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«In einem glücklichen Leben hat auch Kummer Platz»

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 24. November 2022

Susan Reinert empfiehlt ein Dankbarkeitstagebuch und Wohlfühlmomente.

Ein glückliches Leben. Was heisst das überhaupt? Das beschäftigt auch Susan Reinert. (Bild: zvg)
Ein glückliches Leben. Was heisst das überhaupt? Das beschäftigt auch Susan Reinert. (Bild: zvg)

Susan Reinert ist Trainerin und Coach für Achtsamkeit und Lebensfreude und Betriebsökonomin. Sie war über 15 Jahre Beraterin im Gesundheitswesen bzw. Leiterin der Koordinationsstelle ­Gesundheit und Alter. 2010 gründete die Zumikerin «Leuchtstern vermittelt Lebensfreude» und beschäftigt sich seither intensiv mit Lebensfreude und wie diese vermittelt werden kann. Die Mutter zweier Söhne ist unter anderem ausgebildete MBSR-Lehrerin (Mindfullness Based Stress Reduction) und vertieft ihre Achtsamkeitspraxis in Retreats und Weiterbildungen. Dazu kommen Aus- und Weiterbildungen in systemischem Coaching (Institut für systemische Impulse, Entwicklung und Führung, isi), Intuitionstraining (Renée Bonanomi), Sterbebegleitung (Institut Dr. Gabriel Looser), dem Zürcher Ressourcenmodell. Im Gespräch definiert sie ihre Sicht zum Thema Glück.

Was ist Glück überhaupt?

In der deutschen Sprache hat Glück verschiedene Bedeutungen: Zum einen verstehen wir darunter das Glück, das von aussen kommt – also ein Glücksfall wie der berühmte Sechser im Lotto. Zum anderen ist das Glück ein inneres Erleben, eine freudige Gemütsverfassung.

Was ist für Sie Glück?

Das Gefühl, lebendig zu sein und mich wohlzufühlen. Körperlich spüre ich dabei Wärme in der Brustgegend und ich fange an zu lächeln.

Lässt sich Glück trainieren?

Ja. Wobei wichtig ist zu wissen, dass glückliche Menschen nicht die ganze Zeit glücklich sind. In einem glücklichen Leben hat alles Platz – auch Kummer, Schmerzen und Ärger.

Neigen wir von Natur her nicht eher dazu, das Schwierige zu sehen?

So ist es. Der Urmensch, der den schönen Sonnenuntergang genossen oder sich am Duft einer Blume erfreut hat und dadurch den Säbelzahntiger übersehen hat, wurde von diesem gefressen. Wir stammen also alle von vorsichtigen Urahnen ab, die sich auf die Gefahren konzentriert haben. Unser Gehirn ist heute noch so ausgerichtet: Lieber schöne Dinge übersehen als eine potentielle Gefahr. Deshalb schenken wir Negativem mehr Aufmerksamkeit. Ein kleines Beispiel: Wir kochen für unseren Freundeskreis und geniessen einen schönen Abend. Alle bedanken sich beim Abschied für den gelungenen Abend und das feine Essen. Eine Person erwähnt dabei, dass die Vorspeise etwas salzig war. An was denken wir am Abend im Bett? An die Vorspeise.

Was können wir in einer solchen Situation tun?

Es hilft, den Fokus bewusst auf ­positive Aspekte zu richten. Dankbarkeit kann uns dabei helfen. Eine Übung, die mir persönlich sehr ­gefällt, ist das Dankbarkeits-ABC: Für jeden Buchstaben nenne ich spontan Dinge oder Personen, für die ich dankbar bin. Also bei A: Atem, Andrea, Augen … Das kann ich im Bett machen, wenn ich nicht einschlafen kann, aber auch tagsüber mit Familien und Freunden. Auch das Führen eines Dank­barkeitstagebuchs, täglich oder ­wöchentlich, kann hilfreich sein. Je mehr wir uns in Dankbarkeit üben, umso einfacher wird es uns mit der Zeit fallen, den Blick auf Positives zu richten.

Kann Glück von alleine kommen oder muss ich darum kämpfen?

Wenn ich fürs Glück kämpfen muss, ist es wohl kein Glück, das sich einstellt. Oft setzen wir uns zu sehr unter Druck oder erwarten auch zu viel. Glück ist nicht nur ein jubelndes Hochgefühl, sondern kann auch in feineren Nuancen erlebt werden. Wir können das Glück zu uns einladen, immer wieder von neuem.

Wie kann ich denn das Glück einladen?

Es lohnt sich, in einer ruhigen Minute aufzuschreiben, was mir gut tut und wo ich mich so richtig wohl fühle. Bei welchen Tätigkeiten geht mein Herz auf? Beim Kochen, Meditieren, Sport treiben? Wo bin ich gerne? In der Natur, auf dem Sofa? Mit wem bin ich gerne zusammen? Was höre, rieche, schmecke, fühle, sehe ich gerne? Und wenn diese Liste steht, kann ich mir täglich (oder öfters) etwas davon gönnen.

Ist es nicht egoistisch, mich so um mein Glück zu kümmern?

Nein, im Gegenteil. Wenn sich eine Person gut um sich selber kümmert und glücklich ist, ist sie dadurch auch ausgeglichener, gelassener und hilfsbereiter. Je nach Lebenssituation ist das Zeitbudget natürlich enger, zum Beispiel mit kleinen Kindern. Vielleicht ist es dann die erste Tasse Kaffee oder Tee am Morgen, die ich bewusst geniesse.

Mit Susan Reinert sprach Birgit Müller-Schlieper

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