palliativ, also rein schmerzbekämpfend, zu bestrahlen. Das hat mich zu sehr belastet», erinnert er sich. Deshalb hat er sich dann auch stärker dem Thema Biomechanik und eben den Airbags bei Porsche gewidmet. Dann schrieb Daniel Bühler eine Doktorarbeit im Fach Maschinenbau – als externer ETH-ler an der medizinischen Fakultät der Uni Bern. Er entwickelte Spezialimplantate, die zum Beispiel bei Problemen an der Wirbelsäule zum Einsatz kommen. Es folgten fast vier Jahre bei einem grossen amerikanischen Ortho­pädieunternehmen in den USA. «In einer Gegend zwischen Chicago, Detroit und Indianapolis – also quasi im Nichts. Es war aber eine sehr schöne Zeit, die wir im mittleren Westen der USA verbringen durften.» Als es seiner Mutter gesundheitlich schlechter ging, entschied er, die letzten Jahre in deren Nähe sein zu wollen, und so zog er mit Ehefrau Beate und mittlerweile zwei Töchtern eben nach Wiesendangen.

Nach dem Tod der Mutter wurde es wieder international: Der Physiker nahm ein Angebot aus Schweden an und pendelte zwei Jahre lang. «Irgendwann merkte ich, dass ich beruflich eigentlich schon sehr viel gemacht hatte: Qualitätssicherung, Forschung, Entwicklung, Produktion, Marketing und Vertrieb. Ich fühlte mich bereit für einen nächsten Schritt und suchte nach einer Möglichkeit, ein Unternehmen als Ganzes führen zu dürfen.» 2011 hatte er dann das grosse Glück, die Geschäftsführung der Biotronik AG in Bülach übernehmen zu können. Mit der Produktion von Herzkathetern, Stents, Schrittmachern dreht sich beim deutschen Medizintechnik-Hersteller alles ums Herz. Später wechselte er dann in die Konzernleitung nach Berlin. Zurzeit werden in Berlin unter anderem digitale Algorithmen entwickelt, die als Frühwarnsystem Patienten, welche an Herzinsuffizienz leiden, unterstützen. «Das würde den Betroffenen enorm helfen und sicherlich auch Gesundheitskosten reduzieren», erklärt er.

Mittlerweile hat er sich auch mit den Berlinern arrangiert. Am Anfang sei es schon ein herber Kulturschock gewesen. Er muss mit Gewerkschaften zusammenarbeiten, die erst mal grundsätzlich gegen alles seien, was in der Schweiz, wo man stets den Konsens sucht, kaum vorstellbar ist. Er musste sich an den etwas rüden Umgangston gewöhnen. «Irgendwann habe ich gemerkt, die meinen das nicht böse.» Und trotzdem freut er sich wohl, wenn er heute wieder in Zürich landet und das Wochenende in Zumikon verbringen kann – und vielleicht mal die Garage aufräumt.

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