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Ein Herz für Hamster

Von Ramona Bussien ‒ 10. November 2022

Angefangen hat alles am 1. Februar 2014. Mit Götz. Er war weder allzu schüchtern noch anstrengend, kein Phantom, doch auch kein Unruhestifter. Eigentlich war er einfach ein Zwerghamster. Die in Zollikon wohnhafte Bea Lenk ahnte nicht, dass sein Einzug mehr verrücken würde als ihre Möbel.

«Regenbogenfrau», haben sie Kinder auf dem Schulweg schon genannt. (Bild: zvg)

Winter 2013. Für die Polygrafin ist die Arbeit bisweilen hektisch. Muss gedruckt werden, wird gedruckt. Nicht morgen. Am besten ja schon gestern. In ihrer Freizeit spielt Bea Lenk gern Computer- und Konsolenspiele. Neuerdings häkelt sie auch kleine Tiere. Sie war schon immer kreativ: fotografierte, zeichnete Mandalas. Aber auch ein kreativer Geist braucht Pausen. In jenem Winter lief auf VOX gerade «hundkatzemaus». Dieses Mal über Hamster. Klein, knuffig, unkompliziert. Sie bräuchten relativ wenig Arbeit, sind nachtaktiv und das ideale Haustier für Berufstätige. «Da dachte ich: Das ist das perfekte Haustier für mich.» Natürlich stürzte sie sich nicht blauäugig ins Abenteuer Hamsterhaltung. Sie schloss sich Facebook-Gruppen an, informierte sich, setzte manchen Rat in die Tat um und ignorierte anderen. Dann war er da, am 1. Februar. Götz. Eine grau-weisse Fellkugel mit vier Stummelbeinchen und zwei Knopfaugen. Es kam, wie es kommen musste. Bea verguckte sich nicht nur in Götz, sondern in alle Hamster. Schnell merkte sie, dass Götz sie noch ­einiges lehren würde. Zum Beispiel, dass Hamster Platz brauchen. Mehr, als die meisten glauben. Auch mehr, als Bea geglaubt hat. Schon im April richtete sie das Gehege neu ein. Es sollte von Hamster zu Hamster grösser und raffinierter werden.

Fürs Hamsterwohl

Etwas wehleidig erinnert sie sich an die Haustiere ihrer Kindertage, an Meerschweinchen und Wellensittich und Hamster. «Ich habe so ziemlich alles falsch gemacht, was ich falsch machen konnte.» Heute sorgt sie dafür, dass ihre Nager ein artgerechtes Leben führen. Das fängt bei der Anschaffung an. Götz kam noch aus der Zoohandlung. «Die meisten Tiere dort entstammen riesigen Zuchtfarmen aus dem Osten oder Holland. Die Hamsterweibchen verbringen ihr Leben in kleinen Boxen und werfen, werfen, werfen.» Nur selten kämen die Tiere aus einer verantwortungsvollen Zucht. Aber auch auf solche Zuchthamster verzichtet Bea Lenk. «Solange es mehr heimatlose Hamster gibt als Pflegestellen mit ausreichend Platz, adoptiere ich sie.» Kurzzeitig bot sie selbst eine Pflegestelle für Tiere aus schlechter Haltung an – für Hamster, die beispielsweise als Katzenspielzeug gekauft worden waren. «Doch das war auf Dauer nichts; zu wenig Platz.» Damit hängt das am weitesten verbreitete Vorurteil zusammen: kleines Tier, wenig Platz. Hamster aber bräuchten sehr viel Platz. «Der Tierschutz empfiehlt aktuell 120 × 50 cm, also 0,6 Quadratmeter pro Hamster. Gesetzlich vorgeschrieben in der Schweiz sind lediglich 0,18 Quadratmeter. Gemäss Studien verhält sich ein Hamster aber erst ab einer Fläche von einem Quadratmeter normal.» Bei zu kleinen Gehegen entwickeln die Tiere Verhaltensstörungen. Sie verkriechen sich oder laufen hin und her wie etwa Grosskatzen im Zoo. «Sie versuchen eben, rauszukommen; sie kapieren, dass die Welt ausserhalb des Geheges weitergeht», sagt Bea Lenk und kommt zum nächsten Punkt, den viele, vor allem Familien mit Kindern, häufig falsch machen: «Hamster sind keine Kuscheltiere. Sie mögen es für gewöhnlich nicht, gehalten und gestreichelt zu werden.» Ausgerechnet Hamster mit zu wenig Bewegungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten scheinen oftmals handzahm. Ein trauriger Trugschluss, denn für einen gelangweilten Hamster sei das Streicheln die langersehnte Abwechslung. Alles ist besser, als in einem Käfig gefangen zu sein, der nichts zu bieten hat.

