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Die Berufswahl als magischer Moment

Von Franca Siegfried ‒ 12. Januar 2023

Sabine Vorwerg berichtet über ihren Beruf im Spital Zollikerberg. Und wie es ist, als Hebamme an Feiertagen zu arbeiten.

Ihre Arbeit als Hebamme macht Sabine Vorwerg wirklich gerne, jede Geburtsgeschichte verläuft anders. (Bild: fs)

Sabine Vorwerg ist Hebamme im Spital Zollikerberg. «Jedes zweite Jahr bin ich für die Feiertage eingeteilt», sagt die 34-Jährige. Dieses Jahr hatte sie Dienst in der Silvesternacht. Wer kommt 2023 zuerst auf die Welt? Eine der ersten alljährlichen Fragen. Die Kommunikationsabteilungen der Schweizer Spitäler waren auf Pikett und freuten sich besonders über Geburten nach 00:01. In ihren Mitteilungen führten sie Uhrzeit, Bub oder Mädchen, Vorname, vielleicht noch das Gewicht auf. Und Medienschaffende erfassten die Meldungen. Aber was wirklich geschah in der Geburtenabteilung während der Silvesternacht, war nirgends zu lesen. Berufsgeheimnis und Diskretion für Mutter und Vater bilden eine natürliche Barriere für anrührende Berichte. Darum wird ein Neujahrsbaby oft nur auf Fakten reduziert – eine Art Steckbrief für die kleinen Erdenbürgerinnen und Erdenbürger.

Emotionale Momente

«Es ist eine spezielle Stimmung an Silvester. Wir vom Team bringen Esswaren mit für ein kleines Buffet. Dazu gehören alkoholfreie Getränke, damit wir zusammen um Mitternacht anstossen können, falls es möglich ist.» In solchen Stunden werde es besonders emotional. ­Sabine Vorwerg erzählt von einem Vater, der eine kleine Rede hielt: «Zuerst machte er einen Rückblick aufs Jahr 2022. Dazu gehörte auch der Ukraine-Krieg und die Pandemie.» Danach feierte er den Pflegeberuf, bedankte sich bei allen Anwesenden für den unermüdlichen, professionellen Einsatz – und wie wichtig ihr Beruf für die Gesellschaft sei. Das passte. Im Zollikerberg waren Diakonissinnen massgebend für die Professionalisierung des Pflege­berufes in der Schweiz. Dadurch bekamen auch ledige Frauen Anerkennung und Status in der Gesellschaft. Das war vor 160 Jahren.

Von Berlin nach Zollikon

Wie Sabine Vorwerg zu ihrer Berufswahl gekommen ist, erlebte sie als magischen Moment. Sie sang damals in einem gemischten Chor. Eine Freundin und Gesangskollegin hätte sie mit dem einfachen Satz «Hebamme würde zu dir passen» inspiriert. Damals lebte sie noch in Deutschland. In der Charité – Universitätsmedizin Berlin absolvieren viele Schweizer Hebammen-Studentinnen ein Praktikum. Dort hat sich Sabine Vorwerg mit einer Schweizerin angefreundet. Bei ­einem Besuch hatte sie sich dann in die Schweiz verliebt. Seit 2015 arbeitet sie im Zollikerberg. 2020 nahm sie sich jedoch eine Auszeit, da ihre beiden Schwägerinnen in Erwartung waren. «So wurde ich zur Familienhebamme und half, die Kinder zur Welt zu bringen.» Jede Geburtsgeschichte verläuft ­anders. Sie wird als Tante berichten können, wie es war, als sie als ­erster Mensch die Nichte und den Neffen auf den Armen hielt. «Das bedeutet, die erste Sekunde durchatmen, und sobald das Baby auf der Brust der Mutter liegt, auch schauen, ob der Vater wohlauf ist», erzählt Sabine Vorwerg.

Neue Wege in der Geburtshilfe

Seit vergangenem Oktober gehört sie wieder zum Team der Geburtsabteilung des Spitals Zollikerberg. Gemäss des Schweizerischen Hebammenverbandes gibt es aktuell rund 3419 Hebammen. Zwar dürfte laut dem jüngsten nationalen Versorgungsbericht die Zahl der freiberuflichen Hebammen steigen. In den Spitälern aber droht ein Mangel, obwohl die rund 200 Ausbildungsplätze an Fachhochschulen jeweils ausgebucht sind. Im Rahmen der neuen Spitalliste des Kantons Zürich, dazu gehört auch das Spital Zollikerberg, soll sich nun zusätzlich eine «hebammengeleitete Geburtshilfe» etablieren. Nicht eine Ärztin oder ein Arzt, sondern eine Hebamme werden Geburts­vorbereitung und Geburt sowie die Nachbetreuung verantworten. Ärztliche Fachpersonen sollen nur noch bei Komplikationen beigezogen werden. Fachliche Entwicklung ist das eine, doch auch gesellschaftliche Phänomene beeinflussen den Beruf. «Zum Beispiel die Einstellung der jungen Frauen zur Geburt. Viele wollen selbst keine Entscheidungen treffen und Eigenverantwortung übernehmen. Sie unterschätzen oft ihre eigenen Fähigkeiten, ihre Stärke und den Umgang mit Schmerzen», sagt Sabine Vorwerg. Gefragt ist Psychologie. Für sich selbst berichtet die Hebamme, dass sie die intensiven Erlebnisse und Erfahrungen durch Gespräche im Team gut verarbeiten kann. «Ich achte jedoch auch auf einen guten Ausgleich in der Freizeit. Und ich mache in meinem Leben das, was ich wirklich gerne mache – meine Arbeit als Hebamme und meine Reisen.» Ja, da wäre noch ein ferner Traum, aber weit weg vom Zollikerberg – etwa die Eröffnung eines «Bed and Breakfast» in Namibia.

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