Von Motivphilatelie, Raritäten und Begegnungen

Von Franca Siegfried ‒ 13. Oktober 2022

Sammeln, verstehen, ablösen und einordnen, das sind die ruhigen Momente beim Briefmarkensammeln. Höhepunkte sind jedoch Treffen mit Gleichgesinnten. Am Wochenende ist die Briefmarken- und Ansichtskartenbörse mit Ausstellung im Zolliker Gemeindesaal.

Eine Besonderheit: 1894 wurden Zolliker Taxmarken in unterschiedlichem Wert herausgegeben. (Bild: cef)

Der Old School ­Philatelist benützt die äussere Brusttasche am Sakko nicht nur für das Einstecktuch, sondern auch für die Pinzette mit abgerundeten Ecken und polierter Innenfläche. Sie ist neben der Lupe sein wichtigstes Werkzeug. Am Wochenende werden wieder mehr als 150 Besucherinnen und Besucher den Gemeindesaal Zollikon bevölkern. Seit 20 Jahren ist der Briefmarkentreff Zollikon beliebt – mit kurzer coronabedingter Pause. «Wir sind der Gemeinde sehr dankbar, dass wir vom Philatelieverein Meilen und der Arbeitsgemeinschaft Schweiz die grosse Briefmarken- und Ansichtskartenbörse mit Ausstellung in Zollikon organisieren können», sagt Erwin Steinbrüchel. Wer sich in die Philatelie einliest, merkt bald, dass sie für Nichtsammler ein kaum überblickbares Feld ist. Die männliche Form «Sammler» ist angebracht, Philatelie meistens eine Männerdomäne. In der Motivphilatelie hingegen ­haben sich auch Frauen einen Platz erobert. Sie sammeln Briefmarken aus aller Welt mit Motiven, etwa Flora, Fauna, Kunstwerke, Sport, Persönlichkeiten aus der Wissenschaft, gekrönte Häupter und Politiker oder auch Weihnachtssujets. «In dieser Nische ist die Verteilung zwischen Mann und Frau eins zu eins», betont Erwin Steinbrüchel.

Freude und keine harte Währung

Die absolute Männerdomäne, als würde dort das Zölibat gelten, herrscht – wie interessant – im High End-Segment. Dieses ist nach Schätzung von Erwin Steinbrüchel in der Schweiz von rund 500 Männern besetzt. Sie haben ein grosszügiges Budget für ihr Hobby, sehen es als Geldanlage und bieten an jeder wichtigen Börse. Sie jagen nach Raritäten und sind unermüdliche Trophäensammler. Die anderen Sammler wissen, dass sie mit ihrer Leidenschaft keinen monetären Gewinn machen können. Im Gegenteil, eine Abschreibung von 50 Prozent ist normal. Ihr Gewinn ist keine harte Währung, sondern Emotion, die Freude an den kleinen Zeitzeugen aus Faser-, Kreide oder Japanpapier. Besonders interessant sind ihre Sicherheitsmerkmale, denn Fälschungen gibt es besonders im Internet von dubiosen ­Anbietern. Wasserzeichen, Fluoreszenz, Lackstreifen oder Hologramme sind heute noch die wichtigen Merkmale der Echtheit. Die von der Post entwickelten «Tarifkleber» als vergängliche Kleinstkunst haben Menschen dazu gebracht, weltweit Vereine zu bilden – die Briefmarke könnte als sozialer Impfkristall gelten. Erwin Steinbrüchel schätzt, dass es in der Schweiz immer noch 40 000 aktive Sammlerinnen und Sammler gibt, hinzu kommen Gelegenheitssammler, genaue Zahlen gibt es nicht. Zusätzlich bezahlen 35 000 Menschen bei der Post jeweils ein Jahresabonnement für Neuerscheinungen. Die Post hat dafür eigens ein Magazin namens «Die Lupe» geschaffen, darin werden neue Serien publiziert. Der gelbe Riese hat jedoch den Briefmarkenmarkt im Jahr 1965 empfindlich getroffen, als er bestimmte, dass in Zukunft alle Briefmarken kein Ablaufdatum mehr haben – 1965 war sowas wie die Geburtsstunde der Massenware. Mit der Digitalisierung ist dann ein weiteres schwieriges Zeitalter für die Briefmarke angebrochen. Das kann auch der Hype der Post mit der Crypto-Marke nicht vertuschen. Kurzum, der Markt schrumpft, weitere Schweizer Auktionshäuser und Händler machen dicht. Das traditionsreiche Auktionshaus ­Corinphila in Zürich kann jedoch auf eine erfolgreiche Unternehmensgeschichte blicken. 1925 hatte die Gründerfamilie Eduard Luder-Edelmann die erste Briefmarkenauktion durchgeführt – die Familie stammt übrigens aus Zollikon.

Anmache Briefmarkenalbum

Die Jugend ist kaum noch zu begeistern fürs Briefmarkensammeln. Informationen für ein breites ­Allgemeinwissen, was einst eine Motivation fürs Sammeln war, können heute auf Google und Wikipedia nachgeschaut werden. Erwin Steinbrüchel setzt jedoch Hoffnung auf die Generation der Babyboomer, die jetzt in Pension gehen. Nicht alle werden im Fitnessstudio, beim Wandern oder auf dem Golfplatz ihre Zeit verbringen wollen. Sammeln, verstehen, ablösen und einordnen braucht Ruhe, Konzentration und kann gut in den Tagesablauf eingeplant werden. Briefmarken brauchen auch wenig Platz. Beinahe jedes Wochenende findet irgendwo in der Schweiz ein Treffen statt – wie in Zollikon. Fazit: Briefmarkensammeln wird Old School bleiben. Möchtest du meine Briefmarkensammlung sehen? Frauen, die sich noch an diese Anmache erinnern, gehören auch nicht mehr zur Generation Y oder Z.


Briefmarkentreff Börse/Ausstellung:
Samstag, 15. Oktober, 9.30 bis 17 Uhr
Sonntag, 16. Oktober, 9.30 bis 15 Uhr
Gemeindesaal Zollikon

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