Grosser Einsatz für kleine Gäste

Von Ramona Bussien ‒ 20. April 2023

Von Mai bis Juli erfüllen ihre schrillen Schreie die Luft, wenn sie in halsbrecherischer Geschwindigkeit zwischen Häusern hindurch und über Dächer hinwegjagen. Damit sich die Mauersegler auch in Zollikon wohlfühlen, unterstützt die Gemeinde sie mit neuen Nisthilfen.

Die Feuerwehr Zollikon teilt sich die Autodrehleiter mit den Gemeinden Zumikon, Küsnacht und Erlenbach. Sind nicht gerade Nistkästen zu montieren, dient das Fahrzeug vor allem für Patientenrettungen. (Bild: zvg)
Die Feuerwehr Zollikon teilt sich die Autodrehleiter mit den Gemeinden Zumikon, Küsnacht und Erlenbach. Sind nicht gerade Nistkästen zu montieren, dient das Fahrzeug vor allem für Patientenrettungen. (Bild: zvg)

Meter um Meter fährt die Autodrehleiter in die Höhe. John Elben, Kommandant der Zolliker Feuerwehr, sitzt im Bedienstand. Im Rettungskorb: zwei Feuerwehrmänner, einer davon ist Schreiner. Ihre Stimmen wechseln sich ab mit den Anweisungen des Kommandanten. Etwas mehr nach rechts, nach links, ein wenig höher. An diesem sonnigen Aprilnachmittag montieren sie im Rahmen einer Feuerwehrübung bei zwei privaten Liegenschaften insgesamt acht Nistkästen. Zwei Wochen zuvor hat die Gemeinde die Schule Rüterwis mit sechs Nistkästen für Mauersegler und 15 Schwalbennestern ausgestattet, dort mangels Zugänglichkeit für die Feuerwehr in Zusammenarbeit mit dem Dachdecker.

Inventarisierung und Förderung

Gebäudebrüter wie Mauersegler ­lassen sich häufig an und in alten Bauten nieder, wo Witterung und Zeit Ziegel weggesprengt oder Risse ins Mauerwerk gegraben haben. Jahr für Jahr kehren die Vögel ins immer gleiche Nest zurück. Auch der Nachwuchs sucht in der Nähe seiner Kinderstube einen Brutplatz. Werden alte Häuser renoviert oder abgerissen, verschwinden oft die Nistplätze einer ganzen Kolonie. Ein Desaster für die Vögel, die im Zuge des europäischen Insektensterbens bereits mit Nahrungsknappheit zu kämpfen haben. Viele Gebäudebrüter stehen auf der Roten Liste und sind samt ihren Nestern gesetzlich geschützt. Wer ein entsprechendes Gebäude abreissen oder renovieren will, muss dies frühestmöglich der Gemeinde melden, damit diese für Ersatz wie das Anbringen künstlicher Nisthilfen sorgen kann. Gemäss Baudirektion des Kantons besteht für Gemeinden mittlerweile eine Inventarpflicht für Mauer- und Alpensegler sowie Mehl- und Rauchschwalben. Die Gemeinde Zollikon inventarisierte 2022 und wies Bestände von Mehlschwalben und Mauerseglern an  25 Standorten nach. Eine durchschnittliche Zahl, zumal sich die meisten Brutpaare in nur zwei ­Kolonien – Spital Zollikerberg und Schule Rüterwis – aufteilen. In ­einem weiteren Schritt leitete Zol­likon nun Fördermassnahmen ein: Es böten sich drei weitere Standorte für Mehlschwalben und ganze 24 für Mauersegler an. Ferner stattet die Gemeinde neben der Schule Rüterwis auch und das Pfadiheim der Meitlipfadi mit zusätzlichen Nisthilfen aus. Private Liegenschaften stehen ebenfalls auf der Liste. Wer Gebäudebrüter unterstützen möchte, kann kostenlos künstliche Nisthilfen beziehen.