Die Hamster-Community

Die Hamsterhaltung ist längst fester Bestandteil in Bea Lenks Leben. Sie nimmt nicht nur immer wieder Hamster auf – für bis fünf Tiere schaffte sie Platz in ihrer Einzimmerwohnung –, sie vernetzt sich auch mit anderen Hamsterhaltern und Leuten, die es werden möchten. Mit zwei Freundinnen betreibt sie eine eigene Webseite und eine Facebook-Gruppe, die mittlerweile rund 1600 Mitglieder zählt. «Wir möchten die Bedürfnisse der Hamster vermitteln, und was Halterinnen und Halter tun können, um ihr ­Leben möglichst artgerecht zu gestalten.» Das, ohne den Moralapostel zu spielen oder Laien als Idioten darzustellen. Schliesslich hat jeder einmal angefangen und Fehler begangen. «Es ist ein tolles Gefühl, wenn dir jemand zuhört und deinen Rat annimmt. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich sehe, wie ein Hamster, der bisher in einem mickrigen Käfig gelebt hat, sich auf einmal in einem komfortablen Gehege austoben darf.» Zur deutschsprachigen Hamster-Community gehören Mitglieder aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. In ihrer Facebook-Gruppe vernetzen Bea Lenk und ihre Freundinnen auch Pflegestellen mit möglichen Adoptanten und Adoptantinnen. So bekommen Tiere, die bisher wenig Glück hatten, die Chance auf ein schöneres ­Zuhause. Auf diese Weise lernt Bea Lenk immer neue Leute kennen. Bekanntschaften entstanden und Freundschaften erblühten. Sie fand und findet Gleichgesinnte, welche die Liebe und Sorgfalt teilen, die sie für ihre Schützlinge aufbringt. «Viele Leute halten das, was wir tun, für übertrieben. In meinem Umfeld ist das zum Glück nicht so. Oder sie sagen es einfach nicht …»

Stereotyp Hamstermensch

Katzenmenschen seien eigenbrötlerisch, einzelgängerisch, introvertiert. Hundemenschen das pure Gegenteil. Und wie definiert sich ein Hamstermensch? «Ähnlich wie ein Katzenmensch», meint Bea Lenk nach einem Moment des Schweigens. «Jemand, der wenig Zeit hat. Ein Nachtmensch, da Hamster nachtaktiv sind.» Viele Hamstermenschen, die sie kennt, arbeiten im Schichtdienst und sind typische Nachteulen. Viele seien Eltern. Während sie über die schönen und lustigen Momente mit ihren Tieren berichtet, wird klar: Hamstermenschen freuen sich an kleinen Dingen, etwa wenn der Hamster mit einer zu breiten Löwenzahnwurzel nicht durch den Eingang kommt. Oder wenn er das erste Mal Futter aus der Hand nimmt. Wie Hamster Beobachtungstiere sind, sind Hamsterbetreuer idealerweise leidenschaftliche Beobachter.

Bea Lenk lässt auch ihrer kreativen Ader freien Lauf, wenn sie ein neues Gehege einrichtet: Aus Holz und anderen Naturmaterialien baut sie Treppen, Unterschlüpfe, Röhren und Labyrinthe. Klopapierrollen oder Pappmaché-Röhren deckt sie mit Samen und Mehlwürmern ein, damit die Hamster bei der Nahrungssuche etwas zu tun haben. Sie plant und misst, sägt, leimt, malt und backt. Experimentiert auch. Ihre ersten zwei Einrichtungen hat sie sogar im Vorfeld aus Papier gebaut.

Und könnte sie ein Tier sein, wäre sie ein Hamster? «Ein Hamster in sehr guter Haltung», meint sie schmunzelnd. Um Nahrungsknappheit müsste sie sich nicht sorgen, ebenso wenig um Raubtiere. Gibt es etwas Schöneres, als den Tag in einer kuschligen Höhle zu verschlafen? Für eine Nachteule ist das Hamsterleben ein Traum. Wenn auch ein kurzer – Hamster werden kaum älter als zwei bis drei Jahre. «Doch ich weiss, dass sie bei mir ein gutes Leben hatten.


www.hamsterinfo.ch

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