Zwischen Pfeil und Bier

Von Ramona Bussien ‒ 22. September 2022

Letzten Samstag lud der Armbrustschützenverein Zollikons zum jährlichen Volksschiessen.

Ruhig ein- und ausatmen. Fokussieren. Konzentration. Und Abzug! Was einfach aussieht, ist zuletzt Millimeterarbeit. (Bild: rb)

Die Zeltwände im ­Resirain halten die herbstliche Kälte nur bedingt zurück. Die ersten begegnen ihr mit einer Flasche Bier. Wie viele Gäste wohl zu erwarten sind? Früher feierte der Verein zwei Tage lang. Damals war noch was los: Profi- und Hobbyschützen übertrafen sich gegenseitig. «Diese Tage sind vorbei», meint Vereinsleiter Walter Bruderer. Heute zähle der Verein noch acht aktive Mitglieder. Nachwuchs gibt es nicht. Aus dem ASVZ sind sie bereits ausgetreten – zu hoch die Abgaben. Etwas Wehmut haftet den mit Auszeichnungen, Medaillen und alten Fotos geschmückten Wänden an. Der 1896 gegründete Verein hat Geschichte. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Heute kommen die Vereinsleute zusammen, um ihr Können und ihre Begeisterung mit Neugierigen zu teilen. Wer schiesst, kann gar ein Goldvreneli im Wert von 10 Franken gewinnen.

Waffe mit Geschichte

Bis in die 60er-Jahre schossen die Zolliker Armbrustschützen noch beim Restaurant Riethof, bevor sie ins Schützenhaus Resirain wechselten. Wie der Verein selbst hat auch die Armbrust ihre Geschichte. Jahrhundertelang eingesetzt in der Jagd und im Krieg – eigentlich seit Jahrtausenden, verdrängte sie das Schwarzpulver. Vergessen ging sie nicht: Seit Wilhelm Tell ist sie die Schweizer Nationalwaffe.

Geschossen wird nicht mit der historischen Waffe, sondern mit modernen Sportgeräten. Namentlich mit der Winzeler 30-Meter-Armbrust. Mit Karbonbogen und Nylonspannseil (einem 60 Meter langen Nylonfaden pro Sehne!). Ältere Modelle, mit Stahlbogen und Drahtsaite, hängen über den Besucherköpfen. Das Ziel: eine Bleischeibe. Ein Vereinsmitglied zeigt, wie ­diese aussieht, nachdem mit einer Pfeilgeschwindigkeit von 60 m/s auf sie geschossen wurde. Diese durchlöcherten Bleischeiben stapeln sich im Hinterraum und warten darauf, in der Bleigiessmaschine geschmolzen und zu neuen Scheiben gegossen zu werden.

In Tells Fussstapfen

Literatur zum Verein und zur Armbrust beiseitegelegt, klingt es von allen Seiten «togg!», «togg!», «togg!». Anders als beim Schiessverein knallt es nicht. Männer und Frauen sitzen gebeugt auf ihren Hockern, unter den fachmännischen Augen der Vereinsmitglieder. «Nicht zu lange zielen!» Wie hält man eine Armbrust? Kniet, steht man? Hier sitzt man. «Juhu!», freut sich die erste Schützin. Mitten ins Schwarze. Es sieht so einfach aus.

Aber die Schwierigkeiten fangen schon mit dem Gerät an: Acht Kilogramm wiegt eine Armbrust. Ungeübte Arme, die selten mehr als eine zwei Kilogramm schwere Katze halten, fangen zu zittern an. Nicht die beste Voraussetzung. Vereinsmitglied Denis erklärt geduldig, worauf es ankommt. Konzentration. Den Zielpunkt durchs Zielfernrohr fixieren. Die kleine Wasserwaage – beziehungsweise das Bläschen – beachten. Ein Kissen, zwei Kissen unter den Ellbogen gestopft. Die Haltung: so sicher und stabil wie möglich. Die dicken Brillengläser aber bleiben auf der Nase. Ohne sie ­würde Denis seinen Pfeil jenseits der Wand suchen müssen. Die Wasserblase punktgenau in der Mitte, hauchzarter Druck auf den Abzug – da schnellt der Pfeil los und bohrt sich mit ­einem «Togg» in die Blechscheibe. Denis und auch die anderen Schützen hören die guten Schüsse ebenso wie die weniger guten. Früher, als der Wettkampfcharakter noch präsenter war, hätten die Schützen bei einem hohen und vielversprechenden «Togg» allesamt die Köpfe gehoben, bereit, den noch besseren Schuss abzugeben. Geübte Schützen kennen das hohe «Togg» bei einem Zieltreffer und das dumpfe «Togg» bei einem Wandtreffer. Zurück in der Gegenwart witzelt Denis: «Tells Walterli würde noch leben!» Bestimmt wäre der arme Walterli schon beim ersten Schuss vor Entsetzen in Ohnmacht gefallen.

Hohe Präzision

Die Präzision der Armbrustgeräte erstaunt. Jede Armbrust hat ihren Pfeil. Diese sind perfekt aufeinander abgestimmt. Ein fremder Pfeil in fremder Armbrust – und das Ergebnis ist ungewiss. Diese Armbrüste sind fast schon ein Hochpräzisionsgerät. Damit können Militärgewehre und -pistolen kaum mithalten. Zudem scheint die Armbrust eine jener Waffen, mit der sich bereits nach wenigen Übungssequenzen deutliche Fortschritte erzielen lassen. Laut historischen Quellen könne «jeder Bauer mit der Armbrust schiessen». Mit modernen Sportarmbrüsten sieht das anders aus. Schüsse abgeben ist das eine, mitten ins Schwarze treffen das andere. Zumal für die Besucher alle Geräte abgestützt waren …

Geselliges Beisammensein

«Häsch en gschlisse», dringt Denis’ Stimme hinter den «Toggs» der anderen Schützen hervor.

«Ich habe eine manipulierte Waffe», echauffiert sich der Laie halb ernst, halb augenzwinkernd. Ein Pfeil wurde nicht fachgerecht eingelegt und ist gesplittert. Die Wirtin amüsiert sich über den Austausch der Männer. Früher seien auch See- und Feuerwehrmänner hergekommen, oder die Männerriege und ­Kiwanis. «Das ist wie Kegeln am Feierabend. Ein geselliges Beisammensein.» Nach den Schiessübungen – durchaus schon davor – winkt sie mit Bier, Wein und zu vorgerückter Stunde mit Cervelat und Bratwurst. Grillmeister: Vereins­leiter Walter Bruderer. Auch ihm ist die Armbrust sympathischer. «Das Gewehr ist sehr militärisch. Auch die Vorbehalte sind grösser.» Gegenüber dem Schiesssport, auch gegenüber den Gewehrschützen selbst. «Die Armbrust ist ziviler.»

Pünktlich zur Mittagszeit lichten sich die Wolken – und hie und da blitzt ein fliegender Pfeil im Sonnenlicht auf. Verlockende Düfte strömen aus dem Festzelt. Dort steht Walter Bruderer am Grill. Viele kennen sich. Aus den Vorjahren. Vom Dorf. Hier ist die Welt noch klein.

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