Von Sabine Born ‒ 16. März 2023
Während 16 Jahren lag die Leitung der Schule Rüterwis in den Händen einer starken Führungsperson. Als diese in Pension ging, übernahm eine Co-Leitung das Zepter. Drei Jahre später trat der Co-Leiter in den Ruhestand. Gleichzeitig trennte man sich von der Co-Leiterin und engagierte im März 2022 ein neues Leitungsduo.
Das ist kurz zusammengefasst der Führungswechsel, wie er sich auf der Personalebene abspielte. Was der Prozess im Lehrerkollegium auslöste, ist jetzt Bestandteil einer Beratung, die Franz Holderegger von «Krisenintervention Schweiz» anbietet. Der Psychologe und Pädagoge hat die Geschäftsführung nach zwölf Jahren altershalber einer Kollegin übergeben, bleibt als Senior Berater aber weiterhin für die Stiftung tätig.
Sie baten mich, den Prozess des Führungskulturwechsels an der Schule zu begleiten, zu moderieren und die Schwierigkeiten aufzuarbeiten, die sich in den letzten Jahren akzentuiert hatten.
Nach ersten Gesprächen mit der Schulleitung eröffnete ich relativ rasch Zeitfenster für individuelle Gespräche mit den Lehrpersonen. Ich bot zudem an, klärende Gespräche mit der Schulleitung oder anderen Betroffenen zu moderieren und zu begleiten. Dieses Angebot besteht nach wie vor.
Nicht im erhofften Ausmass. Einige Lehrpersonen leerten zwar ihren Rucksack bei mir aus, waren für weiterführende Gespräche aber nicht bereit. Bei einigen hat sich bereits Resignation breitgemacht – das erschwert den Prozess erheblich.
Ich erfuhr vieles über die Geschichte der Rüterwis und die Veränderungen, die der Kultur- und Führungswechsel ausgelöst hat. Ein Teil der Lehrpersonen fühlte sich nicht gehört, nicht wertgeschätzt. Andere sagten: Für mich ist alles ok.
Das kann man – aber nicht, indem man wertet und langjährige Lehrerinnen und Lehrer als bewegungsunfähig bezeichnet. Sie fühlten sich gekränkt, als Gewohnheiten in Frage gestellt wurden, ihre Autonomie eingeschränkt wurde. Lehrpersonen, die später eintraten, konnten diesen Vergleich nicht machen.
In einer Schule entstehen immer Spannungsfelder, gerade zwischen der Autonomie der Lehrpersonen und den Anforderungen der Organisation. Die pädagogische Freiheit im Klassenzimmer ist grundsätzlich hoch, wird im Umfeld geleiteter Schulen künftig aber eingeschränkt werden. Es gibt also einen Kulturwechsel. Jüngere Lehrpersonen fügen sich oft leichter in vorhandene Strukturen ein.
Unbedingt. Es ist hochspannend, erfahrene Lehrpersonen als Mentorinnen und Mentoren für jüngere Lehrpersonen zu gewinnen.
Ja, ich versuche grundsätzlich, den Blick des Teams zu öffnen und eine gewisse Toleranz für andere Möglichkeiten und Sichtweisen zu schaffen, dass man diese nicht als Störung, sondern als Bereicherung ansieht. Das ist gleichzeitig eine Dreh- und eine Gratwanderung.
Ich habe nicht nur dem Schulteam dargelegt, wo es in Zukunft hingehen könnte, sondern auch mit der Schulleitung gesprochen und aufgezeigt, dass der Wille zur Veränderung von allen Beteiligten nötig ist. Die Schulleitung erhält zudem ein externes Coaching, um Kommunikationsthemen anzugehen.
Es macht Sinn, wenn auch die Schulpflege gegen aussen geschlossen auftritt. Allerdings ist ihre Funktion nicht vergleichbar mit der von Schulleitung und Lehrpersonen, da innerhalb eines Milizsystems andere Rollenverständnisse herrschen.
