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«Ich möchte meinen Vater noch einmal sehen»

Von Antje Brechlin ‒ 24. Februar 2022

Zahra Assam lebt mit ihrem Ehepartner und drei Kindern in Zumikon. Vor sechs Jahren floh die Familie vor den Unruhen aus dem Irak. Die 29-Jährige meistert das Leben hier mit Bravour, spricht gut Deutsch, hat Arbeit, ist integriert. Die Familie ist in Zumikon herzlich empfangen worden. Ganz einfach ist es trotzdem nicht.

Zahra Assam ist froh, mit ihrer Familie in Zumikon zu leben. (Bild: zvg)
Zahra Assam ist froh, mit ihrer Familie in Zumikon zu leben. (Bild: zvg)

Wie kommt man aus einer Stadt in der Nähe von Bagdad nach ­Zumikon?

Zumikon ist unser Schicksal. Hier sind wir zur Ruhe gekommen. Mein Mann und ich wollten unseren Kindern ein besseres Leben bieten und flüchteten vor dem Krieg im Irak. Unsere Flucht führte über die Türkei mit dem Boot nach Griechenland, dann weiter meist zu Fuss nach Wien. Weil wir Verwandte in der Schweiz haben, hofften wir, auch hierher kommen zu ­können. Mein Sohn Ahmed war damals sechs Jahre alt, Tochter Samar zwei Jahre. Nach einigen Übergangslagern in Altstetten und der Westschweiz kamen wir nach ­Zumikon. Unsere jüngste Tochter ­Tasneem ist fünf und hier geboren.

Sie sagen, Zumikon sei Ihr Schicksal. Wie meinen Sie das?

Wir sind hier so freundlich empfangen worden, das war berührend. Natürlich sind nicht alle Leute gleich, aber es gibt viele hilfsbereite und unterstützende Menschen ohne Vorurteile Fremden gegenüber. Auch von der Kirche haben wir viel Unterstützung erfahren.

Sie sind Muslima und hier in die Kirche gegangen?

Ich habe in der Kirche als Freiwillige gearbeitet. Um Menschen und die Sprache kennenzulernen, bereitete ich Kaffee zu und räumte auf. Ja, ich bin Muslima, aber sehr offen und habe alle Menschen und Religionen gern. Man muss einfach ein gutes Herz haben, auch auf andere zugehen.

Haben Sie in der Schweiz nur positive Erfahrungen gemacht?

In Zumikon schon. Zumiker haben mir die deutsche Sprache beigebracht, kamen dafür extra zu uns nach Hause, sie waren da, wenn wir Hilfe brauchten. Die Hilfs­bereitschaft war und ist gross. Aber auch wir haben Fremdenfeindlichkeit erlebt – wie wahrscheinlich viele andere. In Zürich spuckte mich mal eine Frau an, weil ich ein Kopftuch trug. Einfach aus dem Nichts. Ich dachte mir, dass die Frau ein Bild von muslimischen Frauen im Kopf hat, das nichts mit mir persönlich zu tun hat. Nach diesem Vorfall entschied ich mit meinem Mann, dass wir uns auch in Sachen Kleidung integrieren müssen. Wir leben jetzt hier und schoben deshalb auch einen Teil unserer Kultur beiseite. Vieles behalten wir bei, zum Beispiel sprechen unsere Kinder auch arabisch. Aber damit es uns hier gut geht, müssen wir uns ein Stück weit anpassen. Das ist für uns gut und richtig so.

Was ist für Sie das Beste an der Schweiz?

Das ist einfach zu beantworten: Die Sicherheit, die Ruhe und die Hilfsbereitschaft.

Gibt es etwas, das Sie vermissen?

Natürlich, die Familie. Wir haben seit sechs Jahren ausschliesslich über Facetime Kontakt. Ich habe grosses Heimweh nach meinem ­Vater. Er ist sehr krank, und mein grösster Wunsch ist es, ihn noch einmal zu sehen. Meine Mutter starb, als ich 16 Jahre alt war.

Sie können Ihre Familie nicht besuchen?

Nein, leider nicht. Wir haben eine Bewilligung F, mit dieser darf man die Schweiz nicht verlassen. Wir würden gerne die B-Bewilligung ­erhalten, aber das ist sehr schwer. Dafür müsste ich beispielsweise hundert Prozent arbeiten. Ich ar­beite achtzig Prozent, wir haben ja drei Kinder. Mein Mann kümmert sich um sie und hat ein kleineres Pensum als Gärtner. Wir hoffen aber, einen Weg zu finden, damit ich meinen Vater noch einmal sehen kann.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Dass ich es schaffe, meine Kinder gut zu erziehen. Dass sie gut in der Schule sind, eine Ausbildung machen, einem Beruf nachgehen und hier ein sicheres, gutes Leben führen können. Ein Leben in Frieden und Freiheit. Mein persönlicher Traum wäre es, in Zumikon ein Take-away mit arabischem ­Essen zu eröffnen. Das ist noch ferne Zukunft. Jetzt arbeite ich beim «Wilden Kaiser» – und das sehr gern. Ein super Arbeitgeber. Als ich mich vorstellte, hatte ich keinen schriftlichen Lebenslauf, keine ­Unterlagen dabei. Herr Krahnstöver hat sich dann länger mit mir unterhalten und entschieden, dass ich den Job bekomme. Das war grosses Glück. Er unterstützt mich sehr, dafür bin ich dankbar.

Jetzt waren gerade Ferien. Viele fahren in die Berge oder entspannen an anderen schönen Orten. Was haben Sie mit der Familie erlebt?

Wir waren nicht in den Ferien, das geht leider nicht. In Zumikon gibt es aber für die Kinder ganz schöne Angebote. Zudem habe ich eine Schweizer Freundin, die für meine beiden Mädchen wie eine Ersatzomi ist. Sie lieben diese Frau und verbringen gerne Zeit mit ihr. Ahmed ist schon 13 und hat gute Freunde: Eine Kollegin nimmt ihn manchmal mit in die Berge. Dieses Jahr durfte er mit ihrer Familie in die Ferien nach Laax fahren und stand das erste Mal in seinem ­Leben auf Skiern. Das freute ihn und auch uns sehr. Wir lernen viel von ihm. Er besucht die Sekundarschule A in Zollikon und hat die Hälfte seines Lebens in der Schweiz verbracht. Er kann Dinge oftmals erklären, die uns manchmal fremd oder komisch vorkommen. Er ist eine grosse Hilfe in der Familie und bringt mich oft zum Lachen.

Mit Zahra Assam sprach Antje Brechlin

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