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Ein persönlicher Brief zu Weihnachten 2021

Von Anne-Käthi Rüegg-Schweizer ‒ 16. Dezember 2021

Liebe Leserin, lieber Leser
Freuen Sie sich auf Weihnachten? Oder ist dies ein Datum, das Sie lieber aus Ihrer Agenda streichen würden?

Die Weihnachtszeit ist für viele eine besonders kostbare Zeit. (Bild: ab)

Als Kind konnte ich es kaum erwarten bis Weihnachten endlich da war. Die besondere Stimmung der Adventszeit, der Duft der Weihnachtsguetzli, das Singen und Musizieren, die Geschichten und das Memorieren von Gedichten, die Kinderweihnacht mit dem grossen Christbaum in der reformierten Kirche Horgen, das Feiern in der Familie, die Geschenke, all dies machte Weihnachten zu einer kostbaren Zeit im Jahr. Gleichzeitig litt ich – mehr als sonst – unter all den Spannungen, die sich in dieser Zeit zeigten: Hohe Erwartungen führten zu Erschöpfung und Konflikten, Wunden von inneren Verletzungen innerhalb des Familiensystems ­brachen auf, es war nicht nur die Dunkelheit der Jahreszeit, sondern auch die Dunkelheit der Welt spürbar.

Als junge erwachsene Frau hielt ich diese Spannungen nicht mehr aus, löste mit der Mitteilung, dass ich Weihnachten in diesem Jahr nicht mit der Familie feiern werde, Irritationen aus und verreiste mit ­wenig Geld in der Tasche für eine Woche. Fern von aller Zivilisation, ohne Strom und Warmwasser, nur zu Fuss durch den tiefen Schnee erreichbar, verbrachte ich die Weihnachtstage in der Stille zu zweit in einem alten Bauernhaus im Berner Oberland. Diese Weihnachtstage wurden mir zu einem unvergess­lichen Geschenk. Ich erlebte eine Ruhe und Geborgenheit, Liebe und inneren Frieden, fühlte mich versöhnt mit mir selbst und der ganzen Welt.

Während meiner Zeit als Pfarrerin waren die Weihnachtstage dicht gefüllt mit Gottesdiensten, Musik, Essen, Gesprächen mit Menschen, die jemanden brauchten, der Zeit hatte zum Zuhören. Ich habe diese Tage geliebt und Privates auf andere Zeiten verschoben. So feierten wir mit den eigenen kleinen Kindern Weihnachten bereits im ­Advent. Zu Jahresbeginn verbrachte ich dann einige Tage allein im Engadin, um meine Kräfte wieder aufzutanken.
Wie ich Weihnachten in diesem Jahr feiern werde, ist im Moment, da ich diese Zeilen schreibe, noch offen.

Zum ersten Mal seit 40 Jahren fallen die beruflichen Verpflichtungen an ­diesen Tagen weg. Ich freue mich darauf. Ich werde die ruhigere Zeit zuhause mit meinem Mann verbringen. Ich hoffe, dass uns die Kinder besuchen können, aber mit der Pandemie ist Weihnachten auch in diesem Jahr nicht wie früher. Ich geniesse es, mehr Zeit zu haben für die weihnächtlichen Vorbereitungen, für mich selber, Zeit auch, um mich mit den biblischen Weihnachtsgeschichten zu beschäftigen.

Ich entdecke neue Parallelen zwischen unserer Zeit und jener Epoche vor mehr als 2000 Jahren. Auch damals war eine konfliktreiche Zeit. Das persönliche Leben war bei vielen Menschen durch Armut geprägt. Im Land Palästina führte die politische Situation zu Spannungen, die sich in Aggressionen und Aufständen zeigten.

Wir hören von Menschen aus jener Zeit, die sich unbeirrt von den äusseren Unruhen auf den Weg machten. Sie liessen sich von einem Stern und durch nicht erklärbare Erfahrungen führen. Sie brachen mit den bisherigen Traditionen, suchten neue Wege, setzten viel aufs Spiel, hielten Angst und Unsicherheiten aus und fanden eigentlich im Nichts, in diesem neugeborenen Kind etwas, das ihre Sehnsucht stillte und zu einem Schatz für ihr Leben wurde.

Ob die Künstlerin des Bildes meines Briefes eine ähnliche Erfahrung zum Ausdruck bringt? Ich weiss es nicht. Was ich weiss ist, dass sie eine schwere Zeit in ihrem Leben hinter sich hat. Nun hat sie wieder ins Leben zurückgefunden. Ein schmerzlicher Weg liegt hinter ihr, noch ist offen, wohin sie die nächsten Schritte führen werden. Der Schatz, den sie auf diesem Weg gefunden hat, gibt Anlass zur Hoffnung.

Diese Hoffnung wünsche ich auch Ihnen, lieber Leser, liebe Leserin. Mögen Ihnen die Weihnachtstage 2021 die Chance bieten, diesen Schatz zu entdecken, damit Sie den Weg ins Jahr 2022 mit Zuversicht und innerer Energie weitergehen können.


Anne-Käthi Rüegg-Schweizer war mit Leib und Seele Pfarrerin. (Bild: Archiv)

Frohe Festtage!

Anne-Käthi Rüegg-Schweizer arbeitete 20 Jahre in Zollikon. Die «Pfarrerin zum Anfassen» schaut als Pensionärin neugierig in die Zukunft.

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