Schweine-Arbeit im Kampf gegen Neophyten

Von Antje Brechlin ‒ 3. Juni 2022

Zollikons Wald hat ein grosses Problem mit Henrys Geissblatt – einer invasiven Pflanze, die sich unkontrolliert ausdehnt. Um Herr der Lage zu werden, gehen die Gemeinde und Naturnetz Pfannenstil neue Wege und setzen auf die Mitarbeit von Turopolje-Schweinen.

Henrys Geissblatt geht es jetzt an Trieb und Wurzel – erhoffen sich der Zolliker Revierförster Arthur Bodmer und Christian Wiskemann von Naturnetz Pfannenstil. Die beiden haben das Projekt «Freilandschweine gegen Neophyten» ausgeheckt und als Pilot­projekt beim Kanton durchgeboxt. Das strenge Waldgesetz sieht jedoch keinesfalls vor, Tiere im Wald weiden zu lassen. Doch hier geht es um den Erhalt und die Förderung der Biodiversität sowie der Verjüngung des Waldes. Befallene Gebiete sehen zwar wunderschön urwaldig aus, sind in Wahrheit aber eine Plage für die Natur. Mit Ausreissen und Abschneiden wurde man nicht Herr der Lage, Chemieanwendung ist streng verboten. Henrys Geissblatt überwuchert im Wald Sträucher und Bäume, Licht kommt keines durch den dichten Neophyten-Teppich. Das immergrüne, sich auf Balkonen und Fassaden festklammernde Gewächs erfreut sich jedoch bei Hobbygärtnern grosser Beliebtheit. In Pflanzenmärkten wird es weiterhin verkauft. Die Pflanze blüht recht hübsch, ist anspruchslos und gedeiht prächtig. Im Herbst bildet sie blauschwarze Beeren, die von Vögeln gerne gefressen werden. Wenn die dann zum Wald fliegen und ihre Exkremente fallen lassen, bringen sie die Samen an neue Standorte. Seit Jahren breitet sich das Unkraut in den Wäldern der Deutschschweiz unkontrolliert aus, besonders wohl fühlt es sich in der Region um Zollikon. Einheimischen jungen Pflanzen gibt es keine Chance. Der Kanton sah das Problem und stimmte dem Projekt schnell zu.

Fleissige Allesfresser

Mit dem Biobauern Nils Müller ­wurde ein veritabler Schweinekenner und Hirte gefunden. Seinen ­Turopolje-Schweinen wird in den nächsten zwei Jahren, im späten Winter und Sommer, für zirka zwei Monate eine saftige Weide mit Henrys Geissblatt geboten. Jetzt hofft man, dass es den Schweinen auch besonders gut schmeckt. Normalerweise führen die neuen Waldmitarbeiter ein schweinemässig schönes Leben auf dem Küsnachter Hof «Zur chalten Hose» – bis zur Schlachtung und Wurstverarbeitung. Nils Müller ist schon lange Vordenker in der Tierhaltung und Nutzung. Lange kämpfte er zum Beispiel für das Recht der Weideschlachtung von Kühen. Seit knapp sechs Jahren darf er diese auf der eigenen Weide mit einem gezielten Schuss in die Stirn selbst erlegen. Er war der erste Bauer der Schweiz, der diese für ihn moralisch vertretbare Tiertötung bei den Behörden durchsetzte. Mittlerweile folgen seinem Beispiel über einhundert helvetische Bauern.

Aktive Turopolje-Schweine

Die robusten Turopolje-Schweine stammen ursprünglich aus Kroatien. Eine alte, mittelgrosse Rasse, die gegen Schweinekrankheiten resistent ist. Kälte macht ihnen nichts aus, deshalb ist ganzjährige Weidehaltung möglich. Turopoljes sind besonders aktive Schweine: Ganztags in Bewegung, gute Schwimmer und Taucher, wühlen sie mit ihrer langen Schnauze ausgiebig in der Erde herum. Dementsprechend nehmen sie nur langsam zu und taugen deshalb nicht für die schnelle Fleischgewinnung. Ihr Geschmack gilt als einzigartig, gerade der Speck-Geschmack wird von Gourmets als Besonderheit gepriesen.

Im Auftrag der Zolliker Gemeinde und von Naturnetz Pfannenstil erledigen die Tiere auf einem abgesteckten Feld von 2500 Quadratmeter im Isenbühl jetzt ihren Dienst. Ein doppelter Elektrozaun schützt vor Eindringlingen und Krankheiten, die durch Wildschweine übertragen werden können. Ein mobiler Unterschlupf für die Nacht steht auch ­parat. Die Hoffnung ist, dass die Schweine mittels Durchwühlen des Bodens die Wurzeln und Triebe von Henrys Geissblatt knabbern und zerstören. Mäuse und Käfer verschmähen die Tiere allerdings auch nicht, schliesslich sind es Allesfresser.

Gute Erfahrungen mit alten Schweinerassen

Der Kanton Zug hat ein ähnliches Projekt mit Freilandschweinen bereits vor drei Jahren umgesetzt. Zwischen Oktober 2019 und April 2020 wurden in Bibersee bei Cham 17 Woll- und Turopolje-Schweine auf das invasive Erdmandelgras angesetzt. Die Schweine hatten das Feld bereits nach kurzer Zeit umgewälzt. Das Projekt wurde von Agroscope, dem Schweizer Kompetenzzentrum für landwirtschaftliche Forschung, begleitet und ausgewertet. Die Ergebnisse klingen vielversprechend: Durch die Beweidung konnte das Erdmandelgras um satte 90 Prozent reduziert werden. Zur genauen Validierung seien aber noch weitere Versuche nötig.

Erste Ergebnisse

In Zollikon hatten die Schweine bereits nach ein paar Tagen einen beachtlichen Teil der Waldweide umgebuddelt. Das Menü scheint zu schmecken. Ob die Schweine ganze Arbeit leisten und der Neophytenbestand zurück geht, wird sich frühestens in zwei Jahren zeigen. Wird das Projekt ein Erfolg, spricht nichts dagegen, es auf andere Gebiete auszudehnen.

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