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«Die Spontanität meiner Landsleute fehlt mir»

Von Antje Brechlin ‒ 17. Juni 2021

Der 37-jährige Mario Preisser ist in Zollikon kein Unbekannter. Ein Schwatz hier, ein Austausch da. Zum einen arbeitet er seit 14 Jahren bei Widmer Gartenbau, zum anderen hat er schon seit Jahren ein bei Städtern beliebtes Hobby: Hühnerhaltung. Das gibt Gesprächsstoff.

Mario Preisser kennt sich mit Tieren und Menschen aus. (Bild: ab)
Mario Preisser kennt sich mit Tieren und Menschen aus. (Bild: ab)

Vor 14 Jahren sind Sie aus dem thüringischen Weimar nach Zollikon gezogen. Wie kam das?

Damals sah es arbeitsmässig in Deutschland nicht besonders gut aus. Einer meiner Schulfreunde lebte bereits in Zollikon und arbeitete bei Widmer Gartenbau. Der stellte mich Jürg Widmer vor, der noch Leute suchte, die sich mit der Landwirtschaft auskennen. Ich hatte den Beruf des Agrotechnikers ja von der Pike auf gelernt. Jürg Widmer schaute sich an, wie ich die Kühe auf die Wiese trieb und noch ein paar andere landwirtschaftliche Handlings. Das passte wohl alles zusammen – und schon hatte ich den Job. Es war sehr ­unkompliziert. Und so ist es bis heute.

Mittlerweile haben Sie Familie. Ihre Frau Katja ist auch nicht in der Schweiz aufgewachsen, Sohn Paul ist im Spital Zollikerberg geboren und mittlerweile sechs Jahre alt. Im August kommt er in die Schule. Sind Sie in Zollikon und der Schweiz angekommen?

Angekommen, ich weiss nicht so recht. Das ist schwierig zu beantworten. Die Kollegen aus meiner alten Heimat, einer wohnt in ­Zürich, der andere in Winterthur, auf die kann ich mich verlassen. Ansonsten ist es doch eher schwierig, einen wirklich festen Freundeskreis zu finden. Es passiert selten, dass sich ein Nachbar dazugesellt. Dass man spontan zusammen grilliert, geschweige denn spontan Hilfe bekommt. Jeder ist hier sehr mit sich beschäftigt und macht meist zügig die Haustür hinter sich zu. Es ist einfach eine andere Mentalität. Wo ich aufgewachsen bin, ist man einfach mal zu den Nachbarn gegangen und hat ein Schwätzchen gehalten, blieb zehn Minuten und ging wieder. Dort wird nicht aus jedem Besuch ein grosses Fest gemacht. Hier werden die Leute nicht gerne unvorbereitet besucht. Diese Spontanität fehlt mir.

Was hält Sie denn hier in Zollikon?

Auf jeden Fall meine Arbeit bei Widmer Gartenbau. Sie macht mir grossen Spass, es ist ein Familienbetrieb, man hört aufeinander. Es ist ein Geben und Nehmen. Widmer Gartenbau ist für mich wie eine zweite Familie. Wenn man bei uns Probleme hat, geht man zum Chef. Der hat immer ein offenes Ohr. Mein Chef hat noch nie Nein gesagt, wenn ich etwas Dringendes zu ­erledigen habe. Andererseits kann er sich auch immer auf mich verlassen. Das sind grossartige Bedingungen, die mir wichtig sind und viel zur Lebensqualität beitragen. Mein Sohn ist hier geboren, meine Frau in Polen, ich bin in Deutschland aufgewachsen. Es wäre irgendwie unfair, zurück nach Deutschland zu gehen, denn für meine Familie wäre es ein kompletter Neustart. Allein für mich wäre es einfacher, weil ich das Land und die Menschen kenne.

Ein weiterer Grund, der für das Leben in Zollikon spricht, sind die Zukunftsaussichten für meinen Sohn. Gerade was Schule und Ausbildung betrifft, hat das Schweizer Bildungssystem demjenigen in Deutschland einiges voraus.

Seit vielen Jahren halten Sie Hühner auf dem Bauernhof an der ­Rütistrasse. Ein Magnet für die Kinder. Viele kennen den Hof, auf dem Ziegen und Hühner manchmal miteinander eingekuschelt ­Siesta halten und die anderen knapp dreissig Hühner scharren, im Sand baden und wahrscheinlich die allerbesten Bio-Eier legen. Wie kamen Sie zur Hühnerhaltung?

Bei mir ist es nicht, wie gerade bei Städtern, ein angesagtes Hobby. Ich bin mit ganz vielen Tieren in einem kleinen Ort bei Weimar aufgewachsen. Hühner, Enten, Gänse, Fasane, Ziegen, Schweine, Kaninchen, Hunde, Katzen – wir hatten einfach alles. Mein Chef Jürg Widmer, hat mir vor Jahren angeboten, seinen Hühnerstall zu nutzen. Also schaffte ich mir Hühner an und kümmerte mich gleichzeitig um seine Ziegen. Früher standen auch noch drei Kühe auf der Wiese nebenan, die ich mitversorgte. Heute steht darauf die Überbauung «The Pearl».

Was ist das Schöne an der Hühnerhaltung?

Hühner sind cool und einfach zu halten. Sie brauchen ein Dach über dem Kopf, Auslauf und einen Zaun drumherum. Sie fressen Körner, Gras und Lebensmittelreste. Ausserdem hat man immer frische Eier. Den Hühnern zuzuschauen ist ­beruhigend, sie sind wirklich den ganzen Tag mit Scharren, Baden und Fressen beschäftigt. Problematisch wird es, wenn der Fuchs unterwegs ist, was gerade der Fall ist. Wie in anderen Orten auch, gibt es hier viele Füchse. Und wie jedes Kind weiss, mag der Fuchs Hühner. Gerade vor einer Woche hat er am helllichten Tag acht meiner Hühner totgebissen. Das war ein grosser Verlust und ein blutiges Massaker.

Was macht man dann?

Man ruft den Jäger an und fragt, ob er hilft. Zur Zeit ist es aber ein wenig kompliziert, weil die Füchse bis zum 16. Juni Schonzeit hatten, um ihre Jungen aufzuziehen. Jetzt warte ich auf den Jäger und hoffe, dass er eine Lösung findet, damit nicht noch mehr Tiere gerissen werden.

Mit Mario Preisser sprach Antje Brechlin

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Eine Antwort

  1. eine Idee für Herr Preisser

    In einem Verein nach Interesse mitmachen.
    So lernt man Leute kennen. Ich habe es auch so gemacht vor vielen Jahren.
    Grüsse von E. Duc

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