Im Rhythmus der Natur leben

Von Tobias Chi ‒ 26. Juni 2020

Dass ein Garten nicht einfach ein Rasen mit einer Hecke drumherum sein muss, beweisen Valentin Spinner und Christian Hutter. Ihr kleines Paradies im Herzen von Zollikon soll anderen Gartenbesitzern als Vorbild dienen.

Der Garten unweit vom Dufourplatz sieht einladend und gepflegt aus: eine kleine Wiese, eine Laube, eine Sitzecke, ein Gemüsebeet, Obstbäume. Dass noch einiges mehr dahintersteckt, erschliesst sich dem Besucher nicht sofort. Im dazugehörigen alten Bauernhaus wohnt Familie Spinner. 2012 hat Sohn Valentin die Pflege des Gartens von seiner Mutter übernommen. «Mir war es von Anfang an wichtig, nach Prinzipien der Permakultur zu arbeiten», sagt der 43-Jährige. Der Begriff fasst die beiden englischen Wörter «permanent» und «agriculture» zusammen und bedeutet übersetzt «dauerhafte Landwirtschaft». Angestrebt wird eine möglichst ökologische Form der Kultivierung, die einerseits auf wissenschaftliche Erkenntnisse, andererseits auf das traditionelle Wissen indigener Völker zurückgeht. Ausserdem richtet sich die Bewirtschaftung des Gartens nach dem biodynamischen Kalender, der sich an den Mondphasen orientiert.

Schon Valentin Spinners Mutter hat den Garten nach Bio-Prinzipien geführt, das heisst giftfrei, nachhaltig und den regionalen Bedingungen entsprechend. «Als Dünger wurde der Mist unserer beiden Esel verwendet», sagt Valentin Spinner. Damals seien ausserdem noch einige Hühner als Düngerlieferanten und Schädlingsvertilger im Einsatz gestanden.

Veränderung beginnt im Kleinen

«Global gesehen nimmt die Biodiversität immer weiter ab», sagt Valentin Spinner. Dieses Artensterben und der Klimawandel würden sich gegenseitig verstärken. «Wenn wir nicht schnell etwas unternehmen, laufen wir gegen eine Wand», ist er überzeugt. Und weil der Weltlauf nicht allein in seinen Händen liegt, hat er sich entschieden, im Kleinen etwas zu verändern. Der diplomierte Sozialpädagoge hat eine Weiterbildung in Permakultur-Design besucht und ist vor einigen Jahren von Zürich wieder in sein Elternhaus in Zollikon gezogen.

Das A und O eines Gartens ist die Bodenqualität. «Es geht darum, den Humus auf- und nicht abzubauen», sagt Valentin Spinner. Letzteres geschieht bei konventionell-industrieller Landwirtschaft, wo der Einsatz von Hybridsaatgut, Pestiziden und Maschinen den Boden auf Dauer unfruchtbar macht. Im Gegensatz dazu hat eine giftfreie Boden- und Pflanzenpflege mittelfristig ertragreichere Ernten zur Folge. Durch diesen nachhaltigen Ansatz wird auch die Biodiversität gestärkt. «Neben vielen Insekten- und Wildvogelarten kommen immer wieder Füchse in unseren Garten», sagt der Zolliker. «Letzte Woche habe ich auch einen Igel gesehen.» Stolz ist er auch auf das Vorkommen der gefährdeten Schmetterlingsart Bläuling. «Das ist sozusagen eine Garantie dafür, dass unser Garten giftfrei ist.»

Permakultur ist ein gesamtheit­liches Konzept, das sich nicht nur auf den Garten beschränkt. «Es umfasst auch die menschliche Gemeinschaft», erklärt Valentin Spinner. Das bedeutet, dass in dem grossen Haus kein Zimmer leer steht. Unter dem Dach wohnen zahlreiche Untermieter, darunter auch hilfsbedürftige Menschen, die hier für wenig Geld leben dürfen. Seit rund einem Jahr gehört auch Christian Hutter zur Wohngemeinschaft. Der gelernte Gemüsegärtner ist Valentin Spinners rechte Hand, was die Gartenpflege betrifft. Christian Hutter ist es wichtig zu betonen, dass der Garten nicht eine von der Umgebung abgekoppelte Oase ist. «Er soll eine Breitenwirkung entfalten», sagt der 29-Jährige. «Es gibt einen Austausch mit anderen Gartenbesitzern in Zollikon, die ähnlich denken wie wir.» Man hilft sich gegenseitig bei der Ernte und betreibt Tauschhandel mit den Erträgen. Das Ziel wäre, noch weitere Gartenbesitzer für diese Art der Gartenbewirtschaftung zu begeistern.

Der Garten als Kleinklimazone

Je länger man im Garten verweilt, desto mehr Details offenbaren sich. Es herrscht eine Mischkultur aus zahlreichen unterschiedlichen Pflanzen, die unter den hiesigen klimatischen Bedingungen besonders gut gedeihen. «Jeder Garten ist eine eigene Kleinklimazone», weiss ­Valentin Spinner. Die Pflanzensorten werden entsprechend danach ausgewählt. «Wegen der anliegenden Häuserfronten, die den Garten vor Wind schützen, und des Sonneneinfalls herrschen bei uns fast schon subtropische Bedingungen. In unserem Garten gedeihen auch südlichere Gewächse, zum Beispiel Aprikosen- oder Feigen. Nur schon zwei oder drei Gärten weiter kann das wieder anders sein.» Natürlich spielten die Launen der Natur auch noch eine Rolle, zum Beispiel, ob der Herbst warm oder ob der Winter frostreich war.

«Wenn du im Garten arbeitest, dann übernimmst du wie von selbst seinen Rhythmus», sagt Valentin Spinner. «Wenn der Garten eine Pause braucht, dann darfst auch du eine Pause machen. Fordert der Garten gerade viel, bist auch du mehr gefragt.» Er beschreibt die Arbeit als meditativ und entschleunigend, und Christian Hutter nickt zustimmend. «Irgendwann empfindest du die Arbeit gar nicht mehr als Arbeit, sondern du spürst nur noch Dankbarkeit.»

Selbstversorgung und Tausch

Mittlerweile ist ihr Garten schon so weit gediehen, dass er den Haushalt mit rund 60 Prozent des Bedarfs an Obst und Gemüse versorgen kann. Ein weiterer Anteil kommt via Tauschhandel dazu. «Einer unserer Nachbarn hatte letztes Jahr viel zu viele Kirschen für den Eigenbedarf. Da durften wir uns von einem ganzen Baum bedienen», erinnert sich Christian Hutter. Im Gegenzug wurde den Nachbarn von ihrem Überschuss an Apfel- oder Traubensaft angeboten.

«Für Gartenbesitzer, die sich mit der Materie nicht so auskennen, gibt es mittlerweile unterstützende Angebote, um beispielsweise die Artenvielfalt im eigenen Garten zu erhöhen», sagt Christian Hutter. «Zum Beispiel hat die Organisation Bioterra ein grosses Wissen angesammelt und bietet auch Beratungen an.» – «Wer nicht so weit gehen will und in der Umgebung wohnt, kann gerne auch einmal bei uns vorbeischauen», ergänzt Valentin Spinner. «Wir teilen unsere Erfahrung gerne und können Gartenbesitzern Tipps für eine nachhaltige Bewirtschaftung geben.»

Wer Interesse hat, kann sich bei Valentin Spinner anmelden.

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