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Erschöpft vom Leben

Von Franca Siegfried ‒ 17. Mai 2023

Der Kantonsrat hat beschlossen, dass Pflegeeinrichtungen Sterbehilfe zulassen müssen – dies gilt ab 1. Juli 2023. Der Wunsch nach einem begleiteten Suizid wird in Zollikon und Zumikon bereits seit einigen Jahren erfüllt.

Der Friedhof: ein Ort der Ruhe, ein Ort des Abschieds. Wann dieser gekommen ist, kann auch selber entschieden werden. (Bild: cef)
Der Friedhof: ein Ort der Ruhe, ein Ort des Abschieds. Wann dieser gekommen ist, kann auch selber entschieden werden. (Bild: cef)

Begleiteter Suizid ist ein Phänomen, das besonders 75- bis 85-Jährige wählen – Frauen häufiger als Männer. Die Zahl des Freitodes nimmt mit dem Alter zu. Meistens erfolgt der Entschluss im Zusammenhang mit einer unheilbaren Krankheit und Hoffnungslosigkeit. Eine Suizid­begleitung ist seit Jahren eine ­Herausforderung für Heime und soziale Einrichtungen. «Suizid­beihilfe ist in der Schweiz nach ­Artikel 115 Strafgesetzbuch zulässig, sofern sie nicht auf selbstsüchtigen Beweggründen beruht», schreibt Curaviva Schweiz, nationaler Branchenverband der Dienstleister für Menschen im Alter. Gestützt auf diese rechtliche Grundlage haben sich Sterbehilfeorganisationen wie Exit und Dignitas etabliert – mit ­zunehmender Akzeptanz für den Freitod in der Bevölkerung.

Artikel 7 der Bundesverfassung verlangt, die Würde des Menschen müsse geachtet und geschützt werden. Was in Artikeln von Verfassung und Strafgesetzbuch in wenigen Worten formuliert ist, sieht bei den Betroffenen im Pflegebett, bei Angehörigen und beim medizinischen Personal anders aus. Sie alle besitzen eine Würde, die unmittelbar mit dem Menschen, seinem Handeln und Sein zu tun hat. Der Neurobiologe Gerald Hüther sagt, Würde sei mehr als nur ein Schlagwort, es gehe darum, über die eigene Lebensqualität entscheiden zu können. Menschen, die erschöpft sind vom Kranksein, genug haben von Therapien, medizinischen ­Untersuchen und schmerzhaften Nebenwirkungen von Medikamenten. Oder das medizinische Personal, das seine Würde im Helfen und Heilen findet. Schliesslich die Zweifel, seelischen Schmerzen und Gewissensfragen der Angehörigen.

Neues Gesetz, neue Richtlinien

Im Frühling 2019 wurde im Zürcher Kantonsrat eine parlamentarische Initiative über Selbstbestimmung am Lebensende in Alters- und Pflegeheimen eingereicht. Sie fordert eine einheitliche Regelung im Kanton. Bisher lag es im Ermessen der Heimleitung, ob eine Sterbehilfeorganisation im Haus akzeptiert wird. Der Kantonsrat hat deshalb letztes Jahr beschlossen, dass ­Alters- und Pflegeheime, die vom Kanton oder von den Gemeinden beauftragt sind, Sterbehilfe zulassen müssen. Diese Bestimmung tritt am 1. Juli 2023 in Kraft; ­Pflegeeinrichtungen dürfen den Wunsch nach begleitetem Suizid in ihrem Haus nicht mehr ablehnen. Die Ärztekammer hat neu die Richtlinie der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW «Umgang mit Sterben und Tod» in ihre Standesordnung aufgenommen. Paul Hoff, Präsident Zentrale Ethikkommission SAMW, sagt in der Schweizer Ärztezeitung: «Suizidhilfe ist bei einem urteilsfähigen Menschen dann vertretbar, wenn dieser unerträglich unter den Symptomen einer Krankheit und/oder Funk­tionseinschränkungen leidet, die Schwere des Leidens durch eine entsprechende Diagnose und Prognose substantiiert ist, andere ­Optionen erfolglos geblieben sind oder von ihm als unzumutbar abgelehnt werden.»

Diese Richtlinien schreiben vor, dass die Arztperson mindestens zwei ausführliche Gespräche im Abstand von mindestens zwei ­Wochen mit der betroffenen Person zu führen hat. Betont wird, dass die Betroffenen keinen Anspruch auf Suizidhilfe haben, und es jeder Arztperson freisteht, diese Handlung für sich in Betracht zu ziehen oder eben nicht. Trotz dem neuen kantonalen Gesetz wird sich das Pflegepersonal nicht an der Suizidhilfe beteiligen – und die Kosten der Beihilfe muss die betroffene Person selbst bezahlen. Mit der Begründung, dass Menschen in den Heimen quasi einen Mietvertrag für ihr Zimmer unterschrieben haben, kann die Sterbehilfeorganisation Exit, manchmal auch Dignitas die Beihilfe organisieren und durchführen. Nach dem eingetretenen Tod ist die Polizei zuzuziehen. Auch da braucht es einen klaren Ablauf, der Beamte sollte in Zivilkleidung ins Heim kommen.

Sterbehilfe in Zollikon und Zumikon

«Wir haben seit 2017 eine sorgfältig erarbeitete Haltung zum Thema. Diese haben wir mit unseren Mitarbeitenden wiederholt besprochen und werden dies auch in Zukunft tun, etwa diesen Juni», sagt Tobias Diener, Direktor der Zollinger Stiftung, welche das Pflegezentrum Forch führt: «Das Dokument zur Haltung der Stiftung zum Thema assistierter Suizid wird auf der Homepage zu lesen sein, ergänzt durch eine kurze Darstellung des gesetzlichen Rahmens.» Direktor Diener betont, wie wichtig die ­Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Arztpersonen sei, auch mit kirchlichen Vertretungen. Die Suizidhilfe muss gemäss Kanton vom Pflegepersonal streng getrennt sein. Wird es trotzdem eine verantwortliche Person geben, die Vor­bereitungen und Ausführungen begleitet? «Ja, dies liegt in der direkten Verantwortung der Pflegedienstleitung, welche jeweils im Einzelfall zwischen den Interessen der sterbewilligen Person und dem Umfeld abwägt», sagt Tobias Diener. Ähnlich sieht es im Wohn- und Pflegezentrum WBZ Blumenrain in Zollikon aus. Heimleiter Nebojsa Racic: «Die Richtlinien für Suizidbeihilfe sind seit November 2019 in Kraft. Aufgrund der Gesetzesänderung hat das Blumenrain seine Richtlinien natürlich überprüft; Anpassungen waren nicht nötig – die Richtlinien werden lediglich um die Ausgangslage der neuen Gesetzgebung ergänzt.» Diese ­Ergänzungen sind ab Juli auf der Website des WPZ zu lesen. Was jetzt der Kanton in seiner Medienmitteilung öffentlich macht, ist in beiden Gemeinden schon üblich.

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