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Viel Raum für Geistesblitze

Von Franca Siegfried ‒ 10. Februar 2022

Die Knacknüsse des Informa­tionsaustausches im digitalen Zeitalter bewältigt das Startup-Unternehmen «Squirro» dank künstlicher Intelligenz für internationale Konzerne. Dahinter steht der Unternehmer Dorian Selz, der global agiert, mit seiner Familie jedoch in Zollikon lebt.

Dorian Selz lebt in Zollikon und gehört mit seinem Unternehmen zu den Global Players. (Bild: fs)
Dorian Selz lebt in Zollikon und gehört mit seinem Unternehmen zu den Global Players. (Bild: fs)

«Ab Sommer 2020 wurde mir klar, dass mit der anrollenden Impfkampagne eine Online-Plattform gefordert ist, die in kürzester Zeit grosse Nutzerzahlen bewältigen kann», berichtet Dorian Selz. Seine Überlegungen erinnerten ihn auch an sein zweites Start-up-Unternehmen. Damals entwickelte er www.local.ch. Damit hatte er 2008 die Website mit den meisten Nutzern in der Schweiz geschaffen. Einzig SBB Online konnte mithalten. Eine solche Plattform brauchte das Bundesamt für Gesundheit BAG – so würden Bund und Kantone den Ansturm zu Beginn der Impfkampagne bewältigen können, dachte Dorian Selz. Also schrieb er E-Mails an verschiedene Personen der BAG-«Teppichetage». Noch heute wartet er auf Antwort. Es kam wie es kommen musste – abstürzende Impfwebsite, Datenchaos, eine «Corona-App»

mit grosser Startschwierigkeit und schwindendes Vertrauen der Bevölkerung. Kurzum, das digitale Zeitalter sorgte bei den Berner Chefbeamten für einige Irritation. Dorian Selz wundert sich über die Berner. Auch er stammt aus diesem Kanton: «Aufgewachsen bin ich in Zauggenried, dem Dorf der Hornussen-Weltmeister.» Das Bauerndorf liegt nur 23 Kilometer entfernt vom Bundesamt für Gesundheit in Liebefeld.

Informationsaustausch

Die IT-Technologie faszinierte ihn schon als Gymnasiast, deshalb wählte der Maturand die Universität Genf für sein Studium. Die Nähe zum CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung, war ihm wichtig. Hier entwickelte der Brite Tim Berners-Lee 1989 das World Wide Web (WWW) mit dem Ziel, einen automatisierten weltweiten Austausch zwischen Forschenden von Universitäten und Hochschulen zu sichern. Informationsaustausch zieht sich bei Dorian Selz wie ein roter Faden durch das Leben. In seiner Masterarbeit beschäftigte er sich mit der Auswirkung der Technologie auf Wirtschaft und Gesellschaft. Nach einem Praktikum bei der Europäischen Kommission in Brüssel ging er nach St. Gallen an die HSG. «Mit Beat Schmid, einem Visionär, durfte ich der Grossbank UBS ihre erste Webseite präsentieren und eine erste Fassung von E-Banking», erzählt Dorian Selz. Das war 1995. Die Banker vom Zürcher Paradeplatz hörten höflich zu und lehnten ab – die Zeit war noch nicht reif.

Vier Startups

Heute ist Dorian Selz 50 Jahre alt und hat vier Startups aufgebaut. Drei davon mit den Mitgründern Toni Birrer und Patrice Neff. ­Patrice Neff lebt übrigens auch in Zollikon. Das aktuelle Unternehmen heisst «Squirro», inspiriert vom Eichhörnchen, vom emsigen Sammeln der Nüsse und Samen des possierlichen Tieres – auf Englisch «Squirrel». Dorian Selz betont, dass er nie Manager eines Konzerns sein wollte. Er verkörpert das, was der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter im 20. Jahrhundert als eine Person beschreibt, die fähig ist, neue Ideen umzusetzen, nicht nur als Erfinder, sondern als Innovator, der materielle, wie auch immaterielle Kräfte kombiniert und so alte Strukturen verdrängt – und neue schafft, gepaart mit finanziellem Erfolg. Dorian Selz begleitet seit Jahren ein internationales Team von hellen Köpfen, sie alle inspirieren und ergänzen ihn. Heute arbeiten im Zürcher Seefeld rund 45 ­Leute. «Squirro» hat auch Büros in London, Singapur, New York und in Austin, der Hauptstadt des ­US-Bundesstaates Texas eröffnet. Warum ausgerechnet in Austin, der Stadt mit einer reichen Musikszene? Weil der «Squirro»-Gründer selber E-Gitarre spielt? Zumindest hat er während der Pandemie sein Instrument wieder aus dem Schrank geholt. Für ein Familienorchester reicht es nicht; Frau und Tochter spielen Klavier. Besonders in den letzten zwei Jahren ohne grosse Reisen fand die Familie mehr Zeit für sich. Seit bald 20 Jahren lebt sie in Zollikon. Die 12-jährige Tochter besucht die Schule Oescher. Seine Frau, eine gebürtige Tessinerin, die sich in Zollikon ­einbürgern liess, hat ursprünglich Architektur studiert. Der Digitalisierung konnte auch sie nicht ­widerstehen und arbeitet heute im Immobiliensektor.

Künstliche Intelligenz

Indirekt ist Dorian Selz für das ­Finanzwesen tätig. Anhand eines fiktiven Beispiels von seiner Auftraggeberin, der Europäischen Zentralbank EZB, zeigt er, was «Squirro» auszeichnet. Es sammelt Informationen, etwa über den Welthandel, von Volkswirtschaften und aus ­Geschäftsberichten von Banken – daraus entsteht in Minutenschnelle ein fundierter Bericht zur Abschätzung von Kreditrisiken. Eine internationale Redaktion müsste dafür wochenlang recherchieren. «Maschinelles Lernen, sogenannte künstliche Intelligenz, ermöglicht uns ­solche Textanalysen.» In bescheidener Art erklärt Dorian Selz, was sein «Eichhörnchen» sonst noch ­alles zu bieten hat, beispielsweise für Pharmakonzerne und internationale Grossbanken. Als er jedoch vom sechsmonatigen Bewerbungsprozess bei der Europäischen Zentralbank sprach, schwang ein persönlicher Stolz mit. Sein «Squirro» helfe, die Eurozone stabil zu halten. Es kann mithalten mit den grossen Mitbewerbern! «Das legendäre ­Silicon Valley ist längst in der Schweiz angekommen.» Etwa in der Bodenseeregion zwischen den Universitäten St. Gallen und Konstanz, an den beiden ETHs Lausanne und Zürich, auch in Basel: «In der Schweiz können wir gute digitale Produkte auf Weltniveau entwickeln. Diese überzeugen auch Apple, Google und Co.» Bei der ­Palette potenter Kundschaft denkt Dorian Selz global. Trotzdem will er in Zollikon leben: «Lokal verankert sein und die Bodenhaft nicht verlieren.» Es wird auch die Kindheit auf dem Bauernhof in Zauggenried sein, die ihn seine Wurzeln nicht vergessen lässt – auch wenn er im Büro in Singapur steht. Mit dieser Bodenhaftigkeit findet er Raum für neue Geistesblitze.

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