Grundsätzlich muss man sagen, dass Veränderungsprozesse immer schmerzhaft sind. Ich würde hier von einem Konflikt sprechen, da die Schulorganisation nicht gefährdet ist. Man muss aber zwischen der individuellen und institutionellen Ebene unterscheiden. Für gewisse Lehrpersonen könnte der Konflikt durchaus in einer Krise enden.
Unzufriedenheit ist nicht per se schlecht, sondern auch der Beginn eines Prozesses. Man darf alte und festsitzende Strukturen auch mal erneuern. Und das geht selten ohne Spannung und Reibung. Die Frage ist nur, wie es gelingt. Veränderungsprozesse erfordern viel Aufmerksamkeit. Es braucht Wertschätzung und Aufrichtigkeit, man muss aufeinander zugehen und Meinungsverschiedenheiten austragen. Das Ziel ist aber nicht, rundum glückliche Lehrpersonen zu haben, sondern ein gesundes Arbeitsumfeld, damit gesunde Lehrpersonen einen guten Unterricht bieten können.
Dass man bei einem klassischen Kulturwechsel, wie er sich in der Rüterwis abgezeichnet hat, von Anfang an eine externe Begleitung einbaut. Damit hätte man unnötige Konflikte vermeiden können. Eine Erfolgsgarantie gibt es aber nie. Letztlich kann auch ich nur Möglichkeiten schaffen. Die Veränderungsprozesse müssen die beteiligten Personen selbst vollziehen.
Dass die Schule handlungsfähig bleibt und ihren Bildungsauftrag gut erfüllt. Darin integriert sehe ich den individuellen Auftrag: Wo kann man Entschärfungen herführen, Missverständnisse auflösen, neue Wege gehen und allenfalls Entwicklungen anstossen, die ja ganz wesentlich sind.
Zwei grosse Veranstaltungen mit verschiedenen Themeninseln boten Anfang Jahr Gelegenheit für ausführliche Diskussionen. Eine Impulsgruppe aus freiwilligen Lehrkräften und der Schulleitung giesst diese Ergebnisse und Vorschläge jetzt in eine verbindliche Abmachung, quasi in einen Verhaltenskanon, wie man künftig miteinander umgeht.
Läuft es schlecht, bin ich die nächsten zehn Jahre dort (lacht), läuft es gut, und davon gehe ich aus, ungefähr bis im Sommer. Aber es ist ein laufender Prozess; ich hüte mich, einfache Betty-Bossi-Rezepte anzuwenden.
Für Veränderungsprozesse funktionieren sie aber nur beschränkt. Ich muss die Dynamiken spüren und darauf aufbauend Vorschläge und Interventionen erarbeiten. Dazu bleibe ich im Gespräch, begleite, übernehme aber nicht die Verantwortung für andere Personen und Handlungen, weil das den Prozess stören würde.
Aus der Psychologie weiss man, dass überstandene Krisen die Resilienzfähigkeit stärken. Das heisst, wenn sich die Situation an der Schule Rüterwis beruhigt hat, wird sie krisenresistenter und fit für die Zukunft sein.
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2 Antworten
Zum Artikel: „Unzufriedenheit ist der Beginn eines Prozesses“
„Während 16 Jahren lag die Leitung der Schule Rüterwis in den Händen einer starken Führungsperson. Als diese in Pension ging, übernahm eine Co-Leitung das Zepter. Drei Jahre später trat der Co-Leiter in den Ruhestand. Gleichzeitig trennte man sich von der Co-Leiterin und engagierte im März 2022 ein neues Leitungsduo.“
Die sprachliche Wendung „man trennte sich von“ wird gemeinhin im Zusammenhang mit der Kündigung eines/einer Mitarbeitenden durch den Betrieb verwendet. Dies dürfte jeder journalistisch tätigen Person geläufig sein. Dass besagte Formulierung im Artikel dennoch verwendet wurde, lässt darauf schliessen, dass die Recherchen nicht ganz sauber geführt worden sein dürften oder aber sich die Quellen missverständlich ausgedrückt haben. Als die im Artikel genannte, ehemalige Co-Leiterin der Primarschule Rüterwis, ist es mir wichtig festzuhalten, dass nicht mir gekündigt wurde, sondern ich selbst die Kündigung eingereicht hatte.
Besten Dank für die Veröffentlichung des Kommentars und freundliche Grüsse,
Franziska Langegger
Zum Artikel Unzufriedenheit ist der Beginn eines Prozesses:
In den letzten Wochen und Monaten habe ich die verschiedenen Artikel lesen können.
Zuerst einmal ist die Einleitung einer Mediation eine sinnvolle Vorgehensweise, die allen Beteiligten helfen kann die Situation zu klären. Die Stiftung Krisenintervention ist mir bekannt und ihr Arbeit kenne ich als sorgfältig und professionell. Wenn ich das Interview aufmerksam lese, kann ich Herrn Holderegger in vielen Antworten recht geben. Seine Aufgabe ist anspruchsvoll und ich wünsche ihm dabei alles Gute.
Welche Gedanken und Fragen beschäftigen mich?
Zunächst:
a) Der erste Antwortsatz auf die Frage nach dem Generationenkonflikt ist u.a. ein wesentlicher Bestandteil der aktuellen Situation (Reizwort altes Team).
b) Im März ’22 wurde ein neues SL-Duo engagiert. Warum zu diesem Zeitpunkt (entscheidenden Phase der Schuljahresplanung)? Das war eine schwer vorzustellende Vorgehensweise, welche von vielen (sicher in erster Linie von den länger anwesenden) Kollegen nicht verstanden wurde.
c) Lehrpersonen haben bereits resigniert. Resignation tritt ein, wenn die Hoffnung verschwunden ist. Was war der Grund des langen Wartens?
d) Warum genau wurde der SL – neben der Mediation – noch ein Coaching verabreicht?
Die Fragen b bis c betreffen die Führung Leitung Bildung.
Ein Hinweis zur Frage des Auftrags von Hr. Holderegger: „Ich wurde gebeten….Führungskulturwechsels an der Schule zu begleiten, zu moderieren und die Schwierigkeiten aufzuarbeiten, die sich in den letzten Jahren akzentuiert hatten.
„Die Schwierigkeiten der letzten Jahre….“ kann ohne genaues Hinsehen irreführend verstanden werden. Bei genauerem Hinsehen gab es im ersten Jahr (2019-2020) der neuen Co-SL tragische Ereignisse – u.a. den Beginn der Coronakrise.
Ich bin dankbar für den klärenden Kommentar von Frau Langenegger.
Die Vorgehensweise durch die Leitung Bildung, Herrn Rechsteiner, war unrechtmässig. Warum? Zur Verfügung standen die Stellenprozente des Co-SL! Nicht die der bleibenden Co-SL! Das ist kurz zusammengefasst die Situation! Man kann natürlich den Prozess so gestalten….und hoffen, dass es niemand bemerkt. In der Phase des Übergangsprozesses gab es keinen Dialog bzw. Einbindung der Co-SL.
Die Folgen des Prozesses haben zu einem Kollateralschaden geführt (das ist das moderne Wort und die Umschreibung für negative Ereignisse).
Zum Abschluss ein positiver Gedanke. Angelehnt an Herrn Holderegger hat dieser Prozess die Möglichkeit zu mehr Nachhaltigkeit – wenn alle Beteiligten einen guten Willen (innere Haltung, Selbstkritik und Selbstreflexion) aufbringen. Im guten Sinne sollte dort auch die Leitung Bildung eingebunden sein, da sie Teil des Prozesses ist. Im letzten Drittel des Artikels wird sichtbar, dass eine offene, ehrliche (?) und geordnete Kommunikation für alle hilfreich ist. Meist liegen wir in der Mehrzahl unserer Ansichten, Ideen oder Meinungen gar nicht soweit auseinander (80:20 Regel). 80 % laufen gut, über die verbleibenden 20% unterhält man sich so, als lägen 80% im Argen.
Auch das bedeutet ein Kulturwechsel: Weg von der Defizit-Orientierung zur Positiv-Orientierung.
Mit freundlichen Grüssen
Martin Ebling