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Aus der Angst in die Selbstverantwortung

Von Ramona Bussien ‒ 16. Juni 2022

In ihrem Buch «Die ersten 1000 Tage für Mama, Papa & Kind» schreibt Sascha Inderbitzin über die Ernährung während der Schwangerschaft und den ersten beiden Babyjahren – aus schulmedizinischer wie aus Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin. Entweder das eine oder das andere? Eine Denkweise, mit der Sascha Inderbitzin bricht.

Nicht immer gilt «entweder oder»: Sascha Inderbitzin, offen für Diversität, setzt auf eine Kombination von Schulmedizin und TCM. (Bild: rb)

Sie leben in Zollikon und arbeiten als Hypnotherapeutin und Heilpraktikerin in der Traditionellen Chinesischen Medizin. Was behandeln Sie?

Panik- und Angststörungen. Zukunftsängste, Depressionen, Burnouts. Suchtprobleme mit Alkohol, Rauchen, Drogen, auch Spielsucht. Aber auch Kinderwunschthemen. Bei Kindern Stress, Überarbeitung, Prüfungsangst. Nebst Hypnose biete ich Coaching an. Die Hypnose kann vieles ins Bewusstsein holen, da setzt dann das Coaching an.

Kann ich mir eine Hypnose so vorstellen, wie man sie im Fernsehen sieht?

Was wir im TV sehen, ist Show-Hypnose. Ich mache therapeutische Hypnose. Dabei handelt es sich um einen entspannten Zustand, nahe dem Schlaf, aber man hat die volle Kontrolle über sich. Wir beginnen mit einem Eingangsgespräch und der Anamnese. Die Hypnose selbst dauert zwischen eineinhalb und zwei Stunden, je nachdem, wie viel der Klient, die Klientin zu erzählen hat. Die Klienten erhalten ein personalisiertes Recording der Hypnose, das sie auf ihrem Smartphone täglich als Selbsthypnose anhören. Nach sieben und 21 Tagen folgen je ein Coaching mit Zielkontrolle. Studien haben gezeigt, dass eine Verhaltensänderung mindestens 21 Tage braucht.

Was hat Sie motiviert, zusammen mit TCM-Therapeutin Ulrike von Blarer ein Buch über die Ernährung während und nach der Schwangerschaft zu schreiben?

Mich fasziniert, was unseren Körper beeinflusst – und wie: Man ist, was man isst. Fürs Studium wollte ich unbedingt ins Ausland und reiste nach Amerika. Dort erwarb ich den Master of Science in Nutrition und arbeitet dann im Spital mit Krebspatienten. Als Ernährungswissenschaftlerin biete ich Therapie an. In der Praxis werde ich mit vielen Fragen und Unsicherheiten werdender Mütter konfrontiert. Ich bin immer wieder überrascht, wie einseitig oder sogar falsch das Wissen über Ernährung ist – beeinflusst durch Hörensagen und Medien. Ängste und Verunsicherungen spielen eine grosse Rolle. Mein Fachwissen aus dem Studium, aus meiner Zeit in der Food Industrie, aus der TCM, aber auch aus eigenen Studien und Erfahrungen wollte ich einem breiteren Publikum vermitteln.

Sie behandeln das Thema aus schulmedizinischer wie aus Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin. Weshalb diese Kombination?

Ich setze mich ausgiebig mit anderen Kulturen und ihren Essgewohnheiten auseinander. Auch mit der chinesischen Ernährungslehre, mit der ich nochmals einen anderen Blickwinkel aufs Thema Essen gewann. Diese unterscheidet Früchte mit wärmendem und solche mit kühlendem Effekt. Früchte können heiss, kalt, scharf, salzig oder süss sein. Leidet man an Energiemangel, empfiehlt die chinesische Ernährungslehre wärmende Nahrungsmittel oder eher gekochte statt rohe. Zu oft werden meines Erachtens Diagnosen zu stark auf Zahlen und Werte abgestützt, ohne den Menschen zu betrachten.

Sie haben viel recherchiert.

Zwei Jahre sind wir als Familie durch die Welt gereist und liessen uns inspirieren. Beeindruckt vom asiatischen Raum und der ayurvedischen Ernährungslehre, entstand die Symbiose zwischen TCM und westlicher Medizin. TCM und Schulmedizin müssen sich nicht ausschliessen: In der Kombination liegt die Stärke. Die Schulmedizin spezialisiert sich immer stärker aufs Einzelne, die chinesische Medizin betrachtet das Ganze.

Haben Sie für Ihr Buch mit anderen Eltern gesprochen?

Ulrike ist Gründerin und Leiterin der Heilpraktikerschule in Luzern und ebenfalls TCM-Therapeutin. Über ihre Schule hatten wir Zugang zu werdenden Mamis, zu Kleinkindern, zu Frischgeborenen. Von den vielen Fragen profitierten wir. Bekommt mein Kind genügend Eisen, genug Kalzium, B12 und Eiweiss? Erhält das Kind alle Nährstoffe, wenn wir vegan essen? Man muss sich informieren. Man kann nicht einfach tierische Produkte weglassen. Vegan heisst nicht automatisch gesund: Pommes sind vegan. Man sollte mutig sein, Neues auszuprobieren. Algen zum Beispiel. Erstaunlicherweise lieben viele Kinder Algen. Sie liefern einen hohen Vitamin- und Mineralstoffgehalt. Meine Tochter liebt Algen. Menschen, die sich vegan ernähren wollen, aber unsicher sind, begleite ich. Es gibt viele ­Babybücher, aber unsere Kombi­nation ist neu. Wir favorisieren ­weder die eine noch die andere Sichtweise.

Was denken Sie über unseren Umgang mit der Gesundheit?

Gesundheit ist heute ein Gut, das man kauft. Oft höre ich «der Arzt hat gesagt …» Und frage zurück: «Was fühlst denn du?» Wir sollten lernen, unseren Körper, unsere Empfindungen wahrzunehmen. Jeder Mensch ist ein Individuum. Als solches ist er zu behandeln. Heute kann man alle Symptome googeln – und rennt zum Arzt. Gibt die Verantwortung ab. «Heil mich, flick mich!» Schlussendlich aber geht jede Heilung von einem selbst aus. Der Arzt gibt lediglich einen Impuls. Ich wünsche mir, dass der Mensch zu seinem Urvertrauen zurückfindet.

Gibt es Grenzen in der TCM? Müsste man zum Beispiel bei Krebs auf die Schulmedizin hören?

Ich glaube, man muss gar nichts. Es gibt schulmedizinische Erfolgsstorys, aber auch Spontanheilungen, die sich schulmedizinisch nicht erklären lassen. Es ist wichtig, den Patienten anzuhören, seine Bedürfnisse zu verstehen, zwischen den Zeilen zu lesen. Welche Ängste sind da? Die Ängste des Partners? Des Umfelds? Des Patienten selbst? Ich habe auch Krebspatienten, die durch Strahlen- und Chemotherapie gehen. Diese unterstütze ich mit Hypnose. Zum Beispiel in ihrer Wahrnehmung. Dass jeder Tropfen, der in ihren Körper kommt, diesen heilt. Es ist kein Entweder-oder, es kann ein Zusammenspiel sein. Und ganz wichtig für mich ist, dass der Mensch aus der Angst zurück in die Selbstverantwortung findet, das Vertrauen in den eigenen Körper und die Kraft in seine Selbstheilung zurückgewinnt und sich als Ganzes sieht.

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