Von Franca Siegfried ‒ 18. August 2022
Daniel Ritzmann steht in Zumikon seit 23 Jahren in seiner Drogerie. Er hat im Dorf eine Institution für fast alle Lebensfragen geschaffen. Und er ist ein begnadeter Erzähler.
Geschichten lassen sich im modernen Management strategisch einsetzen. «Storytelling» vermittelt Werte und Unternehmenskultur – kurzum, es soll «unter die Haut» gehen. Die Kraft von Erzählungen gehört bei Daniel Ritzmann längst zum Alltag. Seit 23 Jahren steht er in seiner Drogerie in Zumikon. Beginnt der 53-Jährige zu berichten, wie es dazu kam, Drogist zu werden, was ihn am Beruf fasziniert, warum er auf den Slogan «Ganz schön gesund» setzt … Episoden reihen sich wie Perlen zu einer Erzählkette – dabei vergisst er die Zeit. So ist Daniel Ritzmann. So kennen ihn viele Zumikerinnen und Zumiker.
Der Sohn eines Schreiners aus dem Kanton Schwyz hat von seinem Vater gelernt, was es bedeutet, ein KMU zu leiten. Also absolviert er eine Handelsschule. Danach macht er die vierjährige Drogisten-Lehre in Rüschlikon. Trotzdem will er nochmals den Geruch von Holz schnuppern und mit seinen Händen zupacken, wie er es aus dem väterlichen Betrieb kennt. Er arbeitet ein Jahr als Zimmermann. In dieser Zeit reift der Wunsch, die höhere Ausbildung zum eidgenössisch diplomierten Drogisten zu absolvieren. Die Schule in Neuenburg dauert vier Jahre. Anschliessend arbeitet er im Marketing und Verkauf in der Pharmabranche mit Schwerpunkt Allergologie. Dort lernt er, was Symptombekämpfung bedeutet ohne Aussicht auf Heilung: «Ich begann mich mit der Salutogenese zu befassen, welche die Gesundheit erklärt – im Gegensatz zur Medizin mit der Pathogenese.» In der Salutogenese werde die Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess verstanden bzw. es lasse sich etwas dafür tun. Das Modell wurde in den 1970er-Jahren vom Medizinsoziologen Aaron Antonovsky entwickelt. «Phytotherapie oder Pflanzenheilkunde ist auch sehr wichtig. Eine der ältesten medizinischen Therapien lassen sich in die klassische Medizin integrieren.» Er sei für Homöopathie, für traditionelle chinesische Medizin, etwa Akupunktur: «Die einzelnen Disziplinen sollten nicht getrennt angewendet werden – nur ganzheitliche, jedoch individuelle Behandlungen werden dem Wunderwerk Mensch gerecht.»
«Als ich die Drogerie in Zumikon eröffnen wollte, musste ich der Bank einen Businessplan vorlegen»berichtet Daniel Ritzmann. Da er damals mit einer Sony-Kamera filmte, machte er kurzerhand neben dem Formalen einen Film über Unternehmensziel, Situationsanalyse, Budgetplanung und Kapitalbedarf. Der damals 30-Jährige überzeugte die konservativen Banker mit seiner unkonventionellen Art. Seither steht er bis sechs Tage die Woche im Betrieb mit sieben Mitarbeitenden. Die Ausbildung junger Menschen ist ihm eine Herzensangelegenheit. Er hält auch nichts von steilen Hierarchien, alle sollen sich mit ihrem Wissen einbringen können. «Wir haben eine Werkzeugkiste mit Produkten zur Verfügung, die nach dem Gespräch mit Kundinnen und Kunden zum Einsatz kommt.»
Als Selbständiger erträgt er keine Fremdbestimmung. Trotzdem schliesst er sich einer Genossenschaft von Drogisten an: «Mit 120 freien Betrieben sind wir das grösste Netzwerk.» David Ritzmann ist im Vorstand und führt Einkaufsverhandlungen, jeder Betrieb bestimmt aber selbst, was er anbieten will. Durch Grosseinkäufe lassen sich jedoch günstigere Konditionen aushandeln. Als Einstiegskapital ins Netzwerk dient ein Anteilschein von 700 Franken. Die Genossenschaft hat keinen edlen Geschäftssitz. Das passt. Wer sich das Büro von Daniel Ritzmann anschaut, der landet hinter den vier Arbeitsplätzen zum Auspacken von Produkten in einer Nische. Auf rund sechs Quadratmetern ohne Tageslicht hat er alles fein säuberlich geordnet. Vieles ist im Computer gespeichert. Der Bürostuhl des Chefs ist in die Jahre gekommen: «Wir haben 2013 das Geschäft umgebaut, dabei habe ich das helle Büro aufgelöst und in die Ladenfläche integriert.» Wo macht er nun seine Abrechnungen? «Dafür habe ich einen tüchtigen Buchhalter. Und Statistik ist nur eine Aufarbeitung der Vergangenheit.»
Er betont: «Wir sind im Dorf eine Institution geworden.» Im soziologischen Sinn seien Institutionen da zur Unterstützung von Menschen in ihren Handlungen; sie geben ihnen in gewissen Bereichen eine Sicherheit. Daniel Ritzmann erzählt von der dritten Generation, die jetzt schon in seinem Laden steht. Er erzählt von Frauen, die ihren Mann verloren haben und in ihrer Trauer und Einsamkeit ein offenes Ohr in der Drogerie finden. Männer, die fünf Minuten vor Ladenschluss am 24. Dezember zusammen mit ihm ein Parfüm für die Gattin aussuchen. Es ist nicht das exklusive Lieblingsparfüm. Der Duft wird jedoch mit soviel Liebe gewählt, vom Chef persönlich eingepackt, dass er etwas ganz Besonderes ist. Weihnachten ist wichtig. Daher ist Daniel Ritzmann mit seiner Frau Marjan diesen August an eine Messe gereist. Sohn und Tochter sind längst erwachsen. Gemeinsame Freizeit mit seiner Frau muss gut geplant werden. Kajakfahren ist eine Leidenschaft, auch in den Bergen wandern, zumal seine Frau Holländerin ist. Sie steigen zusammen auf das Motorrad für Entdeckungsfahrten. Daniel Ritzmann und Privatsphäre? Mit seinen Familiengeschichten ist er zurückhaltend – mit der professionellen Distanz eines Gesprächstherapeuten – ohne Storytelling.
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