«Nägel mit Chöpf»

Von Franca Siegfried ‒ 4. August 2022

Stimmungsbericht einer gelungenen 1.-August-Feier auf der Zolliker Allmend. Das Festzelt mehr als voll, schmissige ­Klänge der Harmonie Zollikon, Naturtöne von Alphörnern. «Abendglühn» über dem See, etwas Regen passend zum Programm, damit sich alle im Festzelt versammeln zur ­Begrüssung des Gemeindepräsidenten und für die Festrede.

Hitzewelle, Trockenheit und Nähe des Waldes – auf der Zolliker Allmend darf am 1. August gefeiert werden, jedoch ohne Feuer und Feuerwerk. Die barocke Kunst der Verschwendung mit Feuerwerk und das traditionelle Schweizer ­Höhenfeuer ist vom Festprogramm gestrichen. Die Kinder bekommen ­Lampions mit LED-Lampen – Leuchtdioden ohne Wärmestrahlung. 18 Uhr, die Festwirtschaft ist eröffnet. Die Schlange hungriger Zollikerinnen und Zolliker wächst: «Wir stehen an, wir haben Zeit», lautet der Tenor. Die Bratwurst der Metzgerei Kratzer vom Zollikerberg hat Tradition. Dieser Duft wird sich in manch Kindergedächtnis als Heimatgefühl einprägen, zumal Gerüche das stärkste Erinnerungsvermögen wecken.

Die vielen Kinder am Fest fallen auf. Es ist ein fröhliches Durcheinander, keine Quengelei, manche haben ihre Schühchen ausgezogen und entdecken barfuss die Welt, andere lassen sich auf einen Traktor der traditionsreichen Firma Rapid hieven und drehen verzückt am Gaspedal. Kurzum, es ist ein Fest der Kinder, Familien – Menschen aus allen Generationen fühlen sich sichtlich wohl. Um 19 Uhr spielen zwei Frauen und ein Mann Alphorn vor dem Zelt. Das Trio gehört zur Alphornbläser-Vereinigung Stadt Zürich. Die Damen in der Zürcher «Wächtigs-Tracht», hinter ihnen eine Zolliker Fahnendelegation. Nach den Naturtönen des Alphorns installiert sich die Zolliker Harmonie auf der Bühne im Festzelt und schmettert Märsche. Das Zelt entvölkert sich kurze Zeit, als ein ­goldener Sonnenuntergang eine ­unglaubliche Stimmung über den Zürichsee zaubert. Als hätte der Gemeindepräsident einen direkten Draht zum Wetter, beginnt es kurz vor 21 Uhr leicht zu regnen. Mit dem kühlenden Nass füllt sich das Zelt im Nu. Bänke von draussen werden ans Trockene geschleppt. Das Fest ist mehr als nur gut besucht.

Gemeindepräsident Sascha Ullmann begrüsst die muntere Festgemeinde, bedankt sich bei allen Helferinnen und Helfern. Er freut sich, dass er einem Zunftkameraden, dem pensionierten reformierten Pfarrer vom Zollikerberg, das Mikrofon übergeben kann: «Wir haben genug gute Redner in unserer Gemeinde, wir brauchen keine Auswärtigen.» Thomas Koelliker beherrscht die Rhetorik. Mit dem Tweet vom russischen Präsidenten Wladimir Putin an Bundespräsident Ignazio Cassis zum Nationalfeiertag gewinnt er die Aufmerksamkeit des Publikums. Seine Gedanken drehen sich um die aktuelle Verletzung der Völkerrechte im Ukraine-Krieg. Sie animieren zum Nachdenken über den historischen, kulturellen und politischen Unterschied von Ost und West. Das Leben in unserer Demokratie kann mühsam sein, überfordert. Jeder darf mitdenken. Er vergleicht auch mit der Schöpfungsgeschichte, wie aus Chaos ein Kosmos wird. So ergeht es uns allen in der Demokratie. Jede Generation muss sich eine neue Ordnung, einen Kosmos erarbeiten. Dazu brauche es auch Vernunft. Thomas Koelliker zitiert den Leitspruch der Aufklärung von Immanuel Kant (1784): «Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!» Zur Freiheit des ­Widerspruches vergleicht der Festredner die Rolle des Hofnarrs. Er ­ermuntert das Publikum zum Mitdenken – Nachdenken – Vorausdenken. Zum Schluss verlangt er, dass Sascha Ullman zu ihm auf die Bühne kommt. Da beide in der Zunft zur Schmiede sind, überreicht er ihm einen handgeschmiedeten Nagel. «Nägel mit Chöpf», eine Redewendung, die den Gemeindepräsidenten in seinem Amt bestärken soll. Dieser bekommt noch den kollegialen Rat, falls ihm ein Lapsus passieren würde, soll er den Nagel einfach wieder rausziehen … Thomas Koelliker verabschiedet sich: «Ich danke allen, die aufgepasst haben, und auch allen anderen, einen schönen Abend.»

Im Nachklingen der Rede lässt sich die Nationalhymne in Begleitung der Zolliker Harmonie gut singen. Alle stehen. Die erste Strophe kennen die meisten auswendig. Der magische Moment des gemein­samen Singens über Morgenrot, Abendglühn und fromme Seele geht auch ohne Feuer. Sascha Ullman liess einen Beamer aufstellen und zeigt Feuer-Bilder aus vergangenen Zeiten. Die gelungene Zolliker 1. August-Feier 2022 zum 371. Geburtstag der Schweiz lässt ahnen, dass die Festkultur von knallendem Feuerwerk am Erlöschen ist. Schon gibt es eine Volksinitiative zum Verbot von Feuerwerk. Ob wir ein weiteres Verbot in unserem Leben brauchen? Sobald die Initianten die 100 000 Unterschriften gesammelt haben, kann das Schweiz Volk darüber abstimmen – das ist gelebte Demokratie.

Werbung

Neuste Artikel

Newsletter

Dieses Feld wird benötigt.

ANMELDEN

Herzlich willkommen! Melden Sie sich mit Ihrem Konto an.