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«Kontakte knüpfen und Flagge zeigen»

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 29. April 2021

Carlo Jagmetti erinnert sich an seine Jahre auf dem diploma­tischen Parkett, das auch mal sehr glatt sein kann.

Carlo Jagmetti war 35 Jahre weltweit als Schweizer Diplomat unterwegs. (Bild: bms)

Während 35 Jahren war Carlo Jagmetti als Diplomat weltweit unterwegs. Nach Stationen in Bern, Rom, London, Saigon, Genf und als Botschafter in Süd­korea, bei der EG in Brüssel, in Frankreich und den USA landete er nach seiner Pensionierung 1997 hier in Zollikon, wo seine Frau und er sich gut aufgehoben und wohl fühlen. Auch mit 88 Jahren interessieren Jagmetti die Geschicke der Schweiz.

Sie haben in Zürich, Genf und ­Paris Jus studiert. Wären Sie nicht Diplomat geworden, welchen Weg hätten Sie eingeschlagen?

Ich habe nach dem Studium drei Jahre am Gericht gearbeitet und das Anwaltsexamen abgelegt. Aber die Diplomatie hat mich schon immer interessiert. In der damaligen Zeit war einem nach der Ausbildung ein Job sicher, also konnte man auch Dinge einfach ausprobieren. Ich habe aus Neugierde mit der Diplomatie angefangen und bin einfach hängengeblieben.

Als Diplomat haben Sie die Werte der Schweiz vertreten. Was sind das für Werte?

Völkerrechtlich gesehen vertreten Diplomaten ihre Regierung. Aber natürlich steht man für die Werte der Heimat. Das sind für mich vor allem Freiheit, Unabhängigkeit, direkte Demokratie, Föderalismus und – besonders aus Zolliker Per­spektive – die Gemeindeautonomie. Zu den schweizerischen Werten gehört selbstverständlich auch die Meinungsfreiheit, die leider zurzeit von vielen Seiten arg bedrängt wird.

Hat die Arbeit eher im Büro oder auf Anlässen stattgefunden?

Die meiste Arbeit findet im Büro und bei Kontakten ausserhalb statt. Wenn andere nach Büroschluss zum Feierabendbier oder nach Hause gehen, müssen Diplomaten sehr oft an Anlässen und Veranstaltungen teilnehmen. Dort heisst es, Kontakte zu knüpfen und Flagge zu zeigen. Es war mir immer wichtig, nicht nur in den Hauptstädten aktiv zu sein. Man muss hinaus und das Residenzland erforschen. So ist zum Beispiel Frankreich sicher mehr als Paris, und Washington ist nicht gleich USA. Abseits der Metropole ist das Leben anders spürbar.

Die Anlässe hatten aber stets konkrete Vorgaben – auch was die Bekleidung betraf.

Überall auf der Welt werden wichtige Anlässe meist gut organisiert. Dabei müssen oft Verhaltens- und Tenüvorschriften eingehalten werden. Das gehört zum Beruf und bedingt auch eine entsprechende Garderobe. Aber das ist alles Routine, und es ist ja wohl klar, dass man nicht im T-Shirt zum Empfang in den Buckingham Palace geht.

Welche Ihrer Stationen hat Ihnen am besten gefallen?

Bezüglich der Botschafterposten sage ich das so: Korea als ein Augenöffner auf eine besondere Welt, Brüssel bei der EG beruflich stets stimulierend und oft herausfordernd, Frankreich gesamthaft wohl der attraktivste Einsatz, die USA am spannendsten. In jungen Jahren in Rom und London zu leben, das war ein Privileg.

Eine sehr diplomatische Antwort. Wie haben Sie die Schweizer im Ausland erlebt?

Wir trafen Mitbürger an den unterschiedlichsten Orten. Einerseits ­gehört die Betreuung der Schweizerkolonie zu den beruflichen Verpflichtungen. Es handelt sich aber auch um eine bereichernde Erfahrung, und man kann von Landsleuten, die ihr Residenzland gut kennen, immer viel lernen. Es ergeben sich auch ganz einfach viele erfreuliche Bekanntschaften und manchmal sogar solide Freundschaften.

Hat Ihre Frau immer wieder klaglos die Umzugskartons gepackt und ist Ihnen gefolgt?

In der damaligen Zeit war das keine Frage. Die Familie ist überall hin mitgegangen. Meine Frau war immer voll im Einsatz und tat dies auch gerne und mit Erfolg. Heute wird vieles ganz anders gehandhabt. Ob das einen Fortschritt darstellt, das bleibt wohl offen.

Ihre Tochter hat dafür gesorgt, dass Sie nun in Zollikon wohnen.

Stimmt. Sie lebt in der Gegend und fand damals eine passende Unterkunft hier in Zollikon. Damit fiel die mögliche Option «Genferseegebiet», wo unser Sohn mit Familie wohnte, aus Abschied und Traktanden. Die Lösung «Zollikon» hat sich sehr bewährt.

Aber vor Ihrer Pensionierung gab es für Sie eine schwere Zeit in den USA.

Schwer klingt wohl etwas zu dramatisch. 1996/97 ging es allerdings um die recht harte Auseinandersetzung wegen der sogenannten herrenlosen Vermögen, um Geld, das seit dem Zweiten Weltkrieg auf Schweizer Bankkonten lag, und um die Suche nach den Berechtigten. In den USA wurde die Schweiz damals extrem angegriffen. An solches war man sich in Bern nicht gewohnt. Das Problem wurde zunächst vernachlässigt und dann vom Bund und den Banken mit grosser Mühe angegangen. Die Schweiz zeigte ein Bild von sehr bedauerlicher Schwäche. Wegen der Ausführungen eines Bundesrates in einem Interview, wegen der Aussagen eines Wachmannes über gefundene Dokumente und wegen der Publikation von tendenziös ausgewählten Z­itaten aus einem meiner vertraulichen Berichte durch eine Zeitung kam es dann zum Eklat. Für mich persönlich war das alles enttäuschend. Aber das ist Geschichte. Ich hege keinen Groll.

Nicht Geschichte, sondern Gegenwart sind die Verhandlungen mit der Europäischen Union. Was würden Sie da raten?

Wir dürfen nicht unterwürfig auftreten und natürlich auch nicht ­arrogant. Die Schweiz sollte mit angemessener Bestimmtheit und Anstand ihr Ziel verfolgen. Hätte man vor langer Zeit eine klare Strategie definiert, diese intern mit Parlament und Souverän möglichst gut abgestimmt und an der Aussenfront konsequent verfolgt, wäre die Situation heute wohl weniger schwierig.

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