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Jeder weiss: Es ist ernst

Von Antje Brechlin ‒ 11. März 2022

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt derzeit die Welt. Die 16-jährige Emilia aus Zollikon hat eine Grossmutter in Dnjepropetrowsk. Die Stadt in der Ostukraine ist direkt vom Krieg betroffen. Dank Emilias Eltern konnte die Grossmutter jetzt in die Schweiz flüchten.

Emilias Grossmutter wurde gerettet und in die Schweiz geholt. (Bild: ab)

Deine Grossmutter wohnt in Dnjepropetrowsk, in der Ostukraine. Die Stadt ist praktisch von russischen Truppen umzingelt. Kannst du beschreiben, wie ihre Flucht in der vergangenen Woche ablief?

Meine Grossmutter hatte das Glück, dass meine Eltern die Flucht mitorganisiert haben. Bahntickets kriegte man nur noch mit Beziehungen, doch über Bekannte bekam sie eines. Sie fuhr von Dnjepropetrowsk 26 Stunden mit dem Zug in die Nähe der ukrainisch-ungarischen Grenze, teilte sich das Viererabteil mit 18 Personen. Ein privater Fahrer fuhr sie später mit dem Auto an die Grenze. Meine ­Eltern sind zeitgleich von Zürich nach Budapest geflogen. Dort mieteten sie ein Auto und trafen an einem ausgemachten Ort meine Grossmutter. Zusammen fuhren sie dann in die Schweiz.

Hat deine Grossmutter mit einem Krieg gerechnet?

Nein, sie hat nicht damit gerechnet, dass jetzt unmittelbar ein Krieg ausbricht. Aus dem Nichts ist es in ihren Augen aber nicht passiert, denn den Krim-Konflikt mit Russland gibt es ja schon länger.

Die Perrons in Dnjepropetrowsk quellen über: Jeder hofft, Platz im Zug zu finden. (Bild: zvg)

Wie reagierte deine Grossmutter, als die ersten Bomben fielen?

Sie hatte grosse Angst. Wir facetimten an diesem Tag. Meine Mutter riet ihr, aufs Land zu gehen, denn da war es sicherer. Aber es fuhren keine Züge, und Flugzeuge waren nicht buchbar. Die Menschen waren in Panik, stürmten die Bankautomaten, jeder wollte sein Geld abheben. Die grossen Läden hatten geschlossen, jeder versuchte noch Essen und Trinken zu kaufen. Meine Mutter organisierte schliesslich die Flucht meiner Grossmutter, die darüber sehr glücklich war. Sie selbst war gar nicht mehr in der Lage zu organisieren. Viele ihrer Freunde und Nachbarn haben aber nicht das Glück, Verwandte im Ausland zu haben, oder sind schon zu alt, um das Land zu verlassen.

Jetzt ist deine Grossmutter hier. Wie geht es ihr? Und weiss man schon, wie lange sie bleiben kann?

Es wurde gesagt, dass alle Ukrainer sicher ein Jahr bleiben können. Meine Eltern erkundigen sich, was machbar ist. Vielleicht ein Visum beantragen. Meine Grossmutter ist aber noch nicht sicher, ob sie überhaupt immer hierbleiben will, denn sie hat ja auch viele Freunde und Bekannte in der Heimat. Zur Zeit ist sie aber wohlauf und froh, hier zu sein.

In der Ostukraine leben viele Russen. War die Rivalität zwischen den Ukrainern und Russen spürbar?

Letztlich wollen alle in Frieden leben. Ich glaube, ein paar Russen meinen, dass die Ukraine zu Russland gehört, weil Russen dort leben. Ich persönlich denke, dass die ­Ukrainer besser mit Russen zurechtkommen als andersherum. Die Denkweise spiegelt sich vielleicht auch ein bisschen in der Sprache wieder. Die meisten Ukrainer sprechen Russisch, aber die Russen verstehen und sprechen kein Ukrainisch.

In allen Medien wird über den Konflikt mit Russland und den Ukrainekrieg berichtet. Ist die Berichterstattung ausgeglichen?

Es ist seit Jahren bekannt, dass die Russen und Ukrainer einen Konflikt austragen. Über die Hintergründe wurde früher definitiv zu wenig berichtet, aber das ist ja allgemein ein Problem der heutigen Berichterstattung. Vielleicht wird etwas weniger neutral in den konventionellen News berichtet, aber vor allem über die sozialen Medien bin ich gut informiert.

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