Von Antje Brechlin ‒ 4. Februar 2021
Seit Herbst vergangenen Jahres steigt die Zahl von Kindern und Jugendlichen in den psychiatrischen Notfallsprechstunden. Auch stationäre Aufnahmen nehmen zu. Die Jugendberatung Samowar in Meilen wird von Jugendlichen mit psychischen Problemen überrannt.
Sind hochschwellige Angebote wie die Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste (KJPD) überlastet, wenden Jugendliche sich an niederschwellige Institutionen wie zum Beispiel die Jugendberatung Samowar. «Derzeit haben wir über 20 Jugendliche auf der Warteliste. Wir werden überrannt mit Anfragen nach Beratungsgesprächen», sagt Olivier Andermatt, Psychologe und Psychotherapeut. Die Anfragen bei Samowar hätten bereits vor der Pandemie zugenommen. Aber die damit einhergehenden Verunsicherungen hätten bereits vorbelastete junge Menschen zusätzlich destabilisiert. Entsprechend seien die Probleme schwerwiegender als in früheren Jahren.
Bereits während des ersten Lockdowns nahm der Konsum digitaler Medien bei vielen Jugendlichen zu. Manche verloren sich darin und fanden nur schwer in den normalen Alltag zurück. Eine Untersuchung der KJPD zeigt, dass sich Kinder und Jugendliche trauriger fühlen, je häufiger sie Medien nutzen. Wichtig ist deshalb, ihnen neben der Schule verschiedene Möglichkeiten von Beschäftigung zu bieten.
Vielen fehlt der Ausgang, das gemeinsame Sporttraining, das Zusammensein mit Freunden – alles Dinge, die Halt geben und in schwierigen Momenten stabilisierend wirken. «Wir tun, was wir können», betont Olivier Andermatt. Normalerweise bekommen Ratsuchende bei Samowar innerhalb von sieben Tagen einen Termin. Jetzt müssten sie oft mehrere Wochen warten, obwohl die Jugendberatung – nur mit 160 Stellenprozenten besetzt – derzeit Überstunden mache.
Die Dauer der Krise mache sich auch bei Kindern und Jugendlichen zunehmend bemerkbar, sagt Susanne Walitza, Klinikdirektorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Zürich. Verschiedene Studien würden verdeutlichen, wie gross die psychische Belastung sei. Kinder und Jugendliche zeigten sich vermehrt hyperaktiv, litten unter Schlafproblemen, unter Kopf- und Bauchschmerzen, unter Streit in der Familie. Viele machten sich vermehrt Sorgen um die Eltern. Deren Zukunftsängste belasten auch die Kinder. Jugendliche befürchten häufig, aufgrund eingeschränkter Kontakte ein schlechteres Verhältnis zu den Freunden zu entwickeln. Kinder und Jugendliche, die in beengten Wohnverhältnissen ohne Rückzugsmöglichkeiten aufwachsen, sind psychisch besonders belastet. Häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch haben zugenommen.
Eltern können ihren Kindern helfen, wenn sie sich Zeit nehmen, deren Ängste und Sorgen anzuhören. Wenn sie ihnen das Gefühl geben, die Krise gemeinsam zu meistern. Das helfe auch, ein Gefühl der Selbstwirksamkeit zu entwickeln, erklärt Susanne Walitza. Eltern sollten Vorbilder sein und ihren Kindern die Gewissheit vermitteln können, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. So lerne die junge Generation, mit schwierigen Situationen umzugehen. Diesen etwas Positives abgewinnen zu können, sei ein wichtiger Faktor bei der Bewältigung. Das Wohlbefinden der Kinder hänge wesentlich davon ab, wie Eltern und andere Bezugspersonen mit der Pandemie, den Einschränkungen und dem Stress umgehen.
In der Pandemie sind alte Menschen und Kinder ein grosses Thema. Die Jungen sollen die Alten schützen. Aber wie geht es den Jugendlichen? Normalerweise heisst Jugend: in Cafés und Bars sitzen, Sport treiben, Partys feiern. Meist in grösseren oder kleineren Rudeln, häufig wechselnd. Geht alles nicht mehr. Was macht das mit den Jugendlichen?
Neben der Schule fehlt schon der Ausgleich und die Ablenkung: Ausgang, Freunde, Austausch, sich nahe sein, nichts darf man. Das zieht die Stimmung runter. Allerdings hatte der erste Lockdown, als wir im Homeschooling waren, auch Gutes: Ich hatte viel mehr Zeit und konnte mich intensiver mit meinem Hobby, dem Musikmachen, beschäftigen. Da sind gleich mehrere Songs entstanden. Zwei davon wurden veröffentlicht.
