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Was eine Babyboomerin alles erreicht

Von Franca Siegfried ‒ 11. Mai 2023

Sie war die erste Frau der Schweiz mit einem Diplom für technische OP-Assistenz und organisierte OP-Säle in Spitalneubauten, auch in Militär­spitälern. Weltreisen, ein Catering und ein primel­gelber Oldtimer – Einblick ins Leben von Yvonne Bucher.

Für die technische Ausstattung von Operationssälen verantwortlich, ein Dienstgrad als Hauptmann oder als Unternehmerin – das ist 
Yvonne Bucher. Gerne ist sie mit ihrem Oldtimer unterwegs. (Bild: fs)
Für die technische Ausstattung von Operationssälen verantwortlich, ein Dienstgrad als Hauptmann oder als Unternehmerin – das ist Yvonne Bucher. Gerne ist sie mit ihrem Oldtimer unterwegs. (Bild: fs)

Unter der Haube ein Vierzylindermotor, der in knapp elf Sekunden von Null auf 100 km/h beschleunigt. Ein Sportwagen in primelgelb mit schwarzen Lederpolstern. Der Triumph TR2 ruht auf einem roten Teppich in der Garage und gehört nicht etwa dem Hausherrn. Nein, Yvonne Bucher lebt mit diesem Oldtimer ihren persönlichen Traum. Zumal der Roadster in den 1950er Jahren gebaut wurde – wenige Monate liegen zwischen dem Liebling aus Blech und dem Geburtsjahr der Besitzerin. Als Mitglied der IG Triumphtreff Thurgau ist sie alle zwei Jahre zwei Wochen lang unterwegs: Sardinien, Frankreich, Norwegen; die nächste Fahrt geht nach Ungarn. «Wir fahren schnell», sagt Yvonne Bucher, «das Auto hat richtig Saft». Es sei das Fahrgefühl in diesem Oldtimer, ­einem Auto mit Geschichte, das eine emotionale Bindung zulässt. Diese Verbindung von Technologie und Emotion hat wohl auch mit Yvonne Buchers Beruf zu tun: Fachfrau für Operationstechnik.

Ihre Ausbildung absolvierte sie 1972 in St. Gallen und bekam als erste Frau in der Schweiz das Di­plom für technische OP-Assistenz. Ihr Berufsfeld: Die Organisation des Operationssaals mit allen ­Vorbereitungen der Instrumente, Materialien wie Abdeckmaterial, Schläuche, Nahtmaterial und Desinfektion, wie auch der Überprüfung der elektronischen Geräte. Kurzum, alles muss bereit sein und funktionieren. Gefragt sind genaue Kenntnisse über Standards, Vorschriften, etwa auch Strahlenschutz. Während der Operation ist sie da zur Unterstützung der Operierenden. Eine anspruchsvolle, schweisstreibende und emotionale Aufgabe im gleissenden Licht eines Operationssaals.

Zum Hauptmann ernannt

«Mein Vater war Chefchirurg im Spital Flawil», erzählt sie. «Ich war schon als Mädchen sonntags mit Vater auf seiner Visite.» Sie kannte den Operationssaal, in dem ihr ­Vater viele Stunden verbracht hat. «Meine Eltern waren weltoffen», sagt Yvonne Bucher. «Wir hatten ständig Besuch von Ärzten, die bei Vater arbeiteten.» Auch Mediziner aus dem Ausland waren dabei, was schon früh ihr Interesse an Fremdsprachen weckte. Heute spricht sie sechs Sprachen fliessend, beispielsweise auch Norwegisch. Eigentlich wollte sie in die Fusstapfen ihres Vaters treten. In den 1970er Jahren war das Frauenstimmrecht noch neu, ein Medizinstudium für Frauen unüblich. «Mein Vater meinte, ich würde heiraten und eine Familie gründen. Zum Glück wurde in dieser Zeit die Schule für technische OP-Assistenz in St. Gallen ­eröffnet.» Mit dieser Ausbildung meldete sie sich in den Rotkreuzdienst. Sie war fähig, ein Militärspital zu organisieren und bekam den Dienstgrad Hauptmann. «Diese Dienstzeiten haben mir gut gefallen.» Yvonne Bucher berichtet schnörkellos und mit einer gewissen Zurückhaltung über ihr Leben. Zuerst arbeitete sie im Kantonsspital St. Gallen, dann in der Universitätsklinik Zürich im Notfall. Nach zwei Jahren war sie für die Inbetriebnahme dreier Operationssäle im Neubau zuständig – eine logistische Herkulesaufgabe. Trotz ­hohen Präsenzzeiten hatte sie das Glück, ihrem Mann zu begegnen, einem Elektroingenieur. Sie wählten den Zollikerberg als Lebensmittelpunkt. Zwischen 1987 und 1992 wurde im Spital Zollikerberg gebaut – auch dort war ihre Erfahrung gefragt.

Catering als Familien­unternehmen

Als die Operationssäle im Spital Zollikerberg in Betrieb waren, gingen sie und ihr Mann auf eine Weltreise. In Norwegen waren sie acht Monate im Jeep mit Dachaufsatz unterwegs. «Fjorde, Wasser, unberührte Natur, grandiose Landschaften», schwärmt Yvonne Bucher. Gerne trägt sie skandinavische Stricksachen mit der traditionellen Selburose, einem achtzackigen Stern. Auch Australien und Neuseeland standen auf dem Programm. ­Irgendwann kehrte sie zurück ins Arbeitsleben – und eröffnete 2012 mit ihrer Schwester das Catering «huus-gmacht.ch». Das Angebot auf der Homepage ist nicht nur appetitanregend, sondern auch lesenswert: «Mit scharfer Klinge zerteilt und schön präsentiert.» «Am liebsten organisierten und kochten wir für 40 bis 60 Gäste», sagt sie. «Mit zwei bis drei Aufträgen pro Monat konnten wir Qualität garantieren.» Drei Neffen mit Freundinnen liessen sich für den Service einspannen – ein Familienunternehmen. Den letzten Auftritt hatten sie beim Abschied der Mutter in Flawil. Sie ist mit 93 friedlich im Kreis der ­Familie eingeschlafen. Die Mutter wünschte keine kirchliche Zeremonie, die beiden Töchter mit den ­Enkeln sollten ihr ein Abschiedsessen organisieren. Die Gästeliste war gemacht. Ein letzter, unvergesslicher Auftrag. Seither ist das Geschirr ­gewaschen, sind die Pfannen ­gescheuert und die Tischtücher ­gebügelt. Alles ruht in Abstellkammern. Mit Mutters Tod hatte sich das Catering nach zehn Jahren ausgelebt.

Was jetzt? Yvonne Bucher gehört zu den Babyboomern. Diese Genera­tion hatte sich in der Jugend- und Studentenbewegung politisch engagiert: Waldsterben und Ozonloch waren die Themen. Babyboomer leben für ihre Arbeit und prägten den Begriff «Workaholic». Kein Wunder, macht auch Yvonne Bucher sich Gedanken, was noch zu tun wäre.

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