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Gefährliche Spiele

Von Antje Brechlin ‒ 3. Juli 2020

Nicht nur für viele Kinder und Jugendliche gehört täglicher Medienkonsum zum Leben. (Bild: Pixabay/natureaddict)

Hoher Medienkonsum der Kinder ist für viele Eltern ein Problem. Dass dieser zu Konzentrationsschwierigkeiten führt, zeigen zahlreiche Studien. Die Lese­fähigkeit, das Vermögen, Dinge zu verstehen, sich zu konzentrieren, leidet massiv. Das ­Gehirn gewöhnt sich schnell an oberflächliches Dahinzappen.

Die Digitalisierung hat viel Gutes gebracht. Zu kommunizieren, ohne sich körperlich nah zu sein, war und ist gerade in Corona-Zeiten ein enormer Vorteil. In der Lockdown-Phase hat das digitale Homeschooling in unseren Schulen gut funktioniert. Die Kinder waren jedoch viel länger am Bildschirm. Die ­Eltern arbeiteten zu Hause und ­hatten sich «nebenher» um die Kinder zu kümmern. Da drückte man schon das eine oder andere Mal ein Auge zu und liess sich vom Betteln nach mehr Bildschirmzeit erweichen. Aber wie bei allem gibt es auch hier zwei Seiten.

Lieblingsspiele sind derzeit «Fort­nite» und «Brawlstars», hoch im Kurs sind auch Apps wie TikTok. Spiele wie «Fortnite» seien klar auf Sucht ausgelegt, erklärt Sabine Mayr, Kinderärztin in der Praxis Dr. Bischofsberger in Zumikon. «Das System funktioniert genau gleich wie bei einem Heroinfixer. Die erste Dosis gibt es gratis, für weitere braucht es Upgrades, die teilweise zu bezahlen sind. Schnell entsteht eine Abhängigkeit, da das Hirn sofort belohnt wird und Glückshormone ausgeschüttet werden. Diese will das Gehirn wieder und schnell haben.» Im realen Leben werden dann oft der Ehrgeiz und die Konzentration nicht mehr aufgebracht, um etwa einen Aufsatz zu schreiben oder sich auf einen Sportevent vorzubereiten. ­Sabine Mayr nennt ­Kriterien der Sucht: Steigerung der Dosis, Zwang zum Konsum, Unfähigkeit für andere ­Aktivitäten, sozialer Rückzug, schulischer Leistungsabfall, Entzugserscheinung wie Aggressivität beim Verbot des Spiels. «Im Zürcher Institut für angewandte Psychologie gibt es klare Kriterien. Dort können sich Eltern beraten lassen, therapeutische Hilfe holen, sogar eine Therapie machen.» Das Gamen ganz zu verbieten, sei allerdings schwierig, da Kinder über ihre Erfolge in den Spielen reden, und Kinder, die nicht dabei sind, ausgeschlossen würden.

Eltern sollten sich mehr solidarisieren, rät Sabine Mayr. Sie könnten gemeinsam bestimmen, wie viel Zeit die Kinder mit Gamen verbringen dürfen, und sich dann auch daran halten. Es gebe klare Richtlinien für Bildschirmzeiten. Unter drei Jahren gehöre kein Kind vor einen Bildschirm. Zwischen dem sechsten und neunten Lebensjahr maximal eine Stunde am Tag, ab dem zwölften Lebensjahr maximal zwei bis drei Stunden täglich. Optimal wären ein bis zwei komplett medienfreie Tage in der Woche. Eltern müssten auch auf den eigenen Medienkonsum achten, schliesslich seien sie Vorbilder – zumindest für die eigenen Kinder.

Der Medienkonsum hat massiv ­zugenommen, das belegen viele ­Studien. Doch was gibt es für eine Alternative? Sabine Mayr schlägt vor, die Kinder ohne Mobiltelefon rauszuschicken, nicht ohne vorher abzumachen, wo sie sich ungefähr aufhalten und wann sie wieder nach Hause kommen sollten. Man muss Kindern vertrauen. Immerhin leben wir in einem der sichersten Länder. Die grössere Gefahr, als in der Schweiz entführt zu werden, lauert vor allem in den sozialen ­Medien. Auf Kanälen wie TikTok gibt es Challenges, wo Essstörungen wie Anorexie gefördert und selbst neunjährigen Mädchen schmackhaft gemacht werden. Eltern können heute nicht mehr davon ausgehen, dass Kinder, die in ihrem Zimmer sitzen, auch sicher sind.


Nachgefragt

Anke Schmidt arbeitet bei Samowar, der Jugendberatung und Suchtprävention des Bezirks Meilen.

Was können Eltern machen, um ihre Kinder von den Bildschirmen wegzubekommen?

Als erstes empfehlen wir Eltern, sich mit ihren Kindern mit dem Thema auseinanderzusetzen, bevor diese «nicht mehr von den Bildschirmen wegzubekommen» sind. Das beginnt bereits damit, medienfreie Zeiten für die ganze Familie zu schaffen – zum Beispiel während der Mahlzeiten – und für eine Balance zwischen medialer und nicht-medialer Freizeitgestaltung zu sorgen. Um dies zu erreichen, sollten andere Freizeitaktivitäten bewusst gefördert und der Medienkonsum durch gemeinsam getroffene Regelungen gesteuert werden.

Eltern sollten sich zudem dafür interessieren, was ihre Kinder im Netz unternehmen. So können sie einerseits über Risiken aufklären, zum Beispiel beim Hochladen privater Fotos, und andererseits mehr über Hintergründe und Motive der Online-Nutzung ihrer Sprösslinge erfahren. Somit können Eltern frühzeitig reagieren, wenn sich Probleme andeuten.

An wen können sich betroffene ­Eltern wenden?

Eltern, die Fragen zur Mediennutzung im Erziehungsalltag haben, können sich an den Samowar wenden, unabhängig davon, ob sie sich präventiv Empfehlungen zu möglichen Regelungen wünschen oder sich bereits Sorgen um das Verhalten ihrer Kinder machen. Neben den Eltern unterstützt die Jugendberatung auch die Jugendlichen selbst, denn hinter einem auffälligen Nutzungsverhalten stecken häufig andere Schwierigkeiten oder unerfüllte Bedürfnisse, zum Beispiel nach Anerkennung.

Für Eltern, die ihre Erziehungskompetenzen und Haltungen in Bezug auf digitale Medien stärken und sich mit anderen Eltern über dieses Thema austauschen möchten, bieten wir neben der persönlichen Beratung auch ­einen Elternkurs an: «Lost in Cyberspace».

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