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Ein Nützling namens Nosferatu

Von Ramona Bussien ‒ 15. September 2022

Alle paar Jahre krabbeln sie durch die Medien – natürlich nur im metaphorischen Sinne: «invasive» und «gefährliche Giftspinnen».

Hat acht Beine und acht Augen, ist aber keineswegs monströs: Auch die Nosferatu-Spinne stellt lästigen Insekten nach, ist also ein Nützling. Anstatt sie zu töten, kann man sie mit einem Glas einfangen und nach draussen schaffen. (Bild: Wikimedia Commons / Alexis Lours)

Als würde es nicht genügen, dass die Spinnenangst die verbreitetste Tierphobie ist, holen Journalisten in regelmässigen Abständen Spinnenarten ins Rampenlicht und drücken ihnen den Stempel «eklig» auf. Reden von einer «Invasion». Von «Angst und Schrecken». Von «giftig» und «bissig». So erging es bereits dem Ammen-Dornfinger und der Wespenspinne. Das jüngste Opfer: die Nosferatu-Spinne (Zoropsis spinimana), eine Vertreterin der Familie der Kräuseljagdspinnen. Im Internet kommentieren User die News: «Ein Grund mehr, die Schweiz zu verlassen», meint der eine. «Ich bin dann mal weg», sagt der andere. So ein kleines Tier, so gross die Abscheu.

Kein Interesse am Menschen

Nun, die meisten von uns mögen sie nicht sonderlich, die Spinnen. Da verschafft ihr der wenig schmeichelhafte Name auch keine Sympathiepunkte: Nosferatu, ein Vampir, ein Monster, das nachts in Häuser eindringt und Menschenblut saugt. Ihren Namen trägt sie jedoch nicht, weil sie eine Schreckfigur wäre: Lediglich die Zeichnung ihres Vorderleibs erinnert an die Filmfigur aus den 20er-Jahren. Sie saugt auch kein Blut. Gefährlich ist sie ebenso wenig. Beängstigend wirkt allenfalls ihre Grösse – fünf Zentimeter Beinspannweite erreichen die Weibchen. Für die Stadtzürcherin, die bestenfalls die zarten Zitterspinnen und kugligen Kreuzspinnen gewohnt ist, durchaus ein kleiner Schreckmoment. Vergessen scheinen die Winkelspinnen in Grossmutters Weinkeller, die gross und dunkel über den Kellerboden huschten und deren Beinspannweite doppelt so gross ist.

Beissen können sowohl Nosferatu- als auch Winkelspinnen. Beissen können auch ein paar andere der rund 1000 einheimischen Spinnenarten. Doch sie «attackieren» nicht. Für eine Spinne existiert der Mensch schlichtweg nicht. Erst, wenn sie sich gefährdet glaubt – etwa , wenn sie sich in Kleidern versteckt und beim Anziehen eingequetscht wird, verteidigt sie sich. Giftig sind zudem alle Webspinnen, ob Nosferatu- oder Winkel- oder Kreuzspinne. Das ist Teil ihrer Strategie: Mit ihrem Gift betäuben sie Beutetiere – es dient nicht dazu, Feinde abzuwehren.

Biowissenschaftler und Spinnenexperte Ambros Hänggi vom Naturhistorischen Museum Basel äusserte sich in einem Interview mit Telebasel: «Angst haben muss man nicht. Von der Giftwirkung her ist sie harmlos.» Vor Jahren habe er sich in einem Selbstversuch von der Nosferatu-Spinne beissen lassen. Das Ergebnis erinnerte an einen Mückenstich. Auch was die Grösse anbelangt, neigen Beobachter zur Übertreibung. Aktuell komme es zu auffallend vielen Begegnungen mit der Spinne, weil sich die ausgewachsenen Männchen Anfang September auf die Suche nach ­einem Weibchen machen. Durch die Klimaerwärmung – die milderen Winter – überleben ausserdem mehr Individuen. Als freijagende Art webt die Nosferatu-Spinne ­keine Netze, sondern stellt ihren Beute­tieren nach. Da sie aus dem Mittelmeerraum stammt und warmes, trockenes Klima bevorzugt, hält sie sich vor allem im Siedlungsbereich auf. Hauptfundort: Schlafzimmer und Badezimmer. Dank ihren Hafthaaren an den Beinen kann sie gar Glasscheiben empor krabbeln.

Und was ist mit der «Invasion»?
«So ganz neu ist sie nicht», erklärt ­Ambros Hänggi über die Nosferatu: «Wir haben sie 1994 das erste Mal nördlich der Alpen gefunden. In Basel.» Seither breite sie sich aus. Gemäss dem Schweizerischen Informationszentrum für die Fauna (lepus.unine.ch) wurde sie auch schon rund um den Zürichsee gesichtet. Es ist anzunehmen, dass Zollikon und Zumikon keine Ausnahmen sind. Mit fortschreitender Klimaerwärmung müssen wir uns an die Zuwanderung und Verbreitung südlicher Arten gewöhnen: Mücken und Zecken etwa sind um ein Vielfaches gefährlicher als unsere Spinnengäste.


Alle paar Wochen aus der Natur

Die Angst vor Spinnen ist höchstwahrscheinlich kein Überbleibsel aus grauer Vorzeit. Sie scheint erlernt. Sozial und kulturell geprägt. Abgeguckt. Von Mitmenschen. Von Horrorfilmen. Auch von Medien, die eigentlich aufklären sollten. Der Zolliker Zumiker Bote wirft einen Blick auf die Nosferatu-Spinne.

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