«Und wann ist es bei euch soweit?»

Von Antje Brechlin ‒ 20. Mai 2021

Jedes sechste Paar in der Schweiz ist ungewollt kinderlos. Das kann zu einer enormen Belastung für die Beziehung werden; darüber zu reden fällt vielen schwer. Die 36-­jährige Zollikerin Roxana Rölli weiss, wovon sie spricht und hat sich spezialisiert, Frauen in dieser angespannten Zeit zur Seite zu stehen. Auf Kinderwunsch und Weiblichkeit spezialisiert, hat sie sich zum Persönlichkeits-­ und Life-­Coach ausbilden lassen.

Roxana Rölli steht Frauen mit Kinderwunsch zur Seite. (Bild: ab)

Das Durchschnittsalter der Erstgebärenden in der Schweiz ist in den letzten 40 Jahren von 27 auf 31 Jahre gestiegen. Gerade jüngere Frauen bevorzugen gemäss einer neuen Auswertung des Bundesamtes für Statistik ein unabhängiges Leben als Single. Der Kinderwunsch wird auf später verschoben, dann aber rücken Kinder an die erste Stelle der Prioritätenliste. Erst darauf kommt der Partner. Und noch später die Karriere.

Ja, so ist es. Von einem Paar, oder vor allem von einer Frau wird eigentlich erwartet, Kinder zu bekommen. Das ist fest in unseren Köpfen eingebrannt. In unserer Gesellschaft hält sich noch immer die hartnäckige Meinung, Frausein sei mit Muttersein gleichzusetzen, dass es eine Pflicht ist, Kinder in die Welt zu setzen.

Können Sie ein konkretes Beispiel geben?

Ich bin jetzt 36 Jahre alt. Wenn ich bei Freundinnen, die Kinder haben, auf neue Leute treffe, kommt die Frage garantiert: Hast Du auch Kinder? Sage ich nein, wird immer ein Grund erwartet. Die Leute trauen sich aber nicht direkt zu fragen, aber man merkt an der Mimik und Gestik, dass die Antwort nicht ausreicht. In den Augen vieler muss es einen Grund geben, keine Kinder zu haben oder haben zu wollen. Jedes Paar meiner Generation wird früher oder später gefragt: Und wann ist es bei euch soweit? Wollt ihr keine Kinder? Bei vielen klappt es früher oder später meist auch. Spätestens nach einem Jahr werden viele Frauen schwanger. Passiert es aber nicht, und man entscheidet sich für unterstützende Massnahmen, kommt man als Paar oftmals in einen Strudel, der extrem unter Druck setzen kann.

Wie muss ich mir das vorstellen?

Wenn ein Paar diesen ganzen Prozess der IVF (In-­vitro-­Fertilisation – lateinisch für «Befruchtung im Glas») durchmacht, ist das eine enorme Belastung für beide. Auch wenn die Frau organisch keine Probleme hätte, schwanger zu werden und zum Beispiel die Spermienqualität des Mannes Grund für die Kinderlosigkeit ist – bleiben letztlich fast alle Untersuchungen an der Frau hängen. Die Frau muss Hormone nehmen, das alleine ist emotional für viele schlimm. Der gesamte Kalender ist durchgeplant: regelmässige Arztbesuche, geplanter Sex oder an bestimmten Tagen kein Sex. Ein eigentlich natürlicher Vorgang wird total vertechnisiert. Der ganze Monat ist ein enormer Gefühlsprozess: Der Zyklus startet mit Hoffnung, es geht Richtung Eisprung – vielleicht klappt es ja diesen Monat. Nach dem Eisprung ist man zwei Wochen mega nervös. Frauen hören dann auf alles, was in ihrem Körper passiert. Bekommt man dann doch die Mens, fallen viele in ein Loch und sind todtraurig. Im nächsten Monat geht es dann genauso weiter. Das Auf und Ab der Gefühle über längere Monate ist extrem belastend. Vor allem für die Frauen. Auch für die Männer, denn sie können das Ganze gar nicht richtig fassen und kommen sich manchmal vor wie Statisten im eigenen Leben. Das kann zu massiven Reibungspunkten führen. Der Mann weiss während einer Hormonbehandlung oftmals nicht, was für eine Frau ihn zu Hause erwartet: eine traurige, eine entspannte oder angespannte. Damit umzugehen ist nicht einfach und setzt eine stabile Beziehung voraus.

Wie können Sie den Frauen oder Paaren helfen? Schwanger machen können Sie die ja nicht.

Ich bringe das nötige Verständnis auf, denn ich weiss, was in den Frauen vorgeht, da ich diesen Leidensweg selbst erfahren habe. Es ist toll, wenn Familie und Freunde Verständnis aufbringen. Trotzdem steht man irgendwie alleine da. Denn die ungeteilte Aufmerksamkeit für eine längere Zeit bringt kaum jemand auf. Der innere Kreis ist oft auch nicht hilfreich. Sätze wie «Du musst Dich nur mal ein bisschen entspannen, dann klappt das schon» sind gut gemeint, aber schwierig, sie umzusetzen, wenn man Monat für Monat auf eine Schwangerschaft hofft. Weil man mit anderen meist kaum über unerfüllten Kinderwunsch redet, steht man als Paar alleine da, sollte sich aber gegenseitig unterstützen. Da beide unter der Situation leiden, ist es fast unmöglich, sich gegenseitig zu helfen. Dafür bin ich da. Meine Klienten dürfen ganz sich selbst sein, über ihre Gefühle reden und diese auch zeigen. Zusammen gehen wir den Wünschen und Bedürfnissen, die hinter einem Kinderwunsch stehen, auf den Grund und decken limitierende Glaubenssätze auf. Ich unterstütze seelisch und moralisch, zeige unterschiedliche Meditations-­ und Entspannungsmethoden oder helfe bei der Entscheidungsfindung. Zum Beispiel einen Plan B zu finden, falls der Kinderwunsch unerfüllt bleiben sollte.

Sie sagten, der gesellschaftliche Druck sei enorm, was Elternschaft betrifft. Passiert es auch mal, dass Klienten feststellen, ganz andere Ziele im Leben zu haben als eine Familie zu gründen?

Das passiert öfters, als man glauben würde. In meinem Coaching waren Single-­Frauen Mitte Dreissig, die mit einem ausgeprägtem Kinderwunsch kamen und während der Sitzungen feststellten, dass der Druck von aussen viel grösser war als der eigene Wunsch. Wichtig ist dann, herauszufinden was einem im Leben wichtig ist. Sich frei zu machen von den Erwartungen Aussenstehender. Zu realisieren, dass Elternschaft wohl etwas Grossartiges ist, aber keinesfalls der Sinn des Lebens sein muss.

Sie lebten lange in Zürich und sind vor zweieinhalb Jahren nach Zollikon gezogen. Wie gefällt es Ihnen hier?

Es ist die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. An Zollikon liebe ich vor allem das Leben am See. Ich bin eine richtige Wasserratte; der Sommer hier fühlt sich wie ein langer Urlaub an. Der Mix zwischen Natur-­ und Stadtnähe ist einfach perfekt für meinen Lifestyle.

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