«Jedes Kind hat etwas Liebenswertes und ­Witziges an sich.»

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 17. Mai 2023

Jaqueline Häusermann nimmt jedes Kind ernst, mit all seinen Wünschen und Ängsten. Über drei Jahrzehnte betreute sie Zumiker Mädchen und Buben bei ihren ersten Schritten in die Selbstständigkeit.

Jaqueline Häusermann wollte immer mit Kindern arbeiten. (Bild: bms)
Jaqueline Häusermann wollte immer mit Kindern arbeiten. (Bild: bms)

Über 30 Jahre war ­Jaqueline Häusermann als Lehrerin im Zumiker Kindergarten tätig – zuerst im Weizenacher, dann im Hohfurren, schliesslich am zentralen Standort im Schulhaus Farlifang. Mittlerweile pensioniert, wirkt sie ab und zu noch stellvertretend im Chindsgi und der Primarschule.

Für Sie, die so lange Zeit das quirlige Leben im Kindergarten aushielt und noch aushält, muss das ein Traumberuf sein.

Ich wollte immer mit Kindern arbeiten und besuchte deshalb das «Semi Küsnacht», entschied mich dann doch für das Kindergartenseminar, weil der Lehrplan damals noch etwas mehr Spielraum zugelassen hat. Die Veränderungen von Schule und Lehrplan bewegten auch auf der Kindergartenstufe viel. Die Arbeit war immer spannend, die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen fördernd, die ­Anwesenheit eines Seniors im ­Kindergarten über viele Jahre eine ­Bereicherung für Kinder, Eltern und auch für mich.

Durch meine Arbeit als Praxislehrperson haben Studierende der ­Pädagogischen Hochschule Zürich hier in Zumikon vielfältige Erfahrungen gesammelt. Für die Schulentwicklung in Zumikon konnte ich Ideen einbringen – ein Ausgleich zum Unterricht mit den Kindern. In Ferienkolonien und Klassenlagern hatte ich auch Kontakt zu älteren Schülern. Bereichernd waren zudem die Beratung von Kindergartenlehrpersonen, Elternbildungskurse im Schulalltag und Weiterbildungen für Schulpflegemitglieder. Wichtig war mir, mich weiterzubilden, neugierig und interessiert zu bleiben.

Dann haben Sie den Abschied wehmütig in Erinnerung?

Gar nicht. Es war ein wunderbares Fest. Die Pandemie war vorbei und ich konnte mit Eltern, Kindern, ­Kollegen und der Schulleitung feiern. Ich engagiere mich noch als Stellvertreterin, was mir sehr Spass macht. Aber ich habe wesentlich mehr Zeit für Familie und Freunde und meine Hobbies: für Reisen, ­Kochen, Tanzen und Singen.

Man sagt den Zumiker Eltern nach, sie seien anspruchsvoll und schwierig. Ist das auch Ihre Erfahrung?

Keineswegs. Ich erlebte viele interessierte und engagierte Eltern. Natürlich gab es auch mal unterschiedliche Ansichten; dann kommt es auf die eigene Haltung an und auf ­Toleranz. Dann muss man sich fragen: Will ich die Eltern ändern? Fest steht wohl, dass alle Eltern sich für ihre Kinder einsetzen und damit nur Gutes im Sinn haben. Richtig nachvollziehen lässt sich das vielleicht erst, wenn man selber Kinder hat.

Sie haben zwei Söhne. Das heisst, Sie konnten als ausgebildete Päda­gogin besser mit Krisen umgehen.

(Jaqueline Häusermann lacht) Überhaupt nicht. Als Mutter ist man ja viel emotionaler. Es gab bei uns die gleichen Probleme und Streitigkeiten wie in anderen Familien.

Wie schafft man es, zu allen Kindern gleich freundlich zu sein? Gibt es nicht Mädchen oder Buben, die man mehr mag?

Jedes Kind, einfach jedes, hat etwas Liebenswertes, Witziges, Überraschendes, etwas ganz Eigenes an sich. Dies gilt es zu entdecken. Wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Eltern. Sie sind bis zu einem gewissen Grad Teil des Kindergartenlebens. Oft sind Kinder auch stolz, etwas von ihrem Alltag den Eltern zeigen zu können. In einem Geschichtsprojekt bat ich die Grosseltern, aus ihrer eigenen Schul- oder Kindergartenzeit zu erzählen. Aus diesen Erlebnissen entstand ein einmaliges Buch – und die Kinder erkannten, dass sie Teil eines grossen Ganzen sind.

Der Kindergarten ist der erste Schritt in ein neues Leben. Wer hat mehr Mühe, loszulassen? Die Kinder oder die Eltern?

Das ist unterschiedlich. Ich weiss nur, dass ich am ersten Kindergartentag meines Ältesten selbst ein paar Tränen verdrückte. Der lange und wichtige Prozess des Los­lassens fängt damit an. Wichtig ist, dass Kinder nicht nur eigene Erfahrungen machen, sondern auch eigene Fehler. Wir können ihnen viel mehr Freiheiten zumuten, als wir es oft tun. Wir sollten darauf vertrauen, dass sie die Herausforderungen meistern. Dazu gehört, dass wir sie nicht permanent kontrollieren. Meine Aufgabe ist es, helfend und beratend zur Seite zu stehen. Ich nehme das Kind ernst – mit all seinen Wünschen und Ängsten. Das heisst, auf Augenhöhe mit dem Kind sein.

Hat sich das Vaterbild im Laufe der Zeit geändert?

Schon. Mittlerweile bringen und ­holen Väter häufiger ihre Kinder. Die Wirtschaft hat wohl reagiert; vielleicht brachte auch das Homeoffice während Corona Veränderungen. Auf der anderen Seite sehe ich, dass viele Väter unter Druck stehen. Sie müssen im Beruf performen, oft das Einkommen sichern und sich auch innerhalb der Familie engagieren.

Wie sieht es bei den Müttern aus?

Von ihnen wird eine extreme Flexibilität erwartet. Haben sie gerade Beruf, Kindergarten und Betreuung unter einen Hut gebracht, kommt ein neuer Stundenplan und alles muss neu organisiert werden. Unter Müttern erlebe ich jedoch oft eine starke Solidarität.

Den heutigen Kindern werden ­Defizite in der Motorik nachgesagt, weil sie nicht mehr so oft im Freien herumtoben.

Ja, die Kinder bewegen sich viel weniger. Auf der anderen Seite entwickeln sie ganz andere Kompetenzen und gehen beispielsweise völlig selbstverständlich mit den neuen Medien um. Dazu kommt oft ein übervoller Freizeit-Stundenplan, der wenig Raum für Spontanität lässt. Gleichzeitig erlebe ich Eltern ängstlicher als früher, wenn ihr Kind auf einen Baum klettert oder erste Meter mit dem Velo fährt. Eltern müssen lernen, mit ihrer Angst umzugehen, um die Selbstständigkeit der Kinder zu fördern.

Wichtig ist, dass Kinder nicht nur eigene Erfahrungen machen, sondern auch eigene Fehler.

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