Bisher komme ich gut zurecht, denn neben der Schule und meinem viermaligen Rudertraining in der Woche bleibt nur wenig Zeit. Zum Glück findet das Training statt. Wir trainieren maximal zu viert, dürften theoretisch zu fünft – immerhin. In den Zweier- oder Vierer-Mannschaftsbooten müssen wir Maske tragen. Zu Hause lerne ich in meinem Zimmer oder schaue Youtube-Videos.
Gerade haben wir enormen Schulstress und wahnsinnig viele Prüfungen. Gefühlt ist es das Einzige, was ich mache – Schule. Und auch da sitzen wir weit auseinander. Der Ausgleich mit Freunden wäre enorm wichtig und fehlt mir sehr! Ich kann zwar noch zum Klavierunterricht und auch zum Gesangsunterricht gehen, aber alles mit Maske. Das ist möglich, aber nicht das Gleiche wie ohne Maske. In der Mimik eines Menschen lässt sich so viel lesen, durch die Maske ist das schwierig geworden. Die Stimmung ist einfach nicht so gut. Mein Tanzunterricht findet jetzt nur noch per Zoom statt. Irgendwie absurd: Mein Tanzlehrer tanzt im Studio vor und ich tanze es allein in meinem Zimmer nach. Wir sind zusammen, aber doch allein.
Für mich und meine Freunde ist diese Zeit eine grosse psychische Belastung, auch das ständige Zusammensein mit der Familie. Ich beneide meine Eltern sehr. Sie erzählen mir oft, was sie alles erlebt haben, als sie in meinem Alter waren. Das muss richtig cool gewesen sein. Reisen, Chabis mit Freunden machen … Ich dagegen habe meinen 18. Geburtstag im Kreise meiner engsten Familie gefeiert. Die geplante Party musste ich absagen. Mich macht es traurig, dass wir keine Erlebnisse sammeln dürfen. Im Sommer werde ich meine Ausbildung an der Modeschule Zürich abschliessen und hoffe, eine Zeit lang nach London oder Australien gehen zu können. Bisher konnte ich aber gar nichts planen. Nicht einmal, wie es beruflich weiter gehen könnte. Ich arbeite in einem Atelier für Masskleidung. Diese Branche läuft nicht besonders gut, denn vielen ist Mode in der Pandemie gleichgültig geworden.
Ich komme ganz gut zurecht, halte die Corona-Regeln ein. Ich bin in der Ausbildung zum Zeichner Fachrichtung Architektur EFZ. Momentan darf ich noch ins Büro. Dort halte ich die Abstandsregeln und die Maskenpflicht konsequent ein. Der Vorteil am Arbeitsplatz ist, dass ich meine Fragen direkt an die Mitarbeiter stellen kann. Meine Ausbildung läuft also ziemlich gut. Unter meinen Kollegen sind ein paar, die sich nicht mehr an die Massnahmen halten, weil sie den Sinn nicht mehr sehen. Es ist sehr schade, dass Anlässe abgesagt wurden und werden. Sechseläuten, Pfadi, Fussballspiele finden nicht mehr statt. Zu Hause habe ich Glück: Viel Platz und ein grosses eigenes Zimmer. Meine Eltern sind teilweise im Homeoffice und die drei Brüder abwechselnd zu Hause oder in der Schule. Alles ist recht gut verteilt, da kommt man sich nicht gross in die Quere. Ich hoffe jetzt auf den Sommer, dass wir uns endlich wieder treffen und auch feiern können.
Ich finde zur Zeit alles total anstrengend. Der richtige Abstand, Masken – auf so viele Dinge müssen wir achten. Gerade hatten wir in der Schule viele Prüfungen, stehen sehr unter Druck. Unter normalen Umständen würden meine Freundinnen und ich uns nach den Prüfungen in die Arme nehmen. Wir sind eine musische Klasse und die Musik gibt uns viel Energie, doch das gemeinsame Musizieren ist jetzt verboten. Der Sportunterricht findet mit Maske statt, alles muss desinfiziert werden. Ob es wirklich richtig desinfiziert ist, weiss aber niemand. Sogar in unserer Mensa dürfen wir nur alleine an einem Vierertisch sitzen, das Gegenüber sitzt im Abstand von zwei Metern – wenn man miteinander redet, bekommt es einfach jeder im Raum mit. Bei einigen meiner Freunde kommt hinzu, dass deren Eltern total panisch sind, weil sie Angst vor Corona haben. Es ist ja auch schwierig, sich von den Eltern zurückzuziehen, wo sollen wir denn hin? Es fehlt der physische Kontakt und das schlägt schon sehr auf die Psyche. Alle sind ziemlich frustriert durch all die Verbote. Wir akzeptieren die Massnahmen, hoffen aber, dass der Spuk bald ein Ende hat.
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