Von Aline Sloksnath ‒ 23. März 2023
Einatmen. Ausatmen. Ein Atemzug nach dem anderen. Von der Geburt bis zum sprich- und wortwörtlich letzten Atemzug beliefern wir unseren Organismus mit Sauerstoff. Durchschnittlich 16-mal pro Minute atmet ein erwachsener Mensch ein und aus.
Für Mona Stebler ist Atmen nicht nur ein lebenswichtiger Vorgang, sondern auch ein Teil ihres Berufes. Seit 2021 ist sie ausgebildete Atemtherapeutin. Seit gut einem Jahr lebt und arbeitet sie in Zollikon im Elternhaus ihres Mannes. Davor hat die gebürtige Baslerin 14 Jahre in Zürich gewohnt. Platzprobleme führten zum Umzug ans rechte Zürichseeufer. «Ich finde es total schön, hier in Zollikon zu leben», schwärmt sie. Ihr Praxisraum begrüsst einen am Nachmittag sonnendurchflutet. Der kleine Raum kommt ohne Schnickschnack aus. Blumen in einer Ecke, in einer anderen ein Bücherregal mit Fachliteratur. An der Tür ein grosses Schild: «Atemtherapie».
Ursprünglich kommt Mona Stebler von der Sozialarbeit. Parallel hat sie sich mit Musik und Tanz beschäftigt – und stand als Amateurtänzerin auf der Bühne. Ihr Wissensdurst und der Drang, Neues zu lernen, hat sie schon immer begleitet. So absolvierte sie zahlreiche Aus- und Weiterbildungen im sozialen und therapeutischen Bereich. Als Polarity-Therapeutin und Yogalehrerin arbeitete sie viele Jahre, bis sie merkte, dass ihr etwas fehlte. Beim Yoga habe sie zwar auch Atemübungen gemacht, sei aber dabei nicht weitergekommen. Durch die Musik und über ein paar Umwege stiess sie auf den «Erfahrbaren Atem» von Ilse Middendorf und merkte, dass sie dank dieser Methode endlich den ersehnten, tieferen Zugang zur Atmung findet. «Obwohl sich Yoga auch intensiv mit der Atmung auseinandersetzt, ist bei der Middendorf-Arbeit der Zugang ein ganz anderer. Und das hat mich fasziniert», sinniert sie. 2016 machte sie sich auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz zur Atemtherapeutin. Einen Teil der Ausbildung absolvierte sie in Freiburg im Breisgau, den anderen in der Schweiz. Heute verbindet sie all ihre Fähigkeiten. Die Atemtherapie sei wie ein Tool, das zu ihrem Werkzeugkoffer dazugekommen ist, und habe in den letzten sieben Jahren immer mehr Raum ein-
genommen.
Mona Stebler erzählt ruhig und mit Freude von ihrem Werdegang und der Atemarbeit. Immer wieder betont sie, dass es sich bei Middendorfs Lehre um eine Methode und nicht um eine Technik handelt. Auf ihrer Visitenkarte steht ein Zitat der deutschen Atemtherapeutin: «Wir lassen unseren Atem kommen. Wir lassen ihn gehen. Und wir warten, bis er von selbst wiederkommt.» Dieser Satz bringe die Quintessenz der Middendorf-Methode auf den Punkt. Gemäss Mona Stebler geht es darum, dass man den Atem weder willentlich führt noch unbewusst lässt, sondern ihn ins Bewusstsein holt. «Das ist schwierig zu beschreiben, man muss es erfahren», erklärt sie lächelnd. Wenn Menschen den Weg in ihre Therapieräume finden, wollen sie oft eine gewisse Technik erlernen. Viele meinen, sie würden falsch atmen. In ihren Einzel- oder Gruppentherapien gehe es nicht darum, ob jemand richtig oder falsch atme, sondern darum, sich bewusst zu werden, wie man atmet. Sie beeinflusst den Atem ihrer Klientinnen und Klienten nicht, sondern schaut, was beim jeweiligen Menschen während des Atemprozesses passiert. Erzählt Mona Stebler von ihren Übungen, macht sie diese gleich vor, legt die Hände auf den Bauch, wenn sie über den Bauch spricht, und legt sie auf den Rücken, wenn dieser zum Thema wird. «Ich arbeite immer mit dem Körper. Mein Gegenüber kann liegen oder auch sitzen. Mittels einfacher Körperübungen lernt man, sich dem Körper zuzuwenden und ihn zu spüren. Diese Hinwendung und das Spüren des eigenen Körpers haben eine positive Wirkung auf unsere Atembewegung, die wir so bewusst wahrnehmen können», erklärt die Therapeutin.
Über die Frage, welche Bedeutung der Atem in ihrem Leben hat, lacht sie: «Grundsätzlich ist für mich atmen wie für alle anderen Menschen auch: Es geht ums Überleben.» Doch der «Erfahrbare Atem» habe ihr Leben schon verändert. Sich ihrer eigenen Atmung bewusst zu werden, helfe ihr, immer wieder ruhig zu werden und sich von der Hektik und dem Stress der Aussenwelt nicht zu sehr einnehmen zu lassen. «Wo geht der Atem hin, wie bewegt er sich, wie ist der Rhythmus? Diese Fragen sind Bestandteil meines Alltags geworden.» Auch nimmt sie die Atmung der Menschen ausserhalb ihres Therapieraumes verstärkt wahr. Sie fragt sich etwa: «Wie atmen Menschen, die in öffentlichen Verkehrsmitteln an ihren Handys beschäftigt sind?» Das interessiert sie zunehmend. «Aber ohne, dass ich eingreifen will.»
Ist jemand sprachlos oder überwältigt, heisst es im Volksmund, etwas raube einem den Atem. Ob das auch einer Atemtherapeutin passiert? «Ja sicher, ich bin auch ein Mensch», kommt es belustigt und wie aus der Pistole geschossen. Und sie fügt an, dass auch eine ausgebildete Atemtherapeutin nicht ausgelernt hat. Es brauche Zeit, diese Empfindungen zu lernen und die Erfahrungen zu machen, die einen in der Atmung weiterbringen. Für sie ist der «Erfahrbare Atem» ein lebenslanger Lernprozess. Der wohl erst aufhöre, wenn wir aufhören zu atmen.
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