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Die Ungewissheit einer Sportler-Karriere

Von Franca Siegfried ‒ 28. April 2022

Er ist mutig und saust die gefährlichsten Rennpisten hinunter. Dahinter steht Training, aber auch Bodenständigkeit, Organisation und eine umsichtige Planung. Der Skirennfahrer Niels Hintermann lebt seit einem Jahr im Zollikerberg und erzählt aus seinem Leben.

Auf Bäume klettern, das habe er mit seinem Bruder gemacht. Heute brettert Niels Hintermann über steile Rennpisten. (Bild: fs)

«Ich bin auf den Skiern gestanden, bevor ich richtig gehen konnte», erklärt Niels Hintermann sein Talent. Der 26-Jährige steht mitten in einer erfolgreichen Sportler-Karriere und gehört zu den Top 10 in der Abfahrt (Rang 7 in der Wertung) und im Super-G zu den Top 30 (27. Rang) der Weltrangliste. Der Athlet ist auch wegen seiner Statur nicht zu übersehen: 190 Zentimeter gross und 96 Kilogramm schwer.

Er ist nicht in den Bergen neben Steilhang und Skilift aufgewachsen. Seine ersten Lebensjahre verbringt er im Zürcher Unterland in Rorbas auf 395 Meter über Meer. Das Glück steht jedoch auf seiner Seite: Er wurde in eine Skifamilie hineingeboren. «Mein Vater war Trainer im Zürcher Skiverband», erzählt er. «Schon als Bub habe ich mir jede Abfahrt im Fernsehen angeschaut und mitgefiebert.» Nach seinem zehnten Geburtstag packt er den Koffer und zieht ins Internat der Skimittelschule nach Schruns im Vorarlberg: «Mami oder Papi haben mich jeweils am Freitag abgeholt und am Sonntagabend wieder zurückgebracht.» Der risikoreiche Sport auf zwei Brettern dominiert das Leben des Schülers. Mit 15 Jahren wechselt er an die Sportmittelschule in Engelberg. Ein Ort, der nebst der Talentförderung im Schneesport sich auch um Zukunftsperspektiven der Sportlerinnen und Sportler kümmert. «Ich habe in Engelberg nebst der Hotelhandelsschule auch das KV ab­geschlossen. Ich lernte sehr früh, dass ich als Sportler Sponsoren ­suchen muss. Also klopfte ich in der ­Umgebung von Rorbas, Bülach, Embrach und Freienstein an die Türe kleiner und grösserer Firmen.» Die Beiträge variieren zwischen 500 und 2000 Franken pro Jahr. Er ist noch heute dankbar für diese finanzielle Unterstützung und für den Glauben der Zürcher Unterländer an sein Talent.

2018 hat der Blick-Journalist Marcel Perren ihn als den Städter auf ­Skiern gefeiert. Das Foto prangt auf der persönlichen Webseite, wie er im «Nati-Skidress» auf der Bank des Tramhäuschens Paradeplatz für Blick posiert. Seine Webseite betreut er selber. «Meine Freundin berät mich und bringt mit ihrem Perfektionismus den letzten Schliff für die Texte.» Sie ist eine Expertin, was die Darstellung beruflicher Profile betrifft und arbeitet im Bereich Human Resources in einer Zürcher Privatbank. Mit ihr zusammenwohnen, das war ein nächster Schritt. Aber wo? Ihre Evaluation eines Wohnorts mit Naherholung im Grünen, komfortablem öffent­lichen Verkehr, Agglomeration ­Zürich usw. machte den Zollikerberg zum Sieger. Nun musste noch eine erschwingliche Wohnung gefunden werden. Vor einem Jahr zog das Paar in den 8. Stock eines älteren Wohnhauses. «Wir haben eine grossartige Aussicht zum Uetliberg, nach Höngg und der Lägern, diesem östlichsten Jura-Ausläufer», schwärmt Niels Hintermann «Die Wohnung ist hell und sonnig.» Die Nachbarn im Haus haben erst nach einigen Wochen realisiert, welch schneller Skifahrer unter ihrem Dach lebt. «Über uns wohnt eine Familie, die beiden Jungs haben mich in voller Grösse gemalt», berichtet er lachend, aber auch etwas stolz. Das Paar hat im Zollikerberg das Golfspiel für sich entdeckt. ­Einen Sport, den sie gemeinsam ausüben können. Zudem fährt Niels Hintermann mit seinem Velo oft am Golfplatz in Zumikon vorbei: «Dort würde ich auch gerne mal abschlagen.»

Joggen und Velofahren, das macht er so oft er kann, schliesslich hat er beste Möglichkeiten vor der Haustüre. Beim Velofahren trägt er Kopfhörer und pedalt mit gutem Sound – Hip-Hop, Heavy Metal. Er trainiert eisern, ohne Motivationsprobleme. Zumal ihn Verletzungen an Knie und Schulter auch schon ausgebremst haben. Nebst dem Körperlichen ist die Psyche, die Motivation und das Mentale Teil des Erfolges – besonders in der Königsdisziplin. Bei der Abfahrt erreichen die Skifahrer je nach Strecke Geschwindigkeiten bis zu 130 Stundenkilometer. Die Streif in Kitz­bühel ist eine der schwierigsten und gefährlichsten Rennpisten der Welt. «Sie braucht Mut, dafür absolvieren wir ein mentales Training. Der ­Mythos der Streif als gefährlichste Strecke stimmt, aber die Abfahrt ist sehr, sehr schnell vorbei – die ersten 35 Sekunden, danach nochmals 30 Sekunden. Bormio mit der Rennstrecke Stelvio ist für mich persönlich anspruchsvoller, weil sie länger dauert.»

Mut auf der Piste mit Gefällen bis zu 50 Prozent, Sprüngen bis zu 80 Metern, risikoreich ist auch die ­Lebensplanung eines Spitzensportlers. Niels Hintermann engagiert sich im «Athletes Network». Das Start-Up haben ehemalige Athleten für Athleten gegründet. Sie geben ihre Erfahrungen aus unterschiedlichen Disziplinen weiter – von Skisport, Eishockey bis Fussball. Er ist das jüngste Mitglied im Team, obwohl noch aktiv als Skirennfahrer. Ein Studium mit Bachelor ist sein Plan. Er könnte sich die Arbeit in einer Bank oder im Marketing vorstellen. «Eine Laufbahn in der Wirtschaft ist anders als im Sport – es geht nicht darum, zu siegen, auf dem Podest zu stehen …»

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