Nistkästen für Mauersegler

Ideale Förderstandorte liegen in der Nähe bereits bestehender Nester, damit insbesondere die einjährigen Rückkehrer schnell einen eigenen Nistplatz finden. Mauersegler benötigen eine hindernisfreie Anflugfläche. Das Nest sollte regengeschützt und die Öffnung verengt sein, damit sich die früher eintreffenden Stare nicht einnisten. Schliesslich ist Geduld gefragt, bis die Vögel den Nistplatz entdecken und annehmen. Meist lassen sich Massnahmen für Mauersegler re­lativ einfach und kostengünstig ­umsetzen. Auch müssen sich ­Haus­eigentümer keine Sorgen um Schmutz und Lärm machen: Im ­Gegensatz zu Schwalben hinter­lassen Mauersegler keine Spuren. Und anders als bei Alpenseglern schrillen ihre Rufe nur tagsüber durch die Luft


Hintergrund

Mit den Kolibris verwandt

Jedes Jahr Ende April, anfangs Mai kehren sie zurück: quer über den Äquator, die Sahara und das Mittelmeer. Ohne Pause. Mauersegler können bis zehn Monate ununterbrochen fliegen. Sie jagen, fressen, trinken, balzen und paaren sich, ja schlafen gar in der Luft. Selbst das Nistmaterial sammeln sie im Flug. Kein Vogel ist besser angepasst an ein Leben fernab des Erdbodens. Nicht einmal die Schwalben, die den Seglern zwar ähneln, aber nicht mit ihnen verwandt sind. Schwalben gehören mit Kohlmeise, Rabenkrähe und Buchfink zu den Singvögeln. Mauersegler hingegen zur Ordnung der Segler, zu denen auch Kolibris zählen. Der Mauersegler ist demnach näher mit dem Kolibri verwandt als mit der Mehlschwalbe. Als schneller Dauerflieger erreicht er Geschwindigkeiten von bis zu 150 Stundenkilometern. Den Geschwindigkeitsrekord hält aktuell der in Asien brütende Stachelschwanzsegler mit 170 Stundenkilometer. Diese Fähigkeit verdanken sie unter anderem der Morphologie ihrer Flügel, die sie von den Singvögeln unterscheidet: So sind die Handknochen bei Seglern verlängert, Oberarm- und Unterarmknochen verkürzt, die Flügel insgesamt sichelförmig und überproportional lang. Hinzu kommen ein stromlinienförmiger Körper und kleine Füsse, deren vier Zehen – anders als bei anderen Vögeln – nach ­vorne zeigen. Mit ihnen können sich Mauersegler an Hauswänden festklammern, hingegen nicht auf ­Ästen oder Drähten sitzen. Auch auf dem Boden bewegen sie sich fast tollpatschig fort. Das ­Manövrieren gelingt ihnen ebenfalls nicht sonderlich gut, was die pfeilschnellen Luftakrobaten in Kauf nehmen müssen. Der hochspezialisierte Körperbau macht es ihnen unmöglich, langsam zu fliegen. Deswegen sollte die Anflugfläche ihres Nistplatzes frei von Ästen oder Leitungen sein, damit sie sich nicht verletzen.
Übrigens: Mauersegler wandern auch während ihres Aufenthalts bei uns. In sogenannten Wetterfluchten weichen sie Schlechtwetterzonen aus und folgen ihrer Hauptnahrungsquelle – den Insekten. Meist handelt es sich um Nichtbrüter, doch auch Tiere mit Brut sind bei solchen Fluchten schon beobachtet worden. Über 2000 Kilometer können sie sich von ihrem Nistplatz entfernen. Das entspricht fast der Luftlinie Zürich – Moskau. Ältere Nestlinge verfallen während der Abwesenheit ihrer Eltern in eine Art Hungerstarre und überdauern so rund eine Woche ohne Nahrung.

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