Von ‒ 25. März 2021
Als Leiter für Infektiologie und Spitalhygiene am Kinderspital Zürich sowie als Präsident der Impfkommission Schweiz hat Christoph Berger derzeit alle Hände voll zu tun. Seinen Antrieb nimmt der Zolliker aus seiner Begeisterung, die Welt gemeinsam voranzutreiben.
Am Empfang des Kinderspitals Zürich herrscht an diesem Freitagvormittag reger Betrieb. Menschen kommen und gehen im Minutentakt. Nach einer Weile taucht am Eingang ein Mann im weissen Arztkittel auf, fröhliche Gangart, hinter der Maske ist ein Lächeln auszumachen. «Mein voriger Termin hat etwas länger gedauert», entschuldigt sich Christoph Berger. Der 57-Jährige ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, stellvertretender medizinischer Direktor des Kinderspitals Zürich und Leiter der Bereiche Infektiologie und Spitalhygiene. Ein 100-Prozent-Pensum, das «auch ohne Pandemie genug zu tun gibt». In seiner Funktion als Präsident der Schweizer Impfkommission ist der Zolliker in den letzten Monaten allerdings zu einem landesweit gefragten Mann und zu einem der zentralen Köpfe der Pandemie geworden. Die Medien wollen seine Meinungen, Empfehlungen, Prognosen. Und das ist bloss der Teil, der sich in der Öffentlichkeit abspielt. Aktuell beanspruche seine Rolle als Präsident der Impfkommission zwei bis drei Tage pro Woche. «Lange Sitzungen» seien das, bis eine fertig ausgearbeitete Empfehlung steht, die dann dem BAG vorgelegt wird.
Christoph Berger leitet auch die Corona-Taskforce des Kinderspitals. «Es gibt zurzeit wirklich viel zu bewältigen.» Beklagen will er sich nicht. Er habe ein gut funktionierendes Team hier am Spital. Und er mag seinen Beruf. Arzt zu werden sei zwar kein Kindertraum gewesen, doch «seit ich im Gymnasium meine Faszination für Naturwissenschaften entdeckt habe, liess sie mich nie mehr los.» Sich selber beschreibt er als Optimisten durch und durch. Als einen, der die Leute mitreissen will, wenn es «etwas zu tun gibt». Als einen, dem es Freude macht, sich zu engagieren und sich gemeinsam mit anderen Menschen für etwas einzusetzen. Und als einen, der eine klare Vision hat, egal, was er angeht. «Ein konkretes Ziel vor Augen zu haben und zu wissen, wie man dieses Ziel erreichen kann, ist extrem wichtig.» Nur so könne er selber die Motivation und Kraft aufbringen, all die Herausforderungen jeden Tag aufs Neue anzugehen, ohne dabei die Freude zu verlieren. «Mit meiner Begeisterung dann noch andere Menschen inspirieren zu können, selber etwas aus Freude und Neugier anzureissen, ist für mich das Schönste!» Wenn er davon spricht, beginnen seine Augen zu leuchten, die Arme wilder zu gestikulieren. Seine Faszination scheint in solchen Momenten regelrecht aufzuflammen. Wer ihn so erlebt, glaubt ihm jedes Wort.
Diese Begeisterung, sein beinahe übersprudelnder Optimismus, könne sein Umfeld hie und da schon etwas überfordern. Auch wenn alle sagen: «Das funktioniert niemals!», antwortet Christoph Berger: «Wieso nicht? Das wird schon schiefgehen.» Den Mut zu haben, etwas anzustossen, auszuprobieren, auch wenn alle Zeichen dagegen sprechen, und so auch mal etwas in den Sand zu setzen, habe er noch nie bereut. «Wenn etwas nicht läuft, muss man auch einlenken können.» Mit diesem Antrieb verfolgt er auch seine beruflichen Ziele. Seine Vision als Kinderarzt sei es, «an einem rundum funktionierenden System zu arbeiten, in dem sich ein Kind optimal entfalten kann». Dies beginne bei der eigenen Familie, ziehe sich jedoch über ein breites Betreuungsnetzwerk mit Schulen oder eben Spitälern weiter. «Kinder entwickeln sich ständig, und das in einem rasanten Tempo.» Nicht zuletzt deshalb setze er sich für eine enge Zusammenarbeit mit den Kinderarztpraxen im Kanton ein. «Unser Wissen und unsere Erkenntnisse an unsere jungen Ärztinnen und Ärzte weiterzugeben, ist das Allerwichtigste.» Auch hierfür hat er eine klare Vorstellung, wie dieses Wissen, unabhängig davon, wo es transferiert wird, weitergegeben werden soll. «So verständlich wie möglich. Kann ich jemandem, auch Eltern, in drei Sätzen erklären, um was es geht, habe ich etwas richtig gemacht.»
Die besten Chancen, wie eine Gesellschaft gemeinsam herausfordernde Zeiten überstehen könne, sehe er vor allem in einem Punkt: «mit Toleranz. Die Pandemie ist für niemanden gerecht und wir müssen hier alle gemeinsam durch.» Auch wenn er die unterschiedlichen Perspektiven der verschiedenen Bevölkerungsgruppen absolut verstehe, helfe es seiner Meinung nach nicht, nur aus dem eigenen Betrachtungswinkel zu argumentieren. «Wir brauchen alle Geduld in dieser Zeit. Was hilft, ist, die Lage aus einer gemeinsamen Perspektive zu betrachten. So können wir alle am selben Strick ziehen.»
Das sei nun auch bei der Impfstrategie, für die sich die Schweiz entschieden hat, ausschlaggebend. «Bei solch emotionalen Themen wie dem Impfen gibt es immer Meinungsverschiedenheiten.» Doch das Ganze sei gar nicht so kontrovers, wie es unter anderem in den Medien aufbereitet werde. «Klar kauft niemand die Katze im Sack und eine gewisse Skepsis ist zu Beginn völlig verständlich. Doch der Bund hat nun eine Strategie erarbeitet, die wir gemeinsam verfolgen und weiter vorantreiben werden.» Hier alle paar Tage die Grundsätze der Strategie anzuzweifeln, trage wenig zu einer positiven Entwicklung bei. «Es ist längst nicht alles perfekt gelaufen und es wird auch weiter Schwierigkeiten geben in dieser Situation, die für uns alle neu ist.» Zentral sei auch hier, dranzubleiben, aus den Erkenntnissen zu lernen und sich immer wieder auf das gemeinsame Ziel zu fokussieren. «Habt Geduld. Und glaubt an das Ganze, damit wir es gemeinsam erreichen können», appelliert der Experte, auch hier seinem Wesen treu.
Erholung vom hektischen Alltag findet Christoph Berger vor allem am Wochenende – «ich liebe den Markt auf dem Zolliker Dorfplatz, die Arbeit im Garten oder einfach zu Hause auszuspannen.» Dann kann er endlich auch Zeit mit seiner Familie geniessen. «Das brauche ich, um auf andere Gedanken zu kommen.» Seine Frau ist ebenfalls Kinderärztin, die Tochter seit diesem Jahr im Gymnasium und der Sohn gerade in der Rekrutenschule. Zu Hause wird denn auch über Corona gesprochen, nur nicht zu viel. Das sei gut so. «Meine Tochter sagt sowieso, ich erzähle immer dasselbe im Fernsehen.»
Niemand will eine dritte Welle, doch die Zahlen der letzten Tage deuten darauf hin. Ob, wann und wie stark sie uns trifft, kann aktuell niemand genau voraussagen. Das hängt auch davon ab, wie die Bevölkerung mitspielt.
Ziel ist, dass im Sommer der Grossteil der Bevölkerung geimpft ist. Zwar nicht so schnell wie möglich, sondern so, dass am Schluss alle so gut wie möglich geschützt sind. Diese Strategie verfolgen wir weiter. Ich gehe schon davon aus, dass die Situation im Herbst um einiges besser ist. Alles andere ist zum jetzigen Zeitpunkt nur schwierig zu beurteilen.
Ist einmal der Grossteil der Leute geimpft oder hat durch eine Erkrankung bereits Antikörper entwickelt, gibt es keine Pandemie mehr. Aber das Virus werden wir wohl nicht mehr los, auch wenn es künftig vielleicht einem «gewöhnlichen» Grippevirus ähnlicher wird